Süddeutsche Zeitung

Erstwähler bei Griechen-Referendum:Jugend in der Dauerkrise

Lesezeit: 4 min

Eigentlich sollte es der beste Sommer ihres Lebens werden: Stavros und Achilleas haben gerade die Abschlussprüfungen bestanden und bis zum Uni-Beginn sind es noch fast vier Monate. Doch nun redet ganz Griechenland über das Referendum über die internationalen Sparvorgaben. Bei der vergangenen Wahl im Januar durften beide noch nicht abstimmen, doch nun entscheiden sie mit über den Kurs des Landes.

Von Matthias Kolb, Athen

Stavros: Ich werde mit "Nein" stimmen

Wenn ich gekonnt hätte, dann hätte ich im Januar Alexis Tsipras und Syriza gewählt. Heute werde ich mein Kreuz bei "Ochi" machen, denn ich finde, dass wir Griechen uns nicht allem fügen müssen, was man uns vorschreibt.

Ich glaube, dass Europa berücksichtigen wird, was das griechische Volk zu sagen hat. Anders als es die privaten TV-Kanäle hier behaupten, geht es schließlich bei dem Referendum nicht um "Euro oder Drachme", sondern um den jüngsten Austeritätsplan. Ich finde, dass man Tsipras eine Chance geben muss, denn den Vorgänger-Regierungen war es wichtiger, an der Macht zu bleiben, als etwas für das Volk zu tun. Tsipras geht es um uns Griechen, er will einen besseren Deal erzielen. Mit meinen Eltern habe ich nicht viel über die Abstimmung gesprochen: Sie stimmen auch mit "Nein".

Natürlich macht es mich wütend und traurig, dass meine Jugend von dieser ständigen Krise geprägt wurde. Aber ich hoffe, dass wir das überwinden können, wenn wir Griechen zusammen stehen. Leider haben wir uns zu oft auseinander dividieren lassen. Es gab überall zwei Lager: Die Sozialisten der Pasok gegen die Konservativen von Nea Dimokratia in der Politik, beim Fußball Panathinaikos Athen oder Olympiakos Piräus oder früher Königstreue gegen die Anhänger einer Republik.

Alte Fehler nicht wiederholen

Wir sollten aus den Fehlern der Geschichte lernen, und hoffentlich wird es von Montag an besser. Unsere Probleme mit Korruption und Vetternwirtschaft sind groß, aber daran sind alle Regierungen schuld, egal ob die Konservativen oder die Sozialisten den Premierminister stellten. Die Generation meiner Eltern hatte goldene Jahre, in denen es für alle wirtschaftlich nach oben ging - doch das Wachstum war nicht nachhaltig und wir Jungen müssen den Preis dafür zahlen.

Dass das Image Griechenlands schlecht ist, habe ich natürlich mitbekommen. Eine Freundin aus dem Ausland hat mir neulich im Chat geschrieben: "Bist du in Sicherheit? Habt ihr genug zu essen?" So schlimm ist es nicht, ich denke, dass die ausländischen Medien hier übertreiben. Aber unsere Medien sind nicht besser, denn die sind klar parteiisch und viele sind sehr misstrauisch.

Ich werde von Herbst an Europäische Wirtschaftswissenschaften an der Athens University of Economy and Business studieren. Mich interessieren die ökonomischen Zusammenhänge sehr, ich will das genauer verstehen. Im Sommer werde ich noch auf der Insel Andros Urlaub machen und hoffentlich kann ich mich auch ein wenig von der Politik erholen. Alles beruhigt sich hoffentlich ein wenig, aber es wird noch Jahre dauern, bis es uns besser geht.

Ich werde am Sonntag einen ungültigen Wahlzettel abgeben, um so meinen Protest deutlich zu machen. Eigentlich würde ich mit "Ja" stimmen, aber die Befürworter und die privaten TV-Kanäle verbreiten so viel Propaganda, dass ich mich nicht ernst genommen fühle. Ich will selbst denken, und mir nichts vorschreiben lassen. Über die Argumente der "Nai"-Befürworter wird fünf Mal mehr berichtet als über die Argumente von Syriza und Premier Tsipras.

Trotzdem kommt "Ochi", also ein "Nein", für mich nicht in Frage, weil dies den Ausstieg aus der Eurozone bedeuten würde. Griechenland ist ein kleines Land und wir brauchen Verbündete, wir sind nun mal nicht die USA und können nicht allein alles richten.

Die Austeritätspolitik und die Schuldenkrise haben meine ganze Jugend bestimmt: Seit ich 13 bin und angefangen habe, mich selbst zu informieren, ist das Thema allgegenwärtig. Mit meinen Freunden rede ich nicht so viel über die Krise, wir sind Teenager, da gilt Politik nicht als cool. Auch dieser Sommer vor dem Studium, der der beste meines Lebens werden sollte, wird davon überschattet. Wenn ich meinen Kindern vom Sommer 2015 erzähle, dann werde ich sagen: 'Das war der Sommer mit dem Referendum, als das Land völlig gespalten war.'

Natürlich bin ich manchmal wütend und frage mich, warum ich ausgerechnet im Krisen-Griechenland geboren wurde. Aber ich bin nicht wütend auf die EU-Institutionen. Ich kann verstehen, dass die etwas verlangen im Gegenzug für die Kredite. Und wenn wir ehrlich sind, dann hat es mit der Korruption und Klientelwirtschaft schon 1981 angefangen. Bis heute erscheint es vielen Politikern normal, dass sie ihre Verwandten mit Posten versorgen. Erst vor zwei Wochen wurde der Neffe des Gesundheitsministers von Syriza als Assistenzarzt eingestellt. Die Stelle ist nur für ein Jahr, aber viele finden das schäbig. Unser öffentlicher Sektor ist aufgebläht, weil die jeweilige Regierungspartei immer ihre Anhänger versorgt hat.

Warum ist die Bild-Zeitung so böse zu uns Griechen?

Ich glaube auch, dass ein Grund für die Krise darin liegt, dass immer nur Professoren oder Beamte Minister für Finanzen oder Wirtschaft geworden sind. Mit Varoufakis ist das doch auch so: Er ist wirklich smart, das muss ich zugeben, obwohl ich ihn arrogant finde. Aber er kennt alles nur aus der Theorie und nicht aus der Praxis: Er hat nie in einer Bank gearbeitet.

Was ich gerne wissen würde: Warum ist die Bild-Zeitung so feindlich gegenüber uns Griechen? Die Mehrheit der Griechen sind doch Opfer, und wir leiden genauso unter jener Klientelwirtschaft, die auch Bild beklagt. All diese falschen Klischees führen doch zu keiner Lösung. Das Titelbild vom Focus mit der Aphrodite, die den Mittelfinger zeigt, war noch schlimmer: Das kennt jeder Grieche und ich fand es wirklich schrecklich.

Ich wünsche mir noch aus einem anderen Grund, dass Griechenland in der Eurozone bleibt: Wenn wir austreten und die Drachme wieder einführen, dann wird niemand mehr darauf achten, dass sich hier im Land etwas verbessert. Wenn es nach mir geht, dann sollten die Geldgeber der Regierung noch viel genauer auf die Finger schauen - und vor allem darauf achten, dass auch die Reichen ihren Teil beitragen. Die haben doch von all den fehlenden Kontrollen profitiert.

Wenn die "Ja"-Seite gewinnt, dann werden auch die nächsten fünf Jahre sehr schwierig werden, fürchte ich. Ich werde bald Ökonomie an der Athens University of Economy and Business studieren. Auch meinen Master würde ich gern in Griechenland machen, aber ich habe mir fest vorgenommen, an der Uni Deutsch oder Französisch zu lernen. Ich will die Option haben, im Ausland studieren oder arbeiten zu können. Viele meiner Freunde denken so, und ich bin mir sicher, dass auch meine Eltern mich unterstützen werden, wenn es hier keine Zukunft mehr für junge Leute gibt.

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