Süddeutsche Zeitung

Ernst Ulrich von Weizsäcker:"Wir müssen die USA vergessen"

Der Klima-Gipfel in Cancún droht erneut zu scheitern, doch Umweltexperte Ernst Ulrich von Weizsäcker hat Hoffnung: Im Gespräch mit sueddeutsche.de skizziert der international anerkannte Fachmann einen Ausweg aus dem Patt.

M. C. Schulte von Drach

Ernst Ulrich von Weizsäcker, 71 , ist einer der bekanntesten Umweltforscher in Deutschland. Der SPD-Politiker und Neffe von Altbundespräsident Richard von Weizsäcker leitete verschiedene Umweltinstitute und war Vorsitzender des Bundestag-Umweltausschusses. In dem Buch "Faktor Fünf", das 20 10 erschien, entwarf Weizsäcker ein Konzept für eine zukunftssichere und umweltverträgliche Wirtschaftspolitik.

sueddeutsche.de: Nach der Enttäuschung über Kopenhagen sind die Erwartungen an den Klimagipfel in Cancún ziemlich gedämpft. Gibt es trotzdem Grund, Optimist zu sein?

Ernst Ulrich von Weizsäcker: Die Situation ist verfahren. Es gibt ein Patt zwischen den Entwicklungs- und Schwellenländern, den Europäern und den USA. Die Entwicklungsländer sagen: Wenn es nur darum geht, Kohlendioxid zu vermeiden, dann ist das Sache der Industrieländer. Die Amerikaner sagen: Wir machen nicht mit, wenn die Entwicklungsländer nicht mitmachen. Und die Europäer sagen: Wir können Verpflichtungen nur eingehen, wenn die Amerikaner mit im Boot sind.

sueddeutsche.de: Und wie kann man dieses Patt auflösen?

von Weizsäcker: Meiner Meinung nach sind die Amerikaner derzeit vollkommen bewegungsunfähig. Es muss deshalb zunächst ein Klimaabkommen ohne sie geben. Wir müssen die Amerikaner vergessen. Die einzige Möglichkeit, die Entwicklungsländer ins Boot zu bekommen, ist der sogenannte Budget-Ansatz oder die mildere Variante "gleiche Pro-Kopf-Emissionsrechte". Beide Konzepte lehnen die Amerikaner aber noch viel schärfer ab als eine einseitige Verpflichtung.

sueddeutsche.de: Wie sehen diese Ideen genau aus?

von Weizsäcker: Indiens Premierminister Manmohan Singh hat am Rande des G-8-Gipfels von Heiligendamm 2007 erklärt, man könnte sich beim Klima einigen, wenn alle akzeptieren, dass jeder Mensch im Prinzip das gleiche Recht auf die Nutzung der Atmosphäre hat. Das würde heißen, dass beispielsweise wir Deutschen, die wir sehr viel mehr Kohlendioxid in die Luft pusten als die Menschen in Indien oder Ägypten oder sonstwo, Lizenzen kaufen müssten. Der Wissenschaftliche Beirat globale Umweltveränderungen der Bundesregierung hat diese Idee zum sogenannten Budget-Ansatz ausgebaut: Demnach gibt es ein Gesamtbudget von vielleicht 750 Milliarden Tonnen CO2. Dieses ist auf pro Kopf umzurechnen. Die Deutschen, die seit mehr als 100 Jahren eine Industrienation sind, haben davon schon einen ganz erheblichen Teil verbraucht, während Indien und China und andere relativ am Anfang der Industrialisierung stehen. Dieser Ansatz würde für den Norden also noch teurer als der Ansatz "gleiche Pro-Kopf-Emissionsrechte".

sueddeutsche.de: Wenn wir die Amerikaner also vergessen: Meinen Sie, dass zum Beispiel China und Indien tatsächlich verbindliche Klimaschutzvorgaben akzeptieren?

von Weizsäcker: Es ist ein Pokerspiel. Wenn die industrialisierten Asiaten, also Japan und Südkorea, und die EU beim Budget-Ansatz mitmachen, dann wird es für China, Indien und Brasilien verteufelt schwer zu sagen: Ohne uns.

sueddeutsche.de: Ist ein Deal ohne Amerikaner für Europa realistisch?

von Weizsäcker: Die Europäer halten offenbar weiter daran fest, die Amerikaner mit ins Boot zu holen. Um des lieben Präsidenten Barack Obama Willen will man offenbar keinen Krach machen. Meine kleine Hoffnung ist: Wenn Cancún, wie zu erwarten, ohne konkrete Ergebnisse endet, dann einigen sich die Staaten ein Jahr später in Johannesburg endlich auf eine Verhandlungsstrategie, an der sich die Entwicklungsländer beteiligen. Das bringt dann die USA in Zugzwang. Sie sind dann ganz offensichtlich die großen Außenseiter (vielleicht zusammen mit Kanada, Russland, Saudi-Arabien), während alle anderen mitmachen.

sueddeutsche.de: Aber werden sie diese Rolle wirklich aufgeben?

von Weizsäcker: Ich glaube, es nützt auch dem US-Präsidenten Obama, wenn wir mit den Asiaten eine sichtbare Allianz machen und sagen: Das ist unsere technologische und klimapolitische Zukunft und ihr Amerikaner könnt gerne mitmachen, wenn ihr so weit seid. Dann wird Obama im Kongress auf eine völlig andere Diskussionslage stoßen. Die Wirtschaftsflügel beider Parteien werden merken: "Da passiert etwas. Wir müssen uns beeilen. Wir dachten zwar, wir könnten die anderen auspowern. Aber jetzt machen die das einfach alleine." Das ist das Einzige, was in den USA wirklich Eindruck macht. Wenn sich die Europäer aber von den Amerikanern erschrecken lassen, zwischen Indern und Chinesen Krach herrscht und die Russen sich sperren, dann kann das alles auch in einem Debakel enden.

sueddeutsche.de: Die Ansätze, die die Entwicklungsländer akzeptieren würden, kämen die Industriestaaten teuer zu stehen. Das macht nicht gerade optimistisch, dass sie mitmachen werden, oder?

von Weizsäcker: Wir müssen die Vorzeichen, unter denen verhandelt wird, umkehren. Bisher läuft das eher so wie bei einem Mikadospiel: Wer sich zuerst bewegt, hat verloren. Ich bin überzeugt, dass wir technisch in der Lage sind, innerhalb einer Generation die Kohlendioxidintensität unserer Wertschöpfung um den Faktor fünf zu vermindern. Diejenigen, die mit der dazu notwendigen technologischen Revolution beginnen, werden viel gewinnen. Wenn wir die Ersten sind, zusammen mit den Chinesen und den Japanern, die Licht emitierende Dioden anstelle von Glühbirnen einführen, Zwei-Liter-Autos, Passivhäuser, die praktisch keine Energie mehr brauchen und so weiter, dann werden Asien und Europa an der technologischen Spitze marschieren und Amerika, Kanada, Russland und Saudi-Arabien werden am Schwanzende spazieren.

sueddeutsche.de: Sieht man das in China auch so?

von Weizsäcker: Ich habe kürzlich in China die chinesische Ausgabe meines Buches Faktor fünf vorgestellt. Da wurde mir gesagt: "Das ist doch genau unsere Strategie. Wir wollen drastisch effizienter umgehen mit Energie und Wasser und mit Kohlendioxid sowieso."

sueddeutsche.de: Deutschland bezeichnet sich gern als Vorreiter im Klimaschutz. Das neue Energiekonzept der schwarz-gelben Regierung wurde von vielen Klimaschützern allerdings heftig kritisiert.

von Weizsäcker: Ich halte das Energiekonzept zu 80 Prozent für vernünftig und zu 20 Prozent nicht. Gut ist, dass man bis 2050 auf einen Anteil von 80 Prozent erneuerbarer Energie kommen will, und auf eine dramatische Verbesserung der Energieeffizienz und einen Ausbau der Stromleitungen hinarbeitet, so dass die Windenergie von den Windparks im Meer auch ins Binnenland kommt.

sueddeutsche.de: Und die 20 Prozent, die Ihnen nicht gefallen?

von Weizsäcker: Die Kürzung bei der Förderung der Kreditanstalt für Wiederaufbau für die Altbautensanierung ist in Bezug auf die Klimawirksamkeit noch schädlicher als die Laufzeitverlängerung der Kernkraftwerke, die ich auch für falsch halte. Außerdem die Verlängerung der Kohleförderung.

sueddeutsche.de: Umweltminister Röttgen will die Förderung für Solarenergie reduzieren. In Katar setzt man dagegen auf Sonnenenergie, um die Fußballstadien für die WM 2022 zu versorgen. Nutzt Sonnenenergie dort, bei uns aber nicht? Oder kann man die Pläne Katars auch als Signal nach Europa deuten: Solarenergie ist eine gute Idee?

von Weizsäcker: Ich denke, die Zahl der Deutschen, die sich für Fußball interessieren, ist größer, als die, die sich für Sonnenenergie interessieren. Wenn über das Thema Fußball Solarenergie ein Thema wird, kann das eine bedeutende Rolle spielen.

sueddeutsche.de: Aber macht Solarenergie in Europa mit seinem kalten Winter wirklich Sinn?

von Weizsäcker: Sonnenenergie hat bei uns schon ungeheuer viele Arbeitsplätze geschaffen und die technische Entwicklung, das Patentwesen, die Wissenschaft kräftig nach vorne gebracht. Wer natürlich, wie Herr Ackermann von der Deutschen Bank, meint, Profitabilität fängt erst bei 25 Prozent Kapitalrendite an, dann ist Solarenergie Mist. Wer aber der Meinung ist, eine Installation hält 50 oder 100 Jahre, der kann auch mit einer Amortisationsrate von vielleicht vier Prozent pro Jahr glücklich werden. Der von den Banken ausgelöste Wettbewerb um maximierte Zinsen ist ja völlig verrückt und nicht nachhaltig. Wir müssen akzeptieren, dass die Phase des Casino-Kapitalismus, wo die Renditeerwartungen absolut abenteuerlich waren, bis es dann gekracht hat, vorbei sein muss.

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