Erster Weltkrieg:Der weltweite Krieg der weißen Männer

Deutsches Flugzeug über den Pyramiden, 1918

Ein deutsches Flugzeug über den Pyramiden bei Gizeh. Rechts ein weiterer deutscher Flieger zu sehen. Die Aufnahme entstand im letzten Kriegsjahr 1918.

(Foto: Süddeutsche Zeitung Photo)

Von Afrika, über den Nahen Osten bis zum Pazifik: So global tobte der Erste Weltkrieg zwischen 1914 und 1918.

Von Jakob Wetzel

Der Krieg kam unverhofft in das kleine Dorf im Süden von Nigeria. "Eines Nachts kehrten wir von unserer Yams-Farm zurück nach Hause, da rief uns der Häuptling zu sich", erinnerte sich später ein Einheimischer namens Nwose. Ein Bote der britischen Kolonialregierung war 1914 ins Dorf gekommen. Nwose wusste nicht, was geschehen war, aber sein Häuptling und der Bote sagten, "der weiße Mann habe nach uns geschickt und deshalb müssten wir gehen". Er ging.

Nach drei Tagen Marsch erreichte er das Lager der Briten. "Viele andere waren schon dort. Der weiße Mann schrieb unsere Namen in ein Buch, band uns nummerierte Messingstücke um den Hals und gab jedem Essen und eine Decke."

Inder und Türken bekämpfen sich in Mesopotamien

Nwose erhielt die Nummer 1475, aber um was es ging, erfuhr er erst danach: "Dann sagte er, wir würden in den großen Krieg ziehen, um den Soldaten des Königs zu helfen. Sie würden die Deutschen daran hindern, in unser Land zu kommen und es zu verbrennen. Und dann brachen wir auf, in den Busch." Für eine Umkehr war es zu spät: Voran ging die Regierungspolizei, "sie passte auf, dass niemand zurückblieb".

Nwose diente fortan als Träger im britischen Southern Nigeria Carrier Corps. Im Gefolge seiner Kolonialherren musste er ins Nachbarland ziehen, in die deutsche Kolonie Kamerun. Er trug Munition und Verpflegung auf seinen Schultern, quälte sich durch den Regenwald, watete durch Flüsse, wurde verwundet und wieder nach Hause geschickt. Die Briten führten ihn als "volunteer", als Freiwilligen. Tausende andere Afrikaner hatten sie mit vorgehaltener Waffe zum Dienst gezwungen.

Der Erste Weltkrieg: Er war auch ein afrikanischer Krieg. In seinem Kern mag er europäisch gewesen sein: entstanden aus der Rivalität europäischer Mächte, entzündet auf dem Balkan, ausgetragen zwischen europäischen Machtblöcken auf Schlachtfeldern in Frankreich, Flandern, Italien und Russland. Eine "europäische Tragödie" hat ihn der Militärhistoriker John Keegan genannt. Aber er war mehr als das. Er war eine europäische, eine afrikanische, eine globale Tragödie: ein Weltkrieg.

Afrikaner und Asiaten starben im Kampf um deutsche Kolonien. Deutsche Kriegsschiffe kaperten Handelsschiffe im Pazifik und beschossen Stützpunkte in Indien und Britisch-Malaya. Inder und Türken bekämpften sich in Mesopotamien. Japanische Marinesoldaten stürmten deutsche Stellungen in China.

Bayerische Flieger und hessische Infanteristen schossen in Palästina auf arabische Milizen. Und auf den Schlachtfeldern Europas verbluteten Australier und Neuseeländer, Kanadier, Kreolen und Südafrikaner, Somalier und Senegalesen, Madegassen, Inder und Indochinesen, Algerier, Tunesier, Marokkaner und schließlich auch Amerikaner.

Dass der Krieg binnen kurzer Zeit große Teile der Welt erfasste, lag daran, dass Frankreich, Großbritannien und Deutschland jeweils Territorien in Übersee besaßen. "When the King is at war, the Empire is at war", hieß es in London. Gleiches galt für das französische Kolonialreich: Ein Krieg des "Mutterlands" bedeutete automatisch Krieg auch für die Kolonien. Und auch die britischen Siedlerkolonien Australien, Neuseeland, Kanada, Neufundland und Südafrika, die sich weitgehend selbst verwalten durften, beteiligten sich, ausnahmslos.

Dass der Krieg über Europa hinausgriff, lag aber auch am Kriegseintritt des Osmanischen Reichs: eines riesigen Gebildes, das zwar in mehreren Kriegen bereits arg geschrumpft war, sich aber noch immer von Nordafrika bis zum Irak und vom Kaukasus bis zum Persischen Golf erstreckte. Obwohl das Bündnis mit dem Osmanischen Reich nur zögerlich zustande gekommen war, hegten Kaiser und Regierung in Berlin bald große Hoffnungen.

Die neuen Verbündeten sollten nicht nur die russische Armee beschäftigen, sondern auch Indien und den Sueskanal bedrohen, das Herz und das Rückgrat des Britischen Kolonialreichs. Deutsche Offiziere und Soldaten, Kriegsschiffe und Fliegerstaffeln sollten sie unterstützen. Und der Scheich ul-Islam von Konstantinopel tat sein Übriges: Am 14. November 1914 rief er zum "Dschihad", zum Heiligen Krieg gegen die Feinde des Deutschen und des Osmanischen Reiches. Muslimische Soldaten in britischen und französischen Diensten sollten die Waffen niederlegen oder am besten überlaufen.

Die Rechnung ging nicht auf. Dem Aufruf zum "Dschihad" folgten nur wenige. Und zwar band ein osmanischer Angriff zunächst tatsächlich russische Truppen im Kaukasus. Doch die Türken kämpften bald an drei Fronten. Im Süden, in Palästina, mussten sie sich gegen britische Soldaten und arabische Rebellen wehren. Im Osten, in Mesopotamien, marschierte eine britisch-indische Expeditionsarmee auf Bagdad zu. Und im Westen geriet gar die Hauptstadt Konstantinopel in Gefahr, als ein britisches und australisch-neuseeländisches Heer bei Gallipoli an den Dardanellen landete.

Kaum gesichertes Kolonialreich

Aus dieser Notlage konnten sich die Türken zwar befreien, die Invasion der Dardanellen wurde in einem monatelangen, blutigen Grabenkrieg zurückgeschlagen. Langfristig aber hatten die Osmanen den Angriffen von Briten, Indern und Arabern wenig entgegenzusetzen.

Als britisch-indische Truppen am 11. März 1917 Bagdad einnahmen, mussten die Regierungen in Berlin und Konstantinopel ihre Pläne für den Orient begraben. Und in Palästina folgte Rückschlag auf Rückschlag. Im Oktober 1918 baten die Türken um Waffenstillstand.

Das deutsche Kolonialreich war zu diesem Zeitpunkt längst von Soldaten der Entente besetzt worden. Zu Beginn des Krieges hatte die deutsche Regierung noch die Hoffnung gehegt, die Kolonien ließen sich aus den Kämpfen heraushalten.

Am 2. August funkte das Reichskolonialamt an die Gouverneure in den Territorien, die Mächte wollten den "österreichisch-serbischen Krieg" lokalisieren, die Siedler in den deutschen "Schutzgebieten" seien "außerhalb Kriegsgefahr".

Die Kolonialbeamten setzten auf das Vorbild der Kongo-Akte von 1885: Damals hatten sich die Mächte darauf verständigt, den Kongo im Falle eines europäischen Krieges als neutral zu betrachten. Zudem galt unausgesprochen ein rassistisches Einverständnis unter Imperialisten: Vor den Augen der Afrikaner würden sich die weißen Kolonialherren nicht gegenseitig umbringen - die Einheimischen könnten ja sonst auf dumme Gedanken kommen.

Aus deutscher Sicht war diese Hoffnung alles andere als uneigennützig. Denn die meisten deutschen Kolonien lagen nahezu schutzlos da. Sie waren umgeben von feindlichen Territorien, und ihre Besatzung war wenig mehr als eine kasernierte Polizeitruppe. Sie konnte zwar Aufstände bekämpfen; mit der Abwehr einer militärischen Invasion aber war diese "Schutztruppe" in jeder Hinsicht überfordert.

300 Verteidiger für Deutsch-Neuguinea

Entsprechend einseitig verlief der Krieg in den Kolonien. Zwei Tage nach dem zuversichtlichen Funkspruch des Reichskolonialamts erklärte Großbritannien dem Deutschen Reich den Krieg, vier Tage später bereits bombardierten britische Truppen die Telegrafenstation in Dar-es-Salam, der Hauptstadt der Kolonie Deutsch-Ostafrika.

Vor dem Ersten Weltkrieg herrschte der deutsche Kaiser über Gebiete in Afrika und Asien, die zusammen fast sechs Mal so groß waren wie das damalige Deutsche Reich in Europa. In Kiautschou in China unterhielt Deutschland den Flottenstützpunkt Tsingtao.

Ein Teil von Neuguinea sowie Samoa und weitere, kleinere Inseln im Pazifik wurden von Deutschen regiert, ebenso Togo, Kamerun, Deutsch-Südwestafrika (das heutige Namibia) sowie Deutsch-Ostafrika, das in etwa dem heutigen Tansania, Burundi und Ruanda entspricht.

Abgesehen von Deutsch-Ostafrika, wo der Kommandeur Paul von Lettow-Vorbeck bis zum Ende des Krieges einen rücksichtslosen Buschkrieg gegen Briten, Inder und Südafrikaner führte, gingen diese Besitzungen rasch verloren. Die deutschen Verteidiger in Togo und auf Samoa kapitulierten noch im August 1914, im ersten Kriegsmonat.

In beiden Kolonien war vor dem Krieg kein Militär stationiert gewesen; dabei war zumindest Togo strategisch bedeutend: Die Deutschen hatten hier eine für ihr gesamtes afrikanisches Kolonialreich wichtige Funkanlage betrieben. Damit sie nicht in die Hände der heranrückenden britischen und französischen Soldaten fiel, zerstörten sie die Anlage selbst. Die deutschen Kolonien in Afrika waren fortan von Nachrichten aus Berlin weitgehend abgeschnitten.

Neuguinea kapitulierte im September. Hier hatten sich etwa 300 Verteidiger um eine Funkstation eingegraben, 240 davon einheimische Melanesier. Sie waren hastig eingezogen worden, viele hatten noch nie ein Gewehr benutzt. Als im September 6000 australische Soldaten auf Neuguinea landeten, kam es unter den Melanesiern zu Meutereien: Der Krieg gehe sie nichts an, es sei ein Kampf zwischen Weißen. Der deutsche Gouverneur gab auf.

Die kleinen Inseln Mikronesiens oder im Bismarck-Archipel wurden kampflos von Australiern, Briten und Japanern besetzt.

Der Weltkrieg in Ostafrika endet erst Wochen nach dem Waffenstillstand in Europa

Zu diesem Zeitpunkt war die deutsche Marinefestung Tsingtao im Nordosten Chinas bereits von japanischen Soldaten eingeschlossen. Japan war seit 1902 mit Großbritannien verbündet und sah sich auf dem Weg zur asiatischen Großmacht. Die deutsche Kolonie zu erobern schien eine gute Gelegenheit, sich zu beweisen.

Am 23. August erklärte Japan Deutschland den Krieg, wenig später landeten japanische Soldaten mit britischer Unterstützung in China. Sie verletzten damit dessen Neutralität, aber das nahmen die Politiker in London und Tokio in Kauf: Für einen Angriff von See her war Tsingtao zu gut befestigt.

Doch auch auf der Landseite zog sich die Belagerung hin. Die etwa 6000 deutschen Soldaten hatten sich eingegraben. Am Ende ging den Verteidigern, die sich von ihren Stellungen bereits in die Stadt zurückgezogen hatten, die Munition aus. Die Besatzung kapitulierte am 7. November.

Für das in Tsingtao stationierte deutsche Ostasiengeschwader endete der Krieg ebenfalls noch 1914. Es war ausgelaufen, bevor Japaner und Briten den Belagerungsring geschlossen hatten. Eines der Schiffe, die "Emden", stiftete fortan Unruhe vor der indischen Küste, versenkte zwei Kriegsschiffe und brachte 23 Handelsschiffe auf, bis sie im November 1914 vor den Kokosinseln von einem australischen Kreuzer überrascht und versenkt wurde.

Das übrige Geschwader steuerte Chile an, lieferte sich mehrere Gefechte mit der britischen Marine und wurde schließlich im Dezember 1914 vor den Falkland-Inseln aufgerieben.

In Afrika dagegen leistete die deutsche "Schutztruppe" verhältnismäßig lange Gegenwehr. In Deutsch-Südwestafrika standen etwa 5000 deutsche Soldaten und Reservisten mehreren Zehntausend überlegen ausgerüsteten Südafrikanern gegenüber: Die Invasoren hatten bessere Karten, modernere Waffen und schnellere Transportmittel. Fuhren die Südafrikaner mit gepanzerten Lastwagen, mussten sich die Deutschen mit Ochsenkarren behelfen.

Zugute kam den Verteidigern nur, dass die südafrikanischen Buren rebellierten, weil sie Deutschland als Verbündeten sahen, nicht als Feind. Doch der Aufstand verzögerte nur das Unvermeidliche: Ende Januar 1915 hatten sich die letzten Buren ergeben, am 4. Juli 1915 kapitulierte der deutsche Gouverneur vor den nahenden Südafrikanern.

In Kamerun zog sich der Krieg bis Dezember hin, dabei war die Lage aus deutscher Sicht ebenso aussichtslos. Gleich zu Beginn des Krieges hatte sich die "Schutztruppe" ins Hochland von Adamaua im Norden Kameruns zurückgezogen.

Flucht in die spanische Kolonie

Dass die Verteidiger dort mehr als ein Jahr ausharren konnten, lag nur daran, dass Briten und Franzosen die Deutschen im Süden suchten, im Gebiet um die Hauptstadt Jaunde. Als sie der "Schutztruppe" schließlich mehr durch Zufall nahekamen, floh diese einmal quer durch Kamerun ins neutrale Spanisch-Guinea.

So hielten die Deutschen zu Beginn des Jahres 1916 nur noch Deutsch-Ostafrika. Im November 1914 hatte die "Schutztruppe" hier eine Invasion indischer Soldaten bei Tanga im Nordosten der Kolonie zurückgeschlagen. Nach der Kapitulation Kameruns und Südwest-Afrikas aber stand sie auf verlorenem Posten.

Im März 1916 rückten große südafrikanische Verbände ein und übernahmen die Kontrolle, die deutschen Verteidiger unter dem Kommandanten Paul von Lettow-Vorbeck schlugen sich in den Busch, hielten aber durch. Die letzten Verbände kapitulierten erst am 25. November 1918, als in Europa längst Waffenstillstand herrschte.

Der Krieg Lettow-Vorbecks sorgte im Deutschen Reich für euphorische Zeitungsmeldungen - mehr aber auch nicht. Die deutsche Regierung maß ihm nur geringe Bedeutung bei.

Der Krieg in den Kolonien war nachrangig. Sie war überzeugt, das Kolonialreich sei ohnehin nicht zu verteidigen, und über die Zukunft der Kolonien werde nicht im Busch, sondern in Europa entschieden. Ein Sieg über Frankreich und Großbritannien, und alle verlorenen Gebiete in Übersee würden zurückgegeben.

In Deutschland sorgt der Einsatz afrikanischer Soldaten für Empörung

Doch auch in Europa machten sich die Kolonien bemerkbar: als Lieferanten von Rohstoffen und Lebensmitteln sowie als Reservoir für Soldaten. Allein in den britischen Siedlerkolonien zogen weit mehr als eine Million Männer in den Krieg, viele davon freiwillig.

Darüber hinaus kämpften auf Seiten Frankreichs und Großbritanniens mehr als 640.000 Kolonialsoldaten allein in Europa, vor allem Inder, Algerier und Westafrikaner, in Verbänden wie den "Indian Expeditionary Forces", den "King's African Rifles" oder den "Tirailleurs Sénégalais". Mehr als 400.000 Asiaten und Afrikaner wurden zusätzlich in Europa als Arbeiter in der Kriegsindustrie eingesetzt.

Auf die deutschen Soldaten hinterließen besonders die etwa 140.000 schwarzafrikanischen Frontsoldaten Eindruck. Sie wurden von ihren Kolonialherren bevorzugt zum Sturm auf feindliche Stellungen eingesetzt: Ihren Tod nahmen die Kommandeure bereitwilliger in Kauf als den der europäischen Landsleute. Aber auch die französischen Soldaten lernten ihre afrikanischen Kameraden fürchten. Sie wussten: Wenn sie Verstärkung von Kolonialverbänden erhielten, stand mit großer Wahrscheinlichkeit ein Sturmangriff bevor.

In Deutschland sorgte der Einsatz afrikanischer Soldaten für Empörung. Im September 1914 schwadronierte Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg vor US-amerikanischen Journalisten über üble "Folgen für die Kulturgemeinschaft der weißen Rasse", wenn man "die afrikanischen Neger zum Kampfe gegen die deutschen Kolonien" führe. Afrikaner auf Europäer schießen zu lassen, das müsse grundsätzlich tabu bleiben.

Ähnlich äußerten sich deutsche Literaten und Wissenschaftler in einem international verbreiteten Aufruf "an die Kulturwelt". Im Ausland stießen diese Bedenken auf offene Ohren. Als dann die ersten Kolonialsoldaten auf europäischen Schlachtfeldern gesichtet wurden, waren die deutschen Zeitungen hin- und hergerissen zwischen überheblicher Belustigung - die Reichswehr werde den "Wilden" schon überlegen sein - und verschrobenen Gräuelmärchen über Kannibalen und dunkelhäutige Monster, die getöteten Feinden verschiedene Körperteile abschneiden und keine Gefangenen machen würden.

Bei den Soldaten zeigte diese Propaganda durchaus Wirkung. Es sind vereinzelt Fälle bekannt, in denen sich deutsche und indische Soldaten verbrüderten oder etwa Zigaretten tauschten, während sie Tote vom Schlachtfeld bargen. Ungleich häufiger aber tauchte die bange Frage auf, ob auf der Gegenseite Afrikaner kämpfen würden, wenn deutsche Verbände einen neuen Frontabschnitt bezogen. Hin und wieder flüchteten Soldaten in Panik, wenn sie afrikanische Truppen sahen. Und es kam vor, dass Soldaten, die von Kolonialverbänden bedrängt wurden, selbst in aussichtsloser Lage ausharrten, bis Franzosen oder Briten eintrafen. Erst dann wagten sie es, sich zu ergeben.

Kolonialsoldaten in Europa, Gefechte auf allen Kontinenten: Der Weltkrieg war in mehrfacher Hinsicht ein globaler Krieg. Und er hatte auch globale Folgen.

Der Zusammenbruch des Osmanischen Reiches etwa zeichnete einen Großteil der Probleme vor, die bis heute den Balkan und den Nahen Osten quälen. In der Türkei entstand ein Nationalstaat, der keine Rücksicht auf ethnische Minderheiten nahm. In Südosteuropa und im Kaukasus mussten Muslime vor Nationalisten fliehen, entstanden ist ein schwer zu lösender Knoten aus Identitäten und religiös-nationalistischen Strömungen.

In Palästina und Arabien stifteten nicht zuletzt die europäischen Kolonialmächte Unheil. Um sie als Verbündete zu gewinnen, hatten britische Militärs und Diplomaten einzelne Volksgruppen gegeneinander ausgespielt, etwa sowohl Arabern als auch Juden eine Heimstatt in Palästina versprochen. Beide Versprechen wurden zwangsläufig gebrochen. Tatsächlich hatte die britische Regierung den arabischen Raum insgeheim mit Frankreich in Interessensphären aufgeteilt.

szw

Dieser Text stammt aus dem SZ-Buch "Menschen im Krieg". Unter sz-shop.de. 24,90 €, für SZ-Abonnenten 21,10 €

Ähnlich sprang London mit Britisch-Indien um. Im Jahr 1917 versprach die Regierung den Indern als Gegenleistung für ihre Kriegsbemühungen die innere Selbstverwaltung. Doch nach dem Krieg war dieses Versprechen wenig wert, die wichtigen Politikfelder blieben in britischer Hand. Und doch: In Indien war etwas in Bewegung geraten, das Wort von der Selbstregierung stand im Raum, zum ersten Mal.

Auch in Afrika kamen nun verstärkt Forderungen nach einem Ende der Kolonialherrschaft auf. Der Krieg hatte den Kontinent wirtschaftlich in Mitleidenschaft gezogen, weit mehr als eine Million Afrikaner waren gestorben. Jetzt kehrten Tausende Kolonialsoldaten zurück in ihre Heimatländer. Sie hatten ihr Leben riskiert, hatte Verwandte sterben sehen, hatten Schulter an Schulter mit europäischen Soldaten gekämpft.

Deutsche Kolonien: Neuaufteilung statt Unabhängikeit

Jetzt erwarteten sie zumindest Anerkennung - wurden aber weiterhin diskriminiert. In den Kolonien gärte es. Auf mehreren panafrikanischen Kongressen solidarisierten sich afrikanische Nationalisten und forderten die europäischen Kolonialmächte auf, die Einheimischen an der Regierung zu beteiligen. Sie beriefen sich dabei nicht zuletzt auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker, das der US-amerikanische Präsident Woodrow Wilson öffentlich zum Leitgedanken seiner "14 Punkte" erhoben hatte.

Erfolg hatten diese Forderungen nicht, im Gegenteil: Die ehemals deutschen Kolonien wurden formell unter Völkerbundmandat gestellt, faktisch aber unter den Siegermächten des Ersten Weltkriegs aufgeteilt. China, Japan, Neuseeland, Großbritannien, Australien, Frankreich, Belgien, Portugal und Südafrika, sie alle bekamen Gebiete als Mandate zugewiesen.

Die Aufteilung Afrikas, sie erreichte einen neuen Höhepunkt. Und doch wehte ein erster Hauch eines neuen Windes durch Afrika: eine Vorahnung der Unabhängigkeit.

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