Erster Weltkrieg:Das Grauen von Verdun, verschnürt zwischen Pappdeckeln

Lesezeit: 1 min

Deutsche Soldaten auf dem Marsch an die Front bei Verdun. (Foto: SZ Photo)

Im Mai 1916 zog ein bayrisches Regiment mit 3000 Soldaten in die Schlacht um Verdun. Fünf Tage später war jeder dritte tot, verwundet oder vermisst. Die SZ hat die Regimentsakten erstmals vollständig ausgewertet.

Von Hubert Wetzel

"Um 14.00 Uhr erfolgt der Befehl zum Angriff. Am helllichten Tag müssen die Kompanien in einen scharfen Eisenhagel des Sperrfeuers. In zwei Maschinengewehr-Besatzungen fliegt beim Vorgehen eine Granate, tötet zwei Mann und verwundet die übrige Besatzung. Die Patronenkästen werden zerfetzt." (Aus dem Kriegstagebuch einer bayerischen MG-Kompanie in der Schlacht von Verdun)

Vor 100 Jahren begann die Schlacht um Verdun. Am Morgen des 21. Februar 1916 eröffneten mehr als 1200 deutsche Geschütze das Feuer und ließen Granaten auf die französischen Verteidiger regnen. Nie zuvor hatte der Mensch einen solchen Höllenbrand entfacht. Zehn Monate lang sollte er nicht mehr verlöschen.

Es gab schon vor Verdun schreckliche Schlachten, und es folgten noch blutigere. Doch in Verdun begann eine neue Art von Grauen. Verdun war die erste große Materialschlacht - eine Schlacht, in der verzweifelte Männer versuchten, sich gegen rasende Maschinen zu wehren, die ohne Unterlass und ohne Gnade den Tod spien. Und Verdun war die erste große Abnutzungsschlacht - eine Schlacht, die, so behaupteten später die Generäle, begonnen worden war, um wie ein Fleischwolf zu arbeiten, in den der Feind seine Soldaten warf und in dem diese zu blutigem Brei zermalmt wurden.

Erster Weltkrieg
:Wahnsinn Westfront

Bald nach Kriegsbeginn 1914 erstarrte die Westfront. Von der Kanalküste bis zur Schweizer Grenze gruben sich die Deutschen ein, ebenso Franzosen, Briten und deren Verbündete auf der anderen Seite. Was folgte, war ein Novum: Der Einsatz von Giftgas, Panzern und Artillerie tötete Hunderttausende.

An den Meldezetteln klebt noch der Lehm von Verdun

Eines der Regimenter, die bei Verdun kämpften, war das Königlich Bayerische 15. Infanterie-Regiment. Es zog am 23. Mai 1916 mit etwa 3000 Mann in die Schlacht. Fünf Tage später waren mehr als 1000 dieser Männer tot, verwundet oder vermisst.

Was die Soldaten in diesen Tagen durchmachten, kann man heute noch in den Akten des Regiments nachlesen, die im Kriegsarchiv in München liegen und die nun von der Süddeutschen Zeitung zum ersten Mal vollständig ausgewertet wurden. Zwei Dutzend Aktenbündel, jedes vollgestopft mit Hunderten Seiten Papier, zusammengehalten von brüchigen Schnüren.

Man findet dort Kriegstagebücher, akkurat geführt in gestochener Schreibschrift, und Meldezettel, an denen noch der Lehm von Verdun klebt: nüchterne Angriffsbefehle und Gefechtsberichte, höfliche Hilferufe nach Wasser und Sanitätern; man findet handgezeichnete Stellungskarten, graue Notizblätter, auf denen Offiziere die Toten und Verwundeten zusammengezählt haben, und düstere Luftaufnahmen von Kraterfeldern.

Ein einzelnes Regiment, einige Hundert Meter Front, ein paar Tage im Mai 1916 - damit befassen sich die Akten. Und doch enthalten sie, verschnürt zwischen staubschwarzen Pappdeckeln, den ganzen "Schrecken und Jammer" der Schlacht um Verdun.

© sz.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusErster Weltkrieg: Die Schlacht um Verdun
:"Ja, wie sie dalagen"

Zwei Tote für jeden Meter Landgewinn: Die Schlacht von Verdun, die vor 100 Jahren begann, war eine der schrecklichsten der Geschichte. Akten eines Regiments lassen das Grauen erahnen.

Von Hubert Wetzel
Jetzt entdecken

Gutscheine: