Erste türkischstämmige Ministerin:Bis nach oben

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Aygül Özkan ist die erste deutsche Ministerin mit türkischen Eltern - und ausgerechnet von der CDU. Eine historische Entscheidung.

Roland Preuß

Türkische Zeitungen drucken nur sehr selten deutsche Schlagzeilen. Am Dienstag aber war es so weit: "Dankeschön Frau Merkel" titelte das Massenblatt Hürriyet in seiner Deutschland-Ausgabe und ließ die CDU-Vorsitzende hochleben, weil ihre Partei die Deutsch-Türkin Aygül Özkan in Niedersachsen zur Ministerin gemacht hat. Die neue Zweisprachigkeit rechtfertigte die Redaktion mit der "historischen Entscheidung" - zu recht.

Aygül Özkan ist zur ersten türkischstämmigen Ministerin in Deutschland berufen worden. (Foto: Foto: dpa)

Erstmals gelangt mit Özkan jemand mit türkischen Eltern in ein deutsches Regierungsamt, als Sozial- und Integrationsministerin. Die Berufung ist eine Ermutigung für die 15 Millionen Zuwanderer und ihre Kinder, vor allem aber für die etwa drei Millionen Türken und Deutsch-Türken: Ihr könnt es bis nach oben schaffen.

Dass es ein türkischstämmiger Politiker irgendwann zum Minister bringen würde, war zu erwarten. Dass die CDU diesen Schritt als Erstes tut, ist eine Überraschung. Ausgerechnet die Partei, die das Christliche im Namen und eine erschwerte Zuwanderung im Programm stehen hat, holt eine Muslimin als Ressortchefin.

Doch das gewagte Manöver könnte sich auszahlen: Bei den liberal eingestellten Einheimischen kann sich die CDU damit als weltoffen präsentieren, bei den Zuwanderern kann sie sich als neue politische Heimat für Migranten darstellen. Sie zapft damit ein wachsendes Wählerpotential an: Gut vier Millionen Zugewanderte besitzen bereits den deutschen Pass, etwa 600000 von ihnen haben türkische Wurzeln - und jedes Jahr kommen fast 100000 Neudeutsche durch Einbürgerung hinzu. Die Berufung Özkans ist deshalb vor allem ein taktischer Schritt.

Es hat lange gedauert, bis die Christdemokraten bereit waren, diese Menschen auch als Chance zu begreifen. In der Kohl-Ära existierten die vermeintlichen Gastarbeiter vor allem als Problemtürken, als Verfügungsmasse im Ringen um Wählerstimmen. Franz Josef Strauß warnte damals vor einem Zustrom von "Kanaken", Kohl lehnte 1993 nach dem tödlichen Brandanschlag auf Türken in Solingen einen Besuch ab mit dem Satz, er halte nichts von "Beileidstourismus", und CDU-Innenminister Manfred Kanther wetterte gegen den Vorschlag, Zuwanderer-Kinder sollten wenigstens bis zur Volljährigkeit zwei Pässe behalten dürfen: "Soll dann der junge Türke unter dem Brandenburger Tor seinen deutschen Pass verbrennen?" Solche Sätze haben Wunden geschlagen, sie sind vielen Deutsch-Türken bis heute befremdlich in Erinnerung. Erst nach Kohls Abgang 1998 bahnte sich ein Wandel an, wurden Zuwanderung und Integration als CDU-Themen entdeckt, mit denen sich punkten lässt, wurde ernsthaft versucht, einen Deutsch-Türken, Bülent Arslan, für den Bundestag zu nominieren.

Die Integrationskräfte einer Volkspartei

Natürlich läuft dieser Prozess nicht konfliktfrei ab. Hessens Ministerpräsident Roland Koch entfachte eine Kampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft und gewann damit 1999 die Landtagswahl; Jahre später half ihm das Polemisieren gegen ausländische jugendliche Straftäter nichts mehr. Aber Bülent Arslans Kandidatur scheiterte 2001 am Widerstand der CDU-Basis, wo bis heute große Skepsis gegenüber Deutsch-Türken herrscht. Ihre Zukunft ist den meisten Parteimitgliedern kein Herzensanliegen, sie sind allenfalls als Wähler von Nutzen. Die Parteiführung aber setzt auf die Integrationskräfte einer Volkspartei, die in ihrer Geschichte schon andere große Gruppen in ihre Reihen aufgenommen hat. Konrad Adenauer gelang es, in den Anfangsjahren der Bundesrepublik die Millionen Vertriebenen weitgehend für sich zu gewinnen. Ihre Vertreter ließ er an prominenter Stelle Politik machen, seine Sozialpolitik ebnete ihnen den Weg für ein neues Leben in Westdeutschland. Viele von ihnen machten Karriere.

Ein ähnliches Angebot macht die CDU nun den heutigen Zuwanderern. Vergangenes Jahr rief der nordrhein-westfälische Integrationsminister Armin Laschet die Aufsteiger-Republik aus - eine Idee, der sich erst vergangene Woche die Berliner Landes-CDU in einem liberalen Integrationskonzept anschloss. Auch mit Muslimen teile man doch einige Werte, heißt es da, etwa den Respekt für die Familie, aber auch Gesetz und Ordnung. Die neue Ministerin Özkan passt gut in dieses Bild: Sie hat es mit Fleiß zu etwas gebracht. Die Juristin war Führungskraft bei der Telekom und trat der CDU bei, weil deren Programm ihren eigenen Grundüberzeugungen entspricht.

Diesem Modell hat die SPD derzeit wenig entgegenzusetzen, zu wenig, um ihre traditionell hohen Zustimmungswerte unter Migranten aus der Türkei und Südeuropa halten zu können. Es fehlen ihr bekannte Zuwanderer in Parlamenten und Regierungen sowie Köpfe, die die Integrations-Debatte mit bestimmen. Die Anziehungskraft eines Gerhard Schröder, der auch wegen seines Einsatzes für Doppelpass und den EU-Beitritt der Türkei viel Zuspruch erfuhr, schwindet, während die SPD mehr und mehr mit den Poltereien ihres Ex-Senators Thilo Sarrazin assoziiert wird. Der Hürriyet-Bericht lässt sich deshalb auch als Warnung an die SPD lesen, ihrer Zuwanderungspolitik endlich ein Gesicht zu geben. Denn die zweite Schlagzeile zu Aygül Özkan lautet: "Unsere erste Ministerin".

© SZ vom 21.04.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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