Ermittlungsverfahren wegen Geheimnisverrats:Staatsanwälte ermitteln auch gegen Abgeordnete

Wegen der Weitergabe von geheimen Akten wird nun sogar gegen Mitglieder des BND-Untersuchungsausschusses vorgegangen. Bundestagspräsident Lammert ermächtigte die Staatsanwaltschaft Berlin, auch gegen Abgeordnete zu ermitteln.

Wegen der Weitergabe von geheimen Akten aus dem BND-Untersuchungsausschuss wird nicht nur gegen Journalisten ermittelt, sondern auch gegen Ausschussmitglieder. Die Staatsanwaltschaft Berlin bestätigte am Freitag, dass Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) die Behörde ermächtigt habe, auch gegen Geheimnisträger zu ermitteln. Die Verfahren richteten sich bislang jedoch nicht gegen bestimmte Abgeordnete, sondern gegen unbekannt, sagte die Sprecherin der Staatsanwaltschaft, Simone Herbeth.

Bundestagspräsident Norbert Lammert

Lässt nun auch gegen Abgeordnete ermitteln: Bundestagspräsident Norbert Lammert

(Foto: Foto: AP)

"Wir wissen noch nicht, auf welche Weise Akten an die Öffentlichkeit gelangten", sagte Herbeth. Deshalb fehlten noch die Namen von Verdächtigen. In dem Bundestagsausschuss geht es um die Aktivitäten des Bundesnachrichtendienstes (BND) und anderer deutscher Sicherheitsbehörden im Kampf gegen den Terrorismus. Nach ARD-Informationen wird insgesamt 17 Journalisten der Vorwurf gemacht, aus vertraulichen und geheimen Akten des BND-Untersuchungsausschusses zitiert zu haben.

"Über das Ziel hinausgeschossen"

Die Staatsanwaltschaft Berlin wirft Journalisten vor, aus geheimen Akten des BND-Untersuchungsausschusses zitiert zu haben. Die Ermittlungen gegen Stern, Zeit und Spiegel wurden dabei an die Hamburger Staatsanwaltschaft abgegeben, weil diese in der Hansestadt erscheinen. Die Berliner Anfrage werde nun geprüft, hieß es.

FDP, Grüne und die Linke kritisierten die Ermittlungsverfahren. Der FDP-Obmann im BND-Untersuchungsausschuss, Max Stadler, sagte, man sei "über das Ziel hinausgeschossen". Nach Angaben des Grünen-Obmanns im Untersuchungsausschuss, Hans-Christian Ströbele, war bei dem Mehrheitsbeschluss des Gremiums für die Ermittlungen erklärt worden, die Maßnahmen richteten sich nicht gegen Journalisten.

Die Journalistenvereinigung Netzwerk Recherche (NR) bezeichnete die Ermittlungen als "Farce". "In den Verfahren geht es nicht um die Ermittlung eines Geheimnisverrats, sondern um die Aufdeckung und Einschüchterung von Informanten", sagte NR-Vorsitzender Thomas Leif.

Die laufenden Ermittlungen widersprechen zudem den Grundsätzen des Cicero-Urteils des Bundesverfassungsgerichts. Demnach reicht die bloße Veröffentlichung von Dienstgeheimnissen durch Journalisten nicht mehr aus, um den Verdacht einer Beihilfe zum Geheimnisverrat zu begründen.

"Breit angelegter Angriff gegen die Pressefreiheit"

Spiegel-Chefredakteur Stefan Aust, gegen den persönlich ermittelt wird, kritisierte das Vorgehen scharf: "Das scheint mir ein ungezielter Angriff mit der Schrotflinte auf die Pressefreiheit zu sein", sagte er am Freitag. "Wir sehen den Ermittlungen gelassen entgegen", erklärte Aust.

Hans Leyendecker, leitender Redakteur bei der Süddeutschen Zeitung, bezeichnete das Vorgehen als "Versuch der Einschüchterung". Dies werde aber nicht gelingen, sagte er dem Deutschlandfunk. Gegen ihn wird ebenfalls ermittelt. Leyendecker kritisierte, im BND-Untersuchungsausschuss habe es eine "große Geheimnistuerei gegeben". So seien sogar bereits veröffentlichte Zeitungsartikel als vertraulich eingestuft worden.

Der Bundesvorsitzende des Deutschen Journalistenverbandes, Michael Konken, sprach von einem "breit angelegten Angriff gegen die Pressefreiheit".

Der Vorsitzende des BND-Untersuchungsausschusses, Siegfried Kauder (CDU), verteidigte die Ermittlungen hingegen. Es sei auch seine Absicht gewesen, "herauszufinden, wo die undichten Stellen sind, und sicherzustellen, dass es in Zukunft so nicht läuft."

Kauder betonte, er wisse "weder etwas über den Stand des Ermittlungsverfahrens, noch gegen wen es sich richtet, noch was bisher ermittelt worden ist".

Kauder hatte Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) in einem Schreiben gebeten, die Staatsanwaltschaft zu ermächtigen, der geheimen Weitergabe der Akten aus dem Ausschuss nachzugehen. Auch der Bundestag verwies darauf, dass Lammert "auf Anregung" des Ausschusses gehandelt habe. "Es obliegt allein der Staatsanwaltschaft, ein Ermittlungsverfahren einzuleiten", betonte ein Sprecher.

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