Bundesregierung:Die Ampel streitet wieder

Bundesregierung: Zum Beispiel die JVA Plötzensee: Ein Haus ist dort reserviert für die Schuldner von Geldstrafen.

Zum Beispiel die JVA Plötzensee: Ein Haus ist dort reserviert für die Schuldner von Geldstrafen.

(Foto: Regina Schmeken)

Die FDP will weniger Gefängnis für Menschen, die ihre Geldstrafen nicht zahlen können. Die SPD blockiert das - die Verstimmung zwischen den Partnern ist erheblich.

Von Constanze von Bullion, Berlin

Über Monate lagen Finanzminister Christian Lindner (FDP) und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sich in den Haaren, in Energiefragen, bei der Atomkraft, auch im Persönlichen. Das größte Ungemach der Koalition wohne zwischen Liberalen und Grünen, dachten viele. Inzwischen aber zeigt sich ein weiterer Krisenherd. Er ist gelb-rot, und er dehnt sich aus: zwischen FDP-Justizminister Marco Buschmann und SPD-Innenministerin Nancy Faeser. Die beiden streiten nicht nur über Vorratsdatenspeicherung, es gibt jetzt auch Ärger um Ersatzfreiheitsstrafen. Die Verstimmung ist erheblich.

Grund ist ein Gesetzentwurf, der seit dem Sommer nicht vorankommt, Buschmann und Faeser schieben einander die Schuld dafür zu. Der Justizminister will das Sanktionenrecht des Strafgesetzbuchs überarbeiten. Tatmotive wie Hass auf Frauen oder sexuelle Minderheiten beispielsweise sollen künftig grundsätzlich strafschärfend berücksichtigt werden. Buschmann will es Gerichten auch ermöglichen, Strafen zur Bewährung auszusetzen, indem eine therapeutische Behandlung angeordnet wird. Bewährung in Freiheit habe eine resozialisierende Wirkung, so der Liberale - anders als die erheblich belastende Haft. Bis hierhin ist man sich noch einig.

Zank gibt es aber über Paragraf 43 des Strafgesetzbuches, die Ersatzfreiheitsstrafe. Sie wird angeordnet, wenn Straftäterinnen und Straftäter nicht in der Lage oder bereit sind, eine Geldstrafe zu bezahlen. Wurde jemand etwa zu 20 Tagessätzen verurteilt - also zu einer Geldstrafe, die dem Verdienst von 20 Arbeitstagen entspricht - und zahlt die Person nicht, drohen 20 Tage Gefängnis, Umrechnungsschlüssel 1:1. Buschmann fordert nun eine Halbierung der Ersatzfreiheitsstrafe, also eine Umrechnung von 2:1. Für 20 Tagessätze gäbe es dann ersatzweise zehn Tage Gefängnis.

Haft macht die Sache laut FDP oft schlimmer

Der Vollzug von Ersatzfreiheitsstrafen könne "in der Regel keinen Beitrag zur Resozialisierung der Betroffenen" leisten, heißt es in Buschmanns Haus. Zudem wiege das "Strafübel" der Haft deutlich schwerer als eine Geldbuße, sei also unverhältnismäßig. Ein großer Teil der Freiheitsstrafen gehe zudem auf Bagatelldelikte zurück. Knapp ein Drittel der Täter hatte nach einer Erhebung aus NRW geklaut, etwa jeder vierte saß nur wegen Delikten wie Schwarzfahren ein. Schwere Sexual- oder Gewaltdelikte seien die Ausnahme. Nicht wenige Straftäter kämpften mit Sucht oder Obdachlosigkeit. Haft mache die Sache oft schlimmer.

60 Millionen Euro im Jahr könnten die Länder einsparen, wenn die Ersatzfreiheitsstrafe halbiert würde, führte Buschmann auch ins Feld. Da allerdings widersprach der Deutsche Richterbund: Der Einspareffekt betrage nur 10 Millionen jährlich, auch wegen der Fixkosten von Haftanstalten. Auch sonst bleibt der Richterbund kritisch. "Von der drohenden Freiheitsentziehung geht ein erheblicher Anreiz zur Zahlung aus. Diese Wirkung würde erheblich geschwächt, wenn die Zeit im Gefängnis künftig deutlich kürzer ausfiele", sagte Geschäftsführer Sven Rebehn der SZ am Montag.

Aber auch mit Blick auf den Gleichbehandlungsgrundsatz gebe es Bedenken. "Während die einen für die Zahlung einer Geldstrafe von zum Beispiel 60 Tagessätzen zwei Monate arbeiten müssten, könnten diejenigen, die nicht zahlen können oder wollen, ihre Strafe künftig in der Hälfte der Zeit erledigen."

Reichsbürger könnten profitieren, fürchtet die SPD

Innenministerin Faeser sieht das ähnlich, sie stimmt Buschmanns Entwurf in der Ressortabstimmung nicht zu. Vor allem sucht sie nun das Bild des armen Schluckers zu korrigieren, der nur aus Not oder wegen Schwarzfahrens hinter Gittern landet. Bei Ersatzfreiheitsstrafen gehe es oft um Partnerschaftsgewalt gegen Frauen, um Körperverletzung, Stalking, alles keine Petitessen. Ein weiteres Faeser-Argument: Reichsbürger könnten von Buschmanns Plänen profitieren - also Leute, die Geldstrafen grundsätzlich nicht zahlen, weil sie die Bundesrepublik nicht anerkennen.

Die Einwände lösen im Hause Buschmann nicht nur Kopfschütteln aus, es wächst der Zorn. Nur etwa acht Prozent der Ersatzfreiheitsstrafen gingen auf Körperverletzungen zurück, kontert man hier. Mehr als 70 Prozent der betroffenen Straftäter seien alleinstehend. Das Frauen-Argument führe also in die Irre, das Reichsbürger-Argument sei eher skurril. Niemand wolle Ersatzfreiheitsstrafen ganz abschaffen. Faeser bremse ohne Not eine wichtige Reform aus mit immer neuen, nachgeschobenen Argumenten.

Die Ministerin hingegen sieht in Buschmann den Blockierer. Sie setze sich "nachdrücklich" für eine Reform ein, die die Justizpraxis voranbringe, heißt es im Innenministerium. Faeser wünscht sich wohl eine Anhörung mit Richterinnen und Richtern, Staatsanwaltschaften und Länder-Vertretern. Buschmann aber sieht darin keinen Sinn, die Anhörung von Ländern und Verbänden sei abgeschlossen. Mit anderen Worten: Voran geht nichts.

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