Süddeutsche Zeitung

Ernst Nolte:Den Skandal-Wunsch sollte man ihm nicht erfüllen

Der geächtete Historiker Ernst Nolte, 86, legt ein Buch über den Islamismus als "dritte radikale Widerstandsbewegung" der Moderne vor. Der Grund für enthaltene Entgleisungen liegt gewiss weniger im schlichten Gemüt des Autors als im Bedürfnis zu provozieren.

David Motadel

Er provozierte eine der heftigsten Debatten der deutschen Nachkriegsgeschichte. Am 6. Juni 1986 löste der Berliner Historiker Ernst Nolte mit einem Beitrag in der Frankfurter Allgemeinen den "Historikerstreit" aus.

Seine damaligen Thesen zum Zusammenhang von Nationalsozialismus und Kommunismus finden nun in Noltes neuem Buch "Die dritte radikale Widerstandsbewegung" in gewisser Weise ihre Fortführung. Der mittlerweile 86-jährige Historiker beschäftigt sich hierin nun mit einer dritten bedeutenden Ideologie seiner Zeit - dem Islamismus.

Ebenso wie im Faschismus und im Kommunismus erkennt Nolte im politischen Islam eine konservative Widerstandsbewegung gegen die Moderne. Alle drei Weltanschauungen hätten zum Ziel, die Welt vor den einschneidenden Wandlungen zu bewahren, die im neunzehnten Jahrhundert ihren Ausgang nahmen - Individualisierung, Kapitalismus, Rationalisierung, Säkularisierung, Konsum.

Griffig, keineswegs neu und vor allem problematisch

In der islamischen Welt sei die Moderne seither vor allem durch Europa und den Imperialismus repräsentiert worden. Der Islamismus richte sich daher gleichermaßen gegen die "westliche" Hegemonie wie gegen die "westliche Moderne".

Noltes Interpretation des Islamismus ist griffig, jedoch keineswegs neu und vor allem nicht unproblematisch. Zunächst erscheint es heikel, islamische Bewegungen zwischen Marokko und Malaysia zu einem einheitlichen Gebilde zu bündeln. Noltes Verallgemeinerungen wirken häufig holprig und undifferenziert. Seine stark selektive Auswahl islamistischer Gruppen, die sich vor allem auf Bewegungen im Nahen Osten konzentriert, greift zu kurz.

Auch überschätzt der Historiker den Einfluss des "Westens" und des europäischen Imperialismus auf die Entstehung islamistischer Bewegungen. Tatsächlich lassen sich die Wurzeln des politischen Islams keineswegs auf den anti-kolonialen Widerstand gegen den "Westen" reduzieren.

Im späten achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert spielte Europa in den Weltbildern islamistischer Denker häufig keine oder nur eine untergeordnete Rolle. Ihre Kritik erwuchs aus den Zuständen der eigenen Gesellschaften. In ihren Ideen spiegelten sich vor allem Traditionen der islamischen Ideengeschichte.

Noltes Interpretation des Islamismus als konservative Widerstandsbewegung gegen die Moderne folgt ebenfalls einem stark vereinfachenden, jedoch keinesfalls unpopulären Bild. Wer islamistische Ideologien als anti-modern und rückwärtsgewandt abtut, macht es sich zu leicht. Islamistische Bewegungen lassen sich nicht bloß als "revolutionärer Konservativismus" erklären, die sich lediglich moderner Mittel bedienen, um ihre rückwärtsgewandten Ziele zu erreichen.

Ideologen wie Dschamal ad-Din al-Afghani, Muhammad Abduh oder Raschid Rida verstanden ihre Programme als modernisierend und progressiv, als sozialrevolutionär und rational. Islam-Historiker sprechen dabei häufig von einem "religiösen Modernismus".

Das Ziel vieler islamistischer Bewegungen war und ist die Revolte gegen das System ihrer eigenen Gesellschaften und die Traditionen ihrer Eltern. Gleiches gilt natürlich auch für den Faschismus und den Kommunismus. Die These, der zufolge auch diese Bewegungen im Kern antimodern waren, ist heute kaum noch überzeugend. Alle drei Ideologien sind selbst ein Phänomen der Moderne, bieten ein entsprechendes Deutungsangebot und richten sich lediglich gegen einen speziellen Entwurf der Moderne, den Liberalismus.

Abgesehen davon birgt Noltes Vergleich zwischen Islamismus und den beiden europäischen Bewegungen letztlich wenig Erkenntnisgewinn. Freilich, alle drei Bewegungen folgen kollektivistischen Weltbildern und haben zum Ziel, sämtliche menschlichen Lebensbereiche möglichst umfassend zu regulieren. Insgesamt jedoch scheinen die Unterschiede weitaus größer zu sein als die Schnittmengen.

Weite Strecken seines neuen Buchs nutzt Nolte zur Wiederholung seiner alten Thesen. Erneut versucht er, den "Rassenmord" der Nationalsozialisten als Reaktion auf die angebliche Gefahr eines "Klassenmords" der Bolschewisten zu verklären.

Analog bemüht er sich, nunmehr auch im Judenhass arabischer Islamisten eine rationale Abwehrideologie gegenüber einer konkreten Bedrohung zu verstehen. Israel und der Zionismus werden, so der Autor, heute von Islamisten als das "Konzentrat und die Spitze 'des Westens'" und als "Kolonisator und Vorkämpfer der Moderne" in der islamischen Welt wahrgenommen und bekämpft.

Insgesamt nehmen die Rolle der Juden und nun auch Israels einen zentralen Stellenwert in Noltes Buch ein. Dabei versteigt sich der Autor zu allerlei abstruse Behauptungen. So erklärt er den Mufti von Jerusalem, Amin el-Husseini, einen Nazi-Kollaborateur, der während des Zweiten Weltkriegs mit Adolf Eichmann in Berlin die Ermordung der im arabischen Raum lebenden Juden plante, zum "tapferen Vorkämpfer der Palästinenser".

Im "eroberungswilligen Nationalismus" von Zionisten und Nazis hingegen glaubt Nolte Übereinstimmungen festzustellen. Prinzipiell lasse die israelische Politik "den Vergleich mit dem Unrechtstatbestand der Hitler'schen Ideologie" zu - ein Argument, das gewöhnlich auch Antisemiten nicht fremd ist. Befremdlich ist auch Noltes Bemerkung zur Israellobby in den USA und ihrem "gewaltigen Einfluss auf die Finanzwelt und das Wählerverhalten im Hinblick auf Israel".

Das Bedürfnis, provokativ zu sein

Zur Seriosität des Buches tragen schließlich auch nicht die Ausführungen bei, in denen der Autor die Rolle des israelischen Geheimdienstes Mossad als eigentlichen Urhebers der Terroranschläge vom 11.September 2001 als eine "ernster zu nehmende Theorie" prüft.

Der Grund für all diese Entgleisungen, mit denen Ernst Nolte seinen Leser traktiert, liegt gewiss weniger im schlichten Gemüt des Autors als im Bedürfnis zu provozieren. Tatsächlich scheint der Wunsch nach Aufmerksamkeit das Hauptanliegen des seit dem Historikerstreit geächteten Nolte zu sein. Zwischen den Zeilen schimmert die Sehnsucht nach dem Skandal.

Diesen Wunsch sollte man dem Autor nicht erfüllen. Die Ausgangsfrage des Buches, der Versuch, den Islamismus in die Ideologien der Moderne einzuordnen, ist spannend. Bedauerlich, dass es sich in Absurditäten verliert.

ERNST NOLTE: Die dritte radikale Widerstandsbewegung: Der Islamismus. Landtverlag, Berlin 2009. 414 Seiten, 39,90 Euro.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.465973
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.