Energiewende:Kampf der Zahlen

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Immer mehr Strom kommt in Deutschland aus erneuerbaren Quellen: Windräder und eine Solaranlage in Unterfranken. (Foto: Karl-Josef Hildenbrand/DPA)

Geht es mit der deutschen Energiewende nun voran oder nicht? Zum Jahreswechsel gibt es dazu unterschiedliche Deutungen. Tatsache aber ist: So viel Ökostrom wie jetzt gab es noch nie im Land.

Von Michael Bauchmüller, Berlin

Ein Montagmittag in Westeuropa: Frankreich, Spanien, Portugal zahlen verhältnismäßig viel für Strom, mehr als 120 Euro die Megawattstunde. Auch die Schweiz und Norditalien liegen über dieser Marke. In Deutschland dagegen beträgt der Preis nur wenig mehr als 80 Euro. Strom, so zeigen es Daten des französischen Netzbetreibers RTE, fließt von Ost nach West und von Nord nach Süd. Es gibt Tage, an denen es genau andersherum läuft, weil wenig Wind weht und die Sonne nicht scheint. Vieles am europäischen Strommarkt hängt neuerdings am Wetter und damit an der Energiewende und damit auch an Deutschland. Ob das gut ist oder schlecht, daran scheiden sich die Geister, zumal im deutschen Wahlkampf.

Es ist ein Kampf der Zahlen, am Montag legt schon mal das Bundeswirtschaftsministerium vor. Nach Daten, die der Süddeutschen Zeitung vorliegen, rechnet das Ministerium im ausgehenden Jahr mit einem Plus beim Ökostrom von vier Prozent. Auf insgesamt 285 Terawattstunden kommt 2024 die Produktion aus Sonne, Wind und Co. wohl – so viel wie nie. Der Anteil am Bruttostromverbrauch wachse auf rund 54 Prozent. 2022 lag dieser Wert noch bei etwas mehr als 46 Prozent. Insbesondere für eines der größten Industrieländer im globalen Vergleich sei das „bemerkenswert“, heißt es aus dem Ministerium des grünen Ministers Robert Habeck.

Besonders die Solarenergie nimmt zu

Dahinter steht vor allem der Solarboom. Obwohl die Sonne weniger geschienen habe als im Jahr zuvor, habe der Sonnenstrom 74 Terawattstunden beisteuern können, 16 Prozent mehr als im Vorjahr. Und das liege primär daran, dass viel mehr Solarzellen im Land installiert sind. Ihre Gesamtleistung liegt mittlerweile bei knapp 98 Gigawatt – gegenüber 83 vor einem Jahr. Auch neue Windräder wurden errichtet, insgesamt mit einer Leistung von drei Gigawatt. Doch weil es mehr windarme Tage gab, steuerten sie weniger Strom bei als im Jahr zuvor.

An solchen Tagen bezieht Deutschland dann mehr Strom aus dem Ausland, und das offenbar ebenfalls deutlich stärker als im Vorjahr. Das jedenfalls zeigen Zahlen, über die am Montag die Bild-Zeitung berichtet. Danach habe Deutschland 2024 insgesamt 77 Terawattstunden importiert, aber nur 48,5 exportiert – gibt einen Nettoimport von 28,5 Terawattstunden Strom, rund fünf Prozent des Gesamtbedarfs. Im Vorjahr lag dieser Saldo nach Zahlen der Bundesnetzagentur bei 11 Terawattstunden. 2023 hatte Deutschland zum ersten Mal seit 20 Jahren überhaupt wieder mehr Strom ein- als ausgeführt.

Importe senken die Stromkosten, sagt die Wirtschaftsweise Monika Schnitzer

Die Opposition sieht darin ein Indiz für verfehlte Politik. „Die grüne Energiewende ist zutiefst unehrlich“, sagt etwa der FDP-Energiepolitiker Michael Kruse. Es habe nur deshalb noch keine Blackouts gegeben, weil Länder wie Frankreich uns immer dann mit Strom aus Kernkraft beliefern, wenn Deutschland sich nicht selbst versorgen könne. Das Ende der deutschen AKWs sorge „für eine enorme Laufzeitverlängerung der französischen Kernkraftwerke“.

Auch der CSU-Energiepolitiker Andreas Lenz sieht einen Zusammenhang mit dem Atomausstieg 2023. „Seither ist Deutschland Nettostromimporteur“, sagt er der SZ. Zwar sei der europäische Strommarkt ein Wert an sich. Gleichzeitig weise Deutschland aber zu geringe Kraftwerkskapazitäten auf. „Hier besteht seit Jahren dringender Handlungsbedarf“, sagt Lenz. Ein Gesetz, das eine Reserve aufbauen sollte, war mit dem Ende der Ampelkoalition gescheitert.

Doch Expertinnen und Experten sehen die Strombilanz entspannter. Letztlich seien Nettoeinfuhren, genauso wie -ausfuhren, „Ausdruck eines funktionierenden europäischen Strommarktes“, sagt die Wirtschaftsweise Monika Schnitzer der Süddeutschen Zeitung. „Konkret heißt das für Deutschland, dass wir Strom dann aus dem Ausland importieren, wenn er dort günstiger ist als bei uns.“ Dies sei besonders dann der Fall, wenn es dort gerade mehr sehr günstigen Strom aus erneuerbaren Energien gibt, der Strom aus heimischen teureren Kohle- oder Gaskraftwerken ersetze, argumentiert die Münchner Ökonomin. „Wir senken dadurch also unsere heimischen Stromkosten.“

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