Ernährung:Moltebeeren und arktischer Hafer

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Finnlands Spezialitäten sollen die Grüne Woche erobern.

Von Kai Strittmatter

Es soll nicht weniger als Liebe werden. Finnland wolle "die Herzen der Deutschen im Sturm erobern", sagt Juha Marttila, oberster Vertreter der finnischen Landwirte und Waldbesitzer. Und zwar mit seinen Köstlichkeiten. Auf der Grünen Woche in Berlin, die an diesem Freitag beginnt, sind die Finnen diesmal Gastland. Wirkt nur auf den ersten Blick wie ein gewagtes Unterfangen. An Häme gegenüber der finnischen Küche hat es nie gefehlt. 2005 wurde der französische Präsident Jacques Chirac dabei belauscht, wie er sagte, einem Volk, das miserabel koche, könne man nicht über den Weg trauen. Seine Spitze zielte gegen Großbritannien, das er "das Land mit der schrecklichsten Küche" nannte, gemeinerweise fügte er dann an: "hinter Finnland".

Dem ehemaligen italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi tragen die Finnen bis heute nach, wie er ihnen einst die Europäische Agentur für Lebensmittelsicherheit Efsa wegschnappte, die ihren Sitz eigentlich in Finnland haben sollte. Berlusconi erklärte den anderen Europäern, die finnische Küche habe er auch schon "ertragen" müssen, die Finnen wüssten ja nicht einmal, dass sich hinter "Prosciutto" und "Culatello" stolze italienische Schinkensorten versteckten. Und so hat Efsa seinen Sitz heute im italienischen Parma, und die Finnen bekamen als Trost die Europäische Chemikalienagentur Echa.

Finnlandkenner schimpften Chirac und Berlusconi schon damals Ignoranten. "Sind die beiden nie über die finnischen Märkte gestreift auf der Suche nach frischem und geräuchertem Barsch, Hecht, Renke oder Lachs? Haben ihre Lippen nie die wunderbare arktische Moltebeere geschmeckt?", fragte ein Restaurantkritiker des Guardian, andere wiesen darauf hin, dass zumindest die Küche der Hauptstadt schon damals weit über rustikale finnische Klassiker wie Erbsensuppe, gebackenen Brotkäse, Rentiersteak oder warmen Räucherlachs hinausgewachsen war. Seither ist noch einmal einiges passiert. Die Tester des Guide Michelin verteilen längst auch in Finnland Sterne, und CNN war jüngst so begeistert von Helsinkis "lebendiger, lokaler, innovativer und frischer" Küche, dass der US-Sender die Stadt prompt zu "Europas heißestem neuen kulinarischen Reiseziel" erklärte.

Finnlands Lebensmittelexporteuren kommt der Hype recht. Sie suchen neue Absatzmärkte, seit die Geschäfte mit Russland sanktionsbedingt einbrachen. Und so laufen ihre PR-Poeten anlässlich der Grünen Woche zu Hochform auf. Da werden Europas reinste Wasser und klarste Luft besungen, da wird geworben für Öko-Hafer aus arktischer Landwirtschaft und Beeren aus sauberen Wäldern. Regierungswebseiten verraten das "Geheimnis des glücklichsten Volkes" (tatsächlich stehen die Finnen im World Happiness Report der UN auf Platz eins): natürlich die "gesunden und sicheren Nahrungsmittel". Arktismärchenland also, wenn man vielleicht die Wildpfifferlinge außer Acht lässt, bei denen die Strahlenschutzbehörde des Landes noch immer das zweifache des EU-weit zugelassenen Grenzwertes an radioaktivem Caesium-137 feststellt: ein Erbe des Reaktorunfalls von Tschernobyl 1986. Aber das hält die Behörde erstens für trotzdem unbedenklich und ist zweitens nun wirklich nicht die Schuld der Finnen.

© SZ vom 18.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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