Vor ein paar Monaten vernahm der Karlsruher Bundesanwalt Wolfgang Siegmund den ehemaligen Polizisten und früheren Stasi-Spitzel Karl-Heinz Kurras, der sich in die deutsche Geschichte geballert hat, als er am 2. Juni 1967 in Berlin den Studenten Benno Ohnesorg erschoss. Der Strafverfolger wollte erfahren, wer und wann einst wo Kurras für die Stasi angeworben hat. 1955 sei das gewesen, in Ost-Berlin, erklärte Kurras. Wo genau? In einer KW, also einer Konspirativen Wohnung.
Wer dabei gewesen sei, hakte der Bundesanwalt nach. Markus Wolf, Chef des Auslandsnachrichtendienstes der DDR, und Herbert Wehner seien bei der Anwerbung dabei gewesen, erklärte Kurras.
Der 57 Jahre alte Strafverfolger muss leicht irritiert dreingeschaut haben. Hatte er etwas falsch verstanden - Herbert Wehner? Ja, der sei dabei gewesen, sagte Kurras. Ganz sicher.
Ist der 83-jährige frühere Stasi-Spitzel leicht dement, foppt er die Ermittler oder spielt er den Deppen, um nicht noch auf der Zielgeraden des Lebens von der Bahn zu fliegen und vor einer Großen Strafkammer oder einem Staatsschutzsenat angeklagt zu werden? Seit knapp zwei Jahren prüft die Bundesanwaltschaft, ob Kurras noch bis kurz vor dem Fall der Mauer Staatsgeheimnisse aus der Bundesrepublik an die DDR verraten hat.
Gleichzeitig geht sie auch der Frage nach, ob der Tod des Benno Ohnesorg ein Mord war und ob der Schütze Kurras damals nachrichtendienstlich gesteuert wurde. Parallel dazu geht die Berliner Generalstaatsanwaltschaft dem Mordverdacht nach. Ob das alles letztlich zu einer wuchtigen Anklage führen wird oder ob die Aktendeckel geschlossen werden und Kurras ohne Prozess davonkommen wird, ist derzeit noch Spekulation.
Vieles war anders als verkündet
Fest steht jetzt schon: Vieles war anders, als es früher mal amtlich oder von Amts wegen verkündet worden ist. Bild am Sonntag verwies jetzt auf einen vertraulichen Bericht der Generalstaatsanwaltschaft Berlin vom 18. Juli 2011. Angeblich zeichneten die Strafverfolger in diesem Bericht von Kurras "das Bild eines eiskalten Killers", der "offenbar gezielt auf Ohnesorg geschossen" habe. Aus den neuen Akten und neuen Zeugenaussagen ergebe sich das Bild eines Mannes, der seine Ziele brutal und ohne Mitleid durchsetze.
Dieses Bild würde dem alten Bild widersprechen, das einst seine vielen Verteidiger von ihm und der Welt hatten. Es war ein Bild aus dem Kalten Krieg. Damals stand der Berliner Polizeichef dem Beamten Kurras bei, und die Kollegen von der Polizeigewerkschaft sammelten 60.000 Mark für seine Verteidigung. Wäre damals bekannt gewesen, dass Kurras ein Stasi-Mann und Kommunist war, wäre manches sicherlich anders gelaufen.
Etwas Düsteres, Geheimnisvolles umgab von Anfang an den Fall des schießwütigen Polizisten. Es passierten in seinem Fall Dinge in Serie, die sonst eigentlich nie passieren.