Erzbischof Zollitsch:"Wir sind nicht verloren"

Es fällt der Kirche schwer, die Menschen mit ihrer Frohen Botschaft zu erreichen. Erzbischof Zollitsch über Kirchenaustritte, Sexualmoral und die Hoffnungen, die sich mit dem Papstbesuch verbinden.

Matthias Drobinski

SZ: Herr Erzbischof, unbeschwert Weihnachten feiern dürften Sie kaum nach diesem Jahr, in dem die Krise um die sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche vor allem die katholische Kirche erschüttert hat.

Deutsche Bischofskonferenz Fulda

"Wir haben die Vision von einer Gesellschaft, in der einer für den anderen mitsorgt. Dafür lohnt es sich, in der Kirche zu sein": Erzbischof Robert Zollitsch.

(Foto: picture alliance / dpa)

Zollitsch: Ja, da wird mir vieles durch den Kopf gehen. Weihnachten ist das Fest der Sehnsucht nach dem Heil, dem Frieden, dem Neuanfang. In diesem Jahr ist viel Unheil in der Kirche offenbar geworden, da brauchen und suchen wir den Neuanfang. Das Fest ist ja auch eine Verheißung, ein Trost: Das Zerbrochene, Verletzte, Unheile kann heil werden, weil Gott in unsere Welt gekommen ist.

SZ: Hat Sie das Ausmaß des Missbrauchs, die Tiefe der Krise überrascht?

Zollitsch: Wir wussten, dass es auch in der Kirche Gewalt gegen Kinder gibt. Aber das Ausmaß hat mich erschüttert, ebenso das Ausmaß sexualisierter Gewalt insgesamt in der Gesellschaft. Das wird uns noch lange beschäftigen.

SZ: Die Krise ist also nicht vorbei?

Zollitsch: Nein. Es ist einiges geschehen, wir haben einen Missbrauchsbeauftragten der Bischofskonferenz, wir haben unsere Leitlinien zum Umgang mit sexueller Gewalt verbessert, wir arbeiten die Vergangenheit auf, wir wollen den Opfern helfen. Aber wir müssen uns weiterhin fragen, welche Täterprofile es bei uns gibt, wie wir Kinder besser schützen. Dazu haben wir umfangreiche Präventionsmaßnahmen verabschiedet.

SZ: Hat die Bischofskonferenz im Januar zu lange geschwiegen?

Zollitsch: Wir dachten, dass wir erst einmal die Dimension erfassen müssen. Wir haben ja sofort gesagt, wie sehr uns jeder Fall erschüttert. Aber dann kam eine Lawine über uns. Aus heutiger Sicht hätten wir früher reagieren müssen.

SZ: Hätten Sie sich vom Papst ein Wort für die verunsicherten Katholiken in Deutschland gewünscht?

Zollitsch: Der Heilige Vater hat im Brief an die Katholiken Irlands Stellung bezogen: Missbrauch ist ein furchtbares Verbrechen, das in der Kirche nicht verdeckt und vertuscht werden darf, aus falscher Rücksicht auf die Institution. Dieser Brief war auch für uns geschrieben.

SZ: Auch Sie haben zugeben müssen, dass Sie in Ihrer Zeit als Personalchef einen Missbrauchsfall unterschätzt haben. Zollitsch: Ja, auch ich habe Fehler gemacht. Wir sind heute klüger, auch die Wissenschaftler und Mediziner. Wir haben damals den Pfarrer in Oberharmersbach aus dem Dienst entfernt, da waren wir konsequent. Aber wir hätten mehr für die Opfer tun müssen. Das bedrückt mich heute, auch wenn wir nach dem damaligen Kenntnisstand das Bestmögliche getan haben.

SZ: Haben Sie da an einen Rücktritt als Konferenzvorsitzender gedacht?

Zollitsch: Nein.

SZ: Auch nicht in der Auseinandersetzung um den Augsburger Bischof Walter Mixa?

Zollitsch: Da habe ich im Gegenteil gesehen, dass ich Verantwortung übernehmen und tragen muss. Aber menschlich war das sehr schwer für mich. Als die Vorwürfe gegen ihn öffentlich wurden, er habe Heimkinder geschlagen und Geld nicht ordnungsgemäß verwendet, habe ich insgesamt vier Gespräche mit ihm geführt. Ich habe ihm geraten, eine Auszeit zu nehmen, bis die Vorwürfe geklärt sind. Er hat sich anders entschieden, am Ende kam der Rücktritt, weil er sein Amt nicht mehr unbelastet hätte ausüben können. Ja, das war tragisch.

"Manches wird uns noch weh tun"

SZ: Der Regensburger Bischof Gerhard Ludwig Müller warf in diesen Wochen den Medien vor, sie betrieben eine Kampagne gegen die katholische Kirche. Waren die Journalisten fair?

Zollitsch: Die Medien haben zu Recht auf Aufklärung, Aufarbeitung gedrängt, manchmal gab es aber eine sehr einseitige und journalistisch alles andere als überzeugende Berichterstattung. Das tut vielen in der Kirche weh - auch mir. Für mich war das mein schwerstes Jahr als Erzbischof und als Vorsitzender der Bischofskonferenz.

SZ: Sühne muss weh tun, sagt Klaus Mertes, der Direktor des Canisius-Kollegs in Berlin. Stimmen Sie dem zu?

Zollitsch: Manches wird uns noch weh tun. Besonders dann, wenn man für andere einstehen muss, für das Leid, das Mitbrüder, Mitchristen verursacht haben. Wir wollen aber auch, dass in der Gesellschaft insgesamt ein Weg nach vorne möglich wird, dass es auch am Runden Tisch Sexueller Missbrauch der Bundesregierung vorangeht. Der Schmerz darf kein Selbstzweck sein.

SZ: Machen da alle Bischöfe mit gleicher Leidenschaft mit? Manchmal kann man Zweifel bekommen.

Zollitsch: Bei allen wichtigen Punkten waren wir uns einig. Wir haben uns auf das Thema sexuelle Gewalt eingelassen wie keine andere Institution.

SZ: Empfehlen Sie den Mitbrüdern, alle Personalakten zu durchforsten, wie das in München geschehen ist?

Zollitsch: Wir werden die Problematik des sexuellen Missbrauchs in der Kirche wissenschaftlich aufarbeiten. Dieses Forschungsvorhaben ist Konsens in der Bischofskonferenz. Der Trierer Bischof Stephan Ackermann, unser Missbrauchsbeauftragter, wird dazu Details Anfang nächsten Jahres vorstellen. Mit der wissenschaftlichen Forschung machen wir deutlich: Wir wollen aufklären.

SZ: Gibt es da nicht Mentalitätsprobleme bei manchen Bischöfen?

Zolltisch: Ich zweifle nicht am Aufklärungswillen aller Bistümer. In München hat sich ja auch gezeigt, dass der Anteil der verurteilten Priester im Promillebereich liegt. Die Sichtung der Akten könnte mehr Klarheit über die Umstände bringen, das würde uns helfen.

SZ: Der Münchner Erzbischof Marx geht von einer hohen Dunkelziffer aus - vor allem aber erschreckt, wie Strukturen und Mentalitäten verhindert haben, dass Taten aufgedeckt und Täter bestraft wurden, den Opfern geholfen wurde.

Zollitsch: Genau daran arbeiten wir, dass so etwas nicht mehr vorkommt. Es hat aber auch die allgemeine gesellschaftliche Situation dazu beigetragen, dass auf Taten und Täter damals anders reagiert wurde als heute. Man darf diesen Kontext nicht außer Acht lassen.

SZ: Da wollten Personalverantwortliche ihren Mitbrüdern nicht weh tun, da gab es viele Priester mit Alkoholproblemen, andere waren erpressbar, weil sie schwul waren. Gibt es nicht eine katholische Dimension des Missbrauchs?

Zollitsch: Ich kann vorerst keine gravierenden Unterschiede zur evangelischen Kirche, zu anderen Institutionen entdecken. Auch dort gelang es Tätern, durch ein Geflecht von Beziehungen und Abhängigkeiten nicht aufzufliegen; die Odenwaldschule ist dafür ein trauriges Beispiel. Es wird Gegenstand der Forschung in unseren eigenen Reihen sein, ob kirchliche Strukturen Missbrauch begünstigen und Aufklärung erschweren. Aber erst einmal wollen wir uns nicht einfach an den Pranger stellen lassen.

SZ: Sie glauben nicht, dass Priesterbild und Priesterausbildung sich ändern müssen?

Zollitsch: Die Ausbildung hat sich doch im Vergleich zu den sechziger Jahren sehr geändert. Wir werden uns mit ihr genauer beschäftigen und schauen, ob sich da etwas ändern muss. Aber ich finde es falsch, einen ganzen Berufsstand vorschnell misstrauisch zu beobachten oder zu verdächtigen.

SZ: Zeigt sich hier nicht, dass die Kirche in der Vertrauenskrise steckt?

Zollitsch: Ja, es gibt eine Vertrauens- und Glaubwürdigkeitskrise. Sie hat uns hart getroffen. An der Überwindung dieser Krise arbeiten wir.

SZ: Der Psychologe und Theologe Manfred Lütz hat von einem kollektiven Vaterproblem gesprochen: Weil die Kirche eine der letzten Autoritäten ist, die Ansprüche stellt und Grenzen verlangt, wird sie besonders angegriffen.

Zollitsch: Da ist was dran. Man kritisiert die Kirche und entlastet sich selbst.

SZ: Kann das nicht auch daran liegen, dass die Kirche sprachlos geworden ist? Dass sie den Leuten nicht mehr erklären kann, warum sie so denkt und lehrt?

Zollitsch: Das will ich nicht leugnen, auch nicht, dass das Thema Sexualmoral das schwierigste ist. Aber viele Menschen empfinden Unbehagen über die Sexualisierung ihrer Lebenswelt. Da haben wir auch die Aufgabe, prophetisch zu wirken. Sex ist kein billiges Genussmittel, sondern soll Ausdruck von Liebe sein.

SZ: Wie erklären Sie das jungen Leuten?

Zollitsch: Ich rede viel mit Jugendlichen - aber es würde den Rahmen des Interviews sprengen, wenn ich das jetzt nicht mit Floskeln beantworten sollte.

"Jesus gibt uns eine großartige Botschaft"

SZ: Papst Benedikt XVI. hat in seinem Interviewbuch gesagt, in bestimmten Ausnahmefällen könne die Benutzung eines Kondoms zu einer menschlicheren Sexualität beitragen. Ist das eine Wende?

Zollitsch: Da wundere ich mich über die Aufregung. Es geht doch um die Vermeidung von Ansteckung, nicht um eine neue Sexualmoral. Ich hoffe, die Berichterstattung hat dem Verkauf des Buchs genützt, aber neu ist das nicht.

SZ: In diesem Jahr gab es so viele Kirchenaustritte wie nie. Warum lohnt es sich, in der Kirche zu bleiben?

Zollitsch: Weil Jesus uns eine großartige Botschaft gibt: Wir sind nicht verloren, wir sind von Gott geliebt und gehalten, wir können diese Liebe weitergeben. Wir haben die Vision von einer Gesellschaft der Solidarität, in der einer für den anderen mitsorgt, in der es soziale Gerechtigkeit gibt, der Kranke bis zum Lebensende gepflegt wird. Dafür lohnt es sich, in der Kirche zu sein und zu bleiben. Resignation und Rückzug wären jetzt jedenfalls die falsche Antwort.

SZ: Auch das gehörte zum Elend dieses Jahres: Was Sie außerhalb des Missbrauchsskandals gesagt haben, verhallte nahezu ungehört.

Zollitsch: Das ist unser Dilemma. Es gibt aber noch andere Themen als die

sexuelle Gewalt - ohne sie zu verharmlosen. Da ist die ethisch kaum noch zu rechtfertigende Staatsverschuldung. Da ist die alternde Gesellschaft, die Debatte um die Würde des Menschen vom Ursprung bis zum Ende. Ich denke besonders an die Diskussion um die Präimplantationsdiagnostik. Da wird die Kirche kaum gehört.

SZ: Weil die Kirche zwar eine ethisch in sich nachvollziehbare Position vertritt- nur, es folgt ihr kaum noch einer.

Zollitsch: Weil man sich unserer Analyse der ethischen Herausforderung nicht stellen will - und vielleicht, weil man sich nicht gerne ins Gewissen reden lässt.

SZ: Es gibt doch wirklich ein Dilemma: Hier der Wunsch der Eltern nach einem gesunden Kind, dort die Gefahr, Kinder nach Maß zu produzieren.

Zollitsch: Für mich ist klar: Der Mensch darf nicht entscheiden, wer leben darf und wer nicht. Sonst macht er sich zum Herren über das Leben, zu Gott.

SZ: Glauben Sie, dass der Papstbesuch im September die Stimmung zugunsten der katholischen Kirche ändern wird?

Zollitsch: Er wird einen Motivationsschub mit sich bringen. Weil er glaubwürdig ist.

SZ: Wird er Missbrauchsopfer treffen?

Zollitsch: Darüber wird nachgedacht.

SZ: In F reiburg wird das katholische Volk strömen, in Erfurt wohl auch - in Berlin aber fürchten die Veranstalter, dass es das nicht tut.

Zollitsch: In Berlin stehen die offiziellen Termine im Vordergrund, die historische Rede im Bundestag zum Beispiel. Aber das gehört ja auch zur realistischen Wahrnehmung der Welt: In Berlin sind die Katholiken eine Minderheit, und nicht allen gefällt, was der Papst sagt. Aber ich glaube, der Heilige Vater wird die Menschen positiv überraschen.

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