Ernährung:Bio, frei aus Mexiko

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Viele Menschen meinen, sie brauchten bloß auf konventionell erzeugte Lebensmittel zu verzichten, und schon handelten sie ökologisch. Ein Irrtum. Und mit der Nachfrage steigen die Probleme.

Von Jan Heidtmann

Bio kann ganz schön nerven. An einem Samstagmorgen zum Beispiel in einem der einschlägigen Supermärkte: Wenn sich der Bio-Bürger dort in fröhlicher Selbstgewissheit an der Fleischtheke verschiedenste Sorten Aufschnitt erläutern lässt, um sie schließlich im Milligrammbereich zu ordern. Das alles mit einer Inbrunst, bei der man eher an einen protestantischen Gottesdienst in der Mark Brandenburg denkt als an ein gutes Wurstbrot. Es irritiert auch, wenn jetzt auf der weltweit größten Biofachmesse in Nürnberg die Bio-Avocado aus Mexiko als ein großes Ding gefeiert wird. Um sie anzubauen, wurde bester Wald gerodet, Tausende Liter Wasser wurden verbraucht, und dann schippert sie einmal rund um die Welt. Das mag biologisch sein, ökologisch ist es nicht. Drei gute Jahrzehnte nach den ersten Bioläden hat das Label einiges von seinem Nimbus verloren.

Verantwortlich dafür ist ausgerechnet der Erfolg der Bewegung, die ja längst eine globale Industrie geworden ist. Weltweit werden mit Bioprodukten 75 Milliarden Euro umgesetzt, nach den USA ist Deutschland der größte Markt. Fleisch, Gemüse und Säfte aus biologischem Anbau im Wert von 9,5 Milliarden Euro wurden hier im vergangenen Jahr verkauft. Fast jeder zehnte Landwirtschaftsbetrieb in Deutschland arbeitet inzwischen biologisch, 2016 war ein Rekordjahr. Die Nachfrage stieg um zehn Prozent.

Die Nachfrage: so hoch wie nie. Ökologisch ist das ein Problem

Mit den Rekorden kommen die Probleme. Auch in der Biobranche müssen Rinder und Schweine inzwischen in Massen gehalten werden, nur eben in kleineren. Obst und Gemüse wird in Monokulturen produziert, und für das Gros der Bio-Eier werden wie in der konventionellen Produktion männliche Küken getötet. Weil in Deutschland weit mehr als doppelt so viel Bioprodukte gekauft als produziert werden, wird zudem viel importiert. Wie bio die Kiwi aus Südafrika oder das Rinderfutter aus der Ukraine dann wirklich ist, das lässt sich manchmal nur schwer nachvollziehen. Gerade machte die taz publik, dass Hunderte Tonnen äthiopischen Bio-Kaffees nicht den Ökovorschriften entsprachen und trotzdem in die Europäische Union importiert werden konnten, obwohl das Problem bekannt war. An dem Kaffee wird niemand sterben, aber der Vorfall untergräbt das Vertrauen, von dem das Label Bio lebt.

Das Vertrauen wiederum lebt davon, dass die Bedingungen, unter denen Bio produziert wird, nachvollziehbar sind. Im besten Fall kommen die Produkte aus der Region, in der sie verkauft werden. Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt hat zum Auftakt der Messe in Nürnberg seine Strategie für den ökologischen Landbau vorgestellt. Sie kommt spät, genau genommen greift sie ein Vorhaben seiner grünen Vorgängerin von 2005, Renate Künast, auf, 20 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche in Deutschland ökologisch zu bewirtschaften. Doch es ist richtig, dass Schmidt dieses Ziel wieder herausgekramt hat. Wenn er es ernst nimmt, könnte bio wieder mehr zu öko werden.

© SZ vom 16.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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