Erzbistum Köln:Gutachter rügt "Gewaltangriff"

Kardinal Rainer Maria Woelki

Im Kreuzfeuer der Kritik: Kardinal Rainer Maria Woelki, Erzbischof von Köln, kommt zu einem Gottesdienst in den Dom.

(Foto: Oliver Berg/dpa)

Kardinal Woelki hat einer Kanzlei verboten, ihre Erkenntnisse über sexualisierte Gewalt im Bistum zu veröffentlichen. Nun äußert sich einer der Anwälte und attackiert seinerseits den viel gescholtenen Erzbischof.

Von Annette Zoch, München

Marion Westpfahl hat sich einst einen Namen gemacht als Mafia-Jägerin. Später hat die Münchner Anwältin die Personalakten des Erzbistums München und Freising auf Missbrauchsfälle hin untersucht. Das Thema "Sexualisierte Gewalt in der Kirche" hat die Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl fortan nicht mehr losgelassen. Derzeit ist sie fast täglich in den Schlagzeilen - wegen eines Gutachtens für das Erzbistum Köln, in dem Namen von Verantwortlichen genannt werden und das die Kirche nicht veröffentlichen will.

In diesem Streit, der monatlich an die tausend Menschen alleine in der Stadt Köln aus der Kirche treibt, hat sich nun Westpfahls Kompagnon und Autor des Gutachtens, Ulrich Wastl, ausführlich zu Wort gemeldet. In einem Interview mit der Zeit-Beilage "Christ und Welt" nannte er das Veröffentlichungsverbot seitens des Kölner Kardinals Rainer Maria Woelki einen "Gewaltangriff". "Ein derartiges Verhalten haben wir noch nicht erlebt", sagte er.

Wastl widersprach der Kritik, das Gutachten sei "voll von hochgradig subjektiven, moralisch gefärbten Anschuldigungen". Wenn der Auftrag laute, das Verhalten nicht nur rechtlich, sondern auch moralisch zu beurteilen, sei mitunter auch "eine härtere Sprache" zu wählen. Jede Bewertung habe "ein subjektives Element, auch wenn sie auf Tatsachen gestützt ist". Wastl verteidigte auch, dass er aus den Akten des Erzbistums Köln nur 15 Fälle ausgewählt hat.

Retraumatisierung soll vermieden werden

Seine Kanzlei habe nur Bischöfe, Generalvikare und mit Abstrichen auch Personalverantwortliche als Personen der Zeitgeschichte benennen können. "Danach haben wir uns die Fälle ausgesucht", so der Anwalt. Ein weiteres Kriterium sei die Schwere der Fälle gewesen. "Wir haben aufgepasst, ob wir sie so abstrahieren können, dass keine Betroffenen erkennbar sind. Und ob der Fall mit Blick auf das Recht auf Vergessen des Täters genommen werden kann", ergänzte Wastl.

Es seien nur so viele Fälle ausgewählt worden wie für die öffentliche Darstellung unbedingt notwendig, um die Gefahr der Retraumatisierung von Opfern zu vermeiden. Der neue Gutachter Björn Gercke hatte die Auswahl der Beispiele als willkürlich bezeichnet und angekündigt, er werde jeden einzelnen der 312 Verdachtsfälle würdigen.

Den Widerstand gegen die Aufarbeitung sexualisierter Gewalt sieht Wastl auch in der persönlichen Verstrickung von Verantwortungsträgern der katholischen Kirche begründet. "Der Reflex, die Institution schützen zu wollen, und das Bedürfnis nach Selbstschutz gehen oft Hand in Hand." Wastl sagte, nach seiner Ansicht sei die katholische Kirche in zwei Lager gespalten: das eine, das um jeden Preis den Ruf der Kirche schützen wolle. Und das andere, das überzeugt sei, dass es die einzige Chance der Kirche sei, reinen Tisch zu machen.

Die Austrittstermine sind bis April voll

Für den reinen Tisch ist auch die Vizepräsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Claudia Lücking-Michel. Sie fordert Kardinal Woelki auf, das Gutachten sofort zu veröffentlichen. "Wir können nicht mehr bis zum 18. März warten", sagte die Theologin und CDU-Politikerin am Mittwoch im ARD-Morgenmagazin. Am 18. März will Gercke sein neues Gutachten veröffentlichen.

In Köln sind nun auch für den Monat April alle Termine für Kirchenaustritte ausgebucht, meldet das Amtsgericht. Sogar der Kölner Stadtdechant Robert Kleine - der oberste Repräsentant der katholischen Kirche in der Stadt - hatte sich zuletzt von Kardinal Woelki abgesetzt. Er könne niemandem derzeit den Kirchenaustritt verdenken, hatte er dem Kölner Stadt-Anzeiger gesagt.

Dem Renommee der Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl habe die Causa Köln nicht geschadet, "eher im Gegenteil", sagte Wastl. Derzeit erarbeite man ein neues Gutachten für das Erzbistum München und Freising, in dem nun ebenfalls Namen von Verantwortlichen genannt werden sollen. "Wir registrieren momentan, dass sich immer mehr Menschen von sich aus an uns wenden und mit uns sprechen wollen", sagte Wastl. Das Gutachten soll noch in diesem Jahr veröffentlicht werden.

Zum Schluss gibt Wastl noch seine persönliche Einschätzung der Kräfteverhältnisse ab: Im Interview angesprochen auf eine Aussage seiner Kollegin Westpfahl, im Kampf gegen die Mafia jage man im Fiat 500 einem Ferrari hinterher, vergleicht der Jurist seine Kanzlei mit einem "Geländewagen mit ein paar Beulen, dem widriges Wetter und schlechte Straßenverhältnisse nichts anhaben können". Die Verantwortlichen im Erzbistum Köln wähnten sich indes in einem Panzer - "und ich hoffe, es stellt sich heraus, dass es ein Fiat 500 ist".

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