CSU-Politiker Erwin Huber:"Die SPD ist unser politischer Gegner, nicht unser Feind"

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Der frühere CSU-Chef erklärt, wieso FDP-Vizekanzler Guido Westerwelle derzeit so aggressiv klingt, warum für ihn "sozialdemokratisch" keine Schmähung ist und aus welchen Gründen er wenig vom Modell Schwarz-Grün hält.

Von Gökalp Babayigit und Oliver Das Gupta

Seit 1978 sitzt Erwin Huber im bayerischen Landtag. Der 63-jährige Niederbayer war von 1988 bis 1994 CSU-Generalsekretär. Unter Ministerpräsident Edmund Stoiber wurde er zunächst Finanzminister, später Chef der Staatskanzlei und Wirtschaftsminister. Nach Stoibers Rücktritt wurde Huber zum Parteivorsitzenden gewählt, musste aber nach den dramatischen Stimmverlusten bei der Landtagswahl 2008 , die auch dem BayernLB-Desaster geschuldet waren, zurücktreten.

"20 Jahre nach der Wende sollte man nicht mehr das Vokabular des Kalten Krieges benutzen" - meint Erwin Huber mit Blick auf Westerwelles "Sozialismus"-Alarm. (Foto: Foto: dpa)

Erwin Huber ist heute unter anderem der Vorsitzende des Wirtschaftsausschusses des bayerischen Landtages und der Wirtschaftsexperte seiner Fraktion.

sueddeutsche.de: Herr Huber, erfahrungsgemäß wird beim politischen Aschermittwoch eine klare Sprache gesprochen. Während der Zeit der rot-grünen Regierung hatte die CSU als Oppositionspartei einen klaren Gegenpol. Heute ist die CSU Teil der schwarz-gelben Koalition in Berlin. Bleibt da in der Bütt nur Staatstragendes?

Erwin Huber: Einfacher ist der politische Aschermittwoch natürlich, wenn man - was wir uns nicht wünschen - Oppositionspartei in Berlin ist. Dann kann man von Passau aus Blitz und Donner so richtig rollen lassen. Wer regiert, hat es schwerer. Für uns bedeutet der politische Aschermittwoch vor allem: Standortbestimmung, Profilbildung und Perspektive. Wir wollen die bundespolitische Rolle der CSU deutlich herausstellen.

sueddeutsche.de: CSU-Chef Seehofer kommt wohl kaum umhin, auch den Koalitionspartner FDP anzugehen. Der offen ausgetragene Streit - inklusive der Provokationen aus dem liberalen Lager - schwelt schon länger.

Huber: CSU und FDP sind nicht identisch. Wir sind eine breit aufgestellte Volkspartei, die FDP ist vorwiegend eine Klientelpartei. Da gibt es immer wieder Reibungspunkte, die man ansprechen muss . Auf der anderen Seite - und da muss Horst Seehofer in seiner Rede die Balance finden - sind wir in München und in Berlin in einer Koalition mit der FDP. Profilschärfe auf der einen Seite, Zusammenarbeit mit der FDP auf der anderen Seite, das muss Seehofer kunstvoll auf einen Nenner bringen.

sueddeutsche.de: FDP-Chef Westerwelle nimmt die CSU schon seit längerem hart ran. Sind nach dessen drastischer Wortwahl nicht einige Retourkutschen gefragt?

Huber: Ja, alles mit Maß und Ziel. Die Zeiten haben sich geändert. Die Parole "Hau den Lukas" gilt für den politischen Aschermittwoch weniger denn je. Die politische Situation ist heute viel differenzierter. Wir haben immer dagegen angekämpft, Passau als Faschingsgaudi zu betrachten. Wir sehen das als eine Art kleinen Parteitag. Dass der eine oder andere verbale Volltreffer dabei ist, gehört natürlich dazu.

sueddeutsche.de: Also Kuschelkurs statt Kanonade?

Huber: Die Koalition in Berlin hat den Regierungsauftrag bis 2013, den wir erfüllen wollen. Dies darf durch tagesaktuelle Scharmützel oder Polemik nicht gefährdet werden. Der Versuchung, aufeinander einzudreschen, müssen und werden wir widerstehen. Die Unterschiede zur FDP in der Sozial- und Gesundheitspolitik oder bei Hartz IV zu unterstreichen, gehört aber zum politischen Wettbewerb. Wir wollen ja nicht fusionieren mit den Liberalen, sondern in einer Koalition zusammenarbeiten. Die FDP muss als Partner in Berlin kooperativ sein und darf nicht eine Solo-Nummer nach der anderen abspielen.

sueddeutsche.de: Verstehen wir Sie richtig: Das Ausmaß des Streits in den ersten 100 Tagen der schwarz-gelben Koalition geht für Sie in Ordnung?

Huber: Na ja, es gibt unnötigen Krach. Manchmal hat man schon den Eindruck, dass es Streit um des Streites willen gibt. Wenn man beispielsweise Andreas Pinkwarts Vorstöße sieht: Das ist kontraproduktiv, auch für die FDP. Jetzt muss der Wille, gemeinsam zu regieren, deutlich werden. Ich hoffe, die FDP meint nicht, nach langen Jahren der Opposition nun den Ton in der Koalition angeben zu können. Westerwelle darf nicht glauben, der Vorturner der Koalition zu sein. Er muss Teamspieler werden.

sueddeutsche.de: Viele denken, dass CSU-Chef Seehofer eher die Koalition platzen lässt, als die Kopfpauschale, die FDP-Gesundheitsminister Rösler haben will, zu akzeptieren.

Huber: Man muss vom Koalitionsvertrag ausgehen, das ist die Grundlage. Wir sind durch den Wählerauftrag verpflichtet, gemeinsam zu regieren, die Finanzkrise und ihre Folgen zu bewältigen. Diese Disziplin müssen sich alle aneignen. In der Gesundheitspolitik hat die FDP in den letzten Monaten mit zu viel Übermut agiert. Eine Kopfpauschale wird es mit der CSU schlichtweg nicht geben. Punkt. Sie ist unsozial und unfinanzierbar.

sueddeutsche.de: Auch im Streitfall Steuern liegen CSU und FDP meilenweit auseinander. Die Liberalen wollen partout die Bürger entlasten.

Huber: Wir müssen die Realität im Auge behalten. Was 2008 und Anfang 2009 genau festgelegt werden konnte, muss man unter den heutigen Bedingungen differenzierter sehen. Das Ziel, die Steuern zu senken und Leistungsträger sowie Normalverdiener zu entlasten, ist immer noch richtig. Aber der Weg ist steiniger geworden.

sueddeutsche.de: Die FDP will Steuern senken, komme was wolle.

Huber: Mit dem Kopf durch die Wand, wie es die FDP vorhat, halte ich für keine sinnvolle Politik. Es ist richtig, die Steuerschätzung im Mai abzuwarten und dann die weiteren Schritt festzulegen. Da muss eine so erfahrene Partei wie die FDP bereit sein, die Wunschvorstellung der Realität anzupassen. Man sieht ja auch an den Umfragen, dass es der Wähler nicht akzeptiert, wie die FDP eine illusionäre Steuerpolitik betreibt. Unser Koalitionspartner hat Probleme, aus der Oppositionsrolle in die Regierungsverantwortung zu kommen.

sueddeutsche.de: Westerwelle und einige andere FDP-Politiker schlagen immer aggressivere Töne an. Haben Sie eine Erklärung, warum?

Huber: Sie überfällt das große Zittern wegen der sinkenden Umfragewerte ( aktuell sieben Prozent, d.Red.). Ich halte diese Jetzt-erst-recht-Taktik für grundfalsch. Besser wäre es, die FDP würde eine praxistaugliche, realitätsnähere Politik betreiben. Die Befindlichkeit der Menschen muss doch eine Rolle spielen.

sueddeutsche.de: Die FDP tönt auch so laut, weil sie beachtliche Wahlerfolge in Bayern und im Bund eingefahren hat. Entsteht neben der Union eine zweite Volkspartei rechts der Mitte?

Huber: Die Entwicklung der letzten Monate zeigt, dass die FDP nicht auf dem Weg ist, eine Volkspartei zu werden, im Gegenteil: Die Liberalen sind in einem engen politischen Spektrum tätig. Es ist geprägt von Marktradikalität. Die Westerwelle-FDP ist nicht in der Lage, dauerhaft mehr als zehn Prozent zu binden.

sueddeutsche.de: Fehlt der FDP die nötige Portion Pragmatismus zur Volkspartei?

Huber: In Sachen Marktliberalismus kann die FDP sehr pragmatisch sein, das war es dann allerdings. Der FDP fehlt der Sinn für das Soziale - und mit Ökologie können die Liberalen auch nichts anfangen. Mit Gesellschafts- und Wirtschaftsliberalität allein kann man eine Klientelpartei etablieren, aber zu mehr reicht es eben nicht. CDU und CSU sollten das bedenken - und sich nicht ins Bockshorn jagen lassen, egal wie laut da einer tönt.

sueddeutsche.de: Trotzdem: 14,6 Prozent Wahlergebnis im Bund - das hat das Selbstbewusstsein gestärkt.

Huber: Diese Zahl kam durch eine niedrige Wahlbeteiligung zustande - und dank der Oppositionsrolle, die die FDP während der großen Koalition spielen konnte. Aber nach den ersten Monaten zeigt sich: Die Regierungspartei FDP merkt, wie schnell sie sowohl personell, als auch programmatisch an ihre Grenzen stößt. Das macht sie gerade so aggressiv. Für uns als Union gibt das Grund für Selbstbewusstsein und Perspektive.

sueddeutsche.de: Die FDP im Zustand der Überforderung?

Huber: Ja, sie ist überfordert. Das sage ich, ohne der FDP etwas Böses zu wollen. Nach elf Jahren ohne Regierungspraxis ist das auch kein Wunder.

sueddeutsche.de: Guido Westerwelle und andere Liberale nennen die Union abfällig "sozialdemokratisch". Ein Schimpfwort für Sie?

Huber: Westerwelle irrt: Christsoziale und Christdemokraten sind keine Sozialdemokraten. Im Übrigen empfinde ich das Attribut "sozialdemokratisch" nicht als Schmähung. Nach meinem Verständnis gehört es zu unserer funktionierenden Demokratie, dass zwei große und starke Volksparteien existieren: Die bürgerliche Union und eine Sozialdemokratie. Beide sind die Stabilitätsfaktoren der Bundesrepublik.

sueddeutsche.de: Jetzt klingen Sie sehr milde. Die SPD war stets der Lieblingsfeind der CSU.

Huber: Die SPD ist unser politischer Gegner, nicht unser Feind. Aber als selbstbewusster Konservativer kann ich offen sagen: Im Laufe ihrer Geschichte hat die Sozialdemokratie viel für die deutsche Demokratie geleistet.

sueddeutsche.de: Guido Westerwelle wittert jetzt sogar "Sozialismus" in der Sozialpolitik.

Huber: Gegen den Sozialismus hat sich die CSU immer gestellt. Aber 20 Jahre nach der Wende sollten wir nicht mehr das Vokabular des Kalten Krieges benutzen. Sachlichkeit wäre gerade in der Sozialpolitik angebracht. Hier geht es schließlich um Menschen.

sueddeutsche.de: Von der einstigen schwarz-gelben Traumhochzeit ist man also schnell im ernüchternden Ehe-Alltag angekommen.

Huber: Das ist wie im richtigen Leben: Der Honeymoon ist irgendwann vorbei, und dann ist man in der Wirklichkeit angekommen. Dann muss man beweisen, dass man geländetauglich ist.

sueddeutsche.de: In all ihren Forderungen beruft sich die FDP genauso wie Sie auf den Koalitionsvertrag. Liegt die Ursache der heutigen Streitereien darin, vor mehr als 100 Tagen einen unscharfen Vertrag formuliert zu haben, aus dem alles Mögliche herauszulesen ist?

Huber: Ein Koalitionsvertrag kann nie so präzise sein wie eine mathematische Formel. Deshalb gibt es ja mit dem Haushaltsvorbehalt einen Wegweiser. Das übersieht die FDP gern. Allerdings hätte man beim Vertrag vielleicht schon die mutmaßliche Entwicklung einer andauernden Wirtschaftskrise besser berücksichtigen müssen. Der vorliegende Koalitionsvertrag liest sich streckenweise wie ein Wunschkatalog.

sueddeutsche.de: Wir reden nun schon länger über Schwarz-Gelb. Doch ein Name ist noch gar nicht gefallen: Angela Merkel. Ist das symptomatisch? Sie spielt eine unauffällige Rolle im derzeitigen Koalitions-Gezänk.

Huber: Die Kanzlerin ist eine clevere Machttechnikerin und eine staatsmännisch orientierte Politikerin. Sie weiß, auch in dieser Koalition muss es Diskussionsspielraum geben. Deshalb ist der Ruf nach einem Machtwort verfehlt. Sie macht es richtig.

sueddeutsche.de: Einfach die Diskussion laufen zu lassen?

Huber: Nein, nicht laufen lassen. Sie hat das richtige Timing für das Machtwort. Da ist sie sehr gut.

sueddeutsche.de: Westerwelle dreht nun seit mehreren Tagen richtig auf ...

Huber: ... aber was nützt es der FDP?

sueddeutsche.de: ... und versucht offensichtlich, eine Entscheidung zu erzwingen. Er schadet doch damit mittelfristig auch der Koalition.

Huber: Westerwelle macht im Moment viel Lärm um nichts. Ich sehe keine konkreten Vorschläge in Sachen Hartz IV von ihm oder in der Gesundheitspolitik von Gesundheitsminister Rösler. Die FDP ist nervös. Sie ist noch beim Windmachen. Ich bin sicher, durch eine gute Begleitung der Kanzlerin findet der Koalitionspartner auf den rechten Weg zurück.

sueddeutsche.de: Die CDU versucht gerade, sich den Grünen anzunähern. Halten Sie Schwarz-Grün in Nordrhein-Westfalen für praktikabel?

Huber: In den Mini-Ländern Saarland und in Hamburg mag dieses Modell ja klappen - im bevölkerungsreichsten Bundesland ist das weitaus problematischer. Dazu kommt der bundespolitische Einfluss, den Nordrhein-Westfalen über das Gewicht im Bundesrat hat. Ich empfehle Zurückhaltung.

sueddeutsche.de: Und was ist mit Bayern und dem Bund?

Huber: Was Bayern betrifft, sehe ich eine unüberwindbare Distanz zwischen CSU und Grünen. Schauen Sie sich mal an, wie die giften! Im Bund sind die Grünen derzeit allein schon wegen ihrer Afghanistan-Politik nicht koalitionsfähig - sie haben ja vollends Abschied von Joschka Fischers Linie genommen. Auch in der Sozialpolitik, der Gesellschafts- und der Energiepolitik käme die Union mit den Grünen auf keinen gemeinsamen Nenner.

sueddeutsche.de: 2013, nach der nächsten Bundestagswahl, kann es ganz anders aussehen.

Huber: Auch dann halte ich Schwarz-Grün nicht für ratsam. Wir müssten uns total verbiegen. Und wenn wir Konservativen eines nicht tun dürfen, dann unsere Grundsätze aufzugeben. Regieren um jeden Preis kann nicht das Prinzip seriöser Politik sein.

sueddeutsche.de: Ein großes Hindernis für Schwarz-Grün war bislang der forcierte Abschied von der Kernkraft. Genau den empfiehlt neuerdings der christdemokratische Umweltminister Norbert Röttgen.

Huber: Ich rate Norbert Röttgen, seine Politik nicht nach taktischen Überlegungen auszurichten, sondern nach energiepolitischen Notwendigkeiten.

sueddeutsche.de: Was bedeutet das konkret in Bezug auf Restlaufzeiten deutscher Meiler?

Huber: Dass Röttgens Limitierung der Laufzeiten auf 40 Jahre nicht einleuchtend ist. Wir sollten die Kernkraftwerke betreiben, solange die einzelnen Reaktoren sicher sind. Da kann man politisch kein Enddatum setzen. Die CSU ist dagegen, Energiepolitik unter dem Diktum kurzsichtiger parteipolitischer Erwägungen zu machen.

sueddeutsche.de: Vorsicht: Sie könnten als Löwe starten und als Bettvorleger enden.

Huber: Energiepolitik ist eine zentrale Frage der Zukunft eines Industrielandes. Wir werden da nicht wackeln.

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