Süddeutsche Zeitung

Ermittlungen:Wikileaks: Wie es mit Assange weitergehen könnte

  • Die schwedische Staatsanwaltschaft hat die Ermittlungen gegen Wikileaks-Gründer Julian Assange wegen des Vorwurfs der Vergewaltigung eingestellt.
  • Sollte er seinen Zufluchtsort in der ecuadorianischen Botschaft in London verlassen, würde er dennoch verhaftet.
  • Gerüchten zufolge bereiten Staatsanwälte in den USA nun doch eine Anklage gegen Assange vor. Die Regierung Obama hatte sich dagegen entschieden.

Von Julia Ley

Seit mehr als fünf Jahren lebt Julian Assange auf etwa 16 Quadratmetern in der ecuadorianischen Botschaft in London. Die lange Isolation habe ihm zugesetzt, heißt es in den Botschaftsprotokollen. Manchmal schreie er in der Nacht und habe Wutausbrüche am Tag.

Als zwei Journalisten der SZ den Wikileaks-Mitbegründer 2014 besuchten, trafen sie einen bleichen Mann, dessen Hände zitterten. Schon damals hieß es, er leide unter Herzproblemen, hohem Blutdruck und habe ein Lungenleiden. Man kann nur erahnen, wie sehr drei weitere Jahre den Zustand verschlimmert haben mögen. Nun könnte die lange Isolation bald ein Ende haben.

Am Freitagvormittag gab die schwedische Staatsanwaltschaft bekannt, dass sie die Ermittlungen wegen Vergewaltigungsvorwürfen gegen den Australier einstellt - weil in dem Fall mit keinen neuen Erkenntnissen mehr zu rechnen sei. Die Schuldfrage ist damit nicht geklärt, vielmehr trägt die Staatsanwältin damit der Einschätzung Rechnung, dass die haftähnlichen Bedingungen, unter denen Assange seit Jahren lebt, ohne Schuldspruch nicht länger zu rechtfertigen seien.

Bereits 2016 hatte ein UN-Bericht festgestellt, dass Assanges Aufenthalt in der Botschaft eine Form von "willkürlicher Haft" darstelle.

"Das kann ich nicht vergeben und vergessen", schreibt Assange auf Twitter

Am Nachmittag trat Assange auf den Balkon der Botschaft und nannte die Entscheidung der Staatsanwaltschaft einen wichtigen Sieg. Auf Twitter schrieb er, er werde seit insgesamt sieben Jahren ohne Anklage festgehalten. "Das kann ich nicht vergeben und vergessen." Es sei nicht das, "was wir von einem zivilisierten Staat erwarten". Wikileaks werde mit seinen Veröffentlichungen weiter machen.

Der Aktivist pochte darauf, ein Recht auf politisches Asyl zu haben. Ob er die ecuadorianische Botschaft in London demnächst verlasse, ließ Assange offen. Wie die BBC berichtet, soll Ecuador das Vereinigte Königreich gebeten haben, ihm freies Geleit zu gewähren, damit er das das Land verlassen könne. Assange sei in Ecuador willkommen, sagte Guillaume Long, der Außenminister des Landes, bei einer Pressekonferenz.

Assange wird vorgeworfen, im Sommer 2010 eine Schwedin vergewaltigt zu haben. Die Vorwürfe einer zweiten Frau sind mittlerweile verjährt, Assange bestreitet sie in beiden Fällen. Die Entscheidung, die Ermittlungen gegen ihn einzustellen, fiel zu einem interessanten Zeitpunkt: Erst einen Tag zuvor wurde Chelsea Manning nach sieben Jahren Haft entlassen - jene Whistleblowerin und Angehörige des US-Militärs, die Julian Assange einen Großteil der Geheimdokumente zukommen ließ, die Wikileaks berühmt machten. Assange dankte am Freitag Manning für ihre Taten und erinnerte an ihre Entlassung aus dem Militärgefängnis, die er als wichtigen Sieg bezeichnete.

Die Geschichte Mannings ist eng mit der von Julian Assange verknüpft. Assanges Entscheidung Hunderttausende Dokumente über die Kriege der USA in Afghanistan und im Irak ins Internet zu stellen, ist bis heute umstritten. Unterstützer feiern ihn als Kämpfer für die Freiheit, Kritiker sehen in ihm einen selbstgefälligen Narziss, der mit seinem Dogma der absoluten Transparenz sogar das Leben anderer Menschen aufs Spiel setzte, weil ihre Namen in den Dokumenten nicht geschwärzt waren.

Ab Februar 2010 veröffentlicht Wikileaks die ersten Dokumente, die von Chelsea Manning bereitgestellt wurden. Darunter sind von Soldaten aufgezeichnete Frontberichte, aber auch Depeschen von Geheimdiensten, Botschaften und anderen Quellen.

Im Juli und im Oktober 2010 folgen die nächsten große Enthüllungen, am Ende sind es mehrere Hunderttausend Geheimdokumente über den Krieg in Afghanistan und im Irak, die Folter und anderes Fehlverhalten der Amerikaner dokumentieren. Als im November 2010 mehrere internationale Medien, darunter der Spiegel, die New York Times und der britische Guardian zeitgleich eine erste Analyse der Daten veröffentlichen, sind Assanges Tage in Freiheit schon angezählt.

Die Vergewaltigungsvorwürfe - und die Zuflucht in der Botschaft

Anders als später Edward Snowden denkt Assange anfangs gar nicht daran, vor den Behörden in Deckung zu gehen. Er reist um die Welt und hält Vorträge, sogar in den USA. Im April 2010 präsentiert Assange dem National Press Club in Washington ein brisantes Video. Darin ist zu sehen, wie amerikanische Soldaten irakische Zivilisten regelrecht hinrichten - es ist die bis dahin größte Enthüllung seiner Plattform.

Im August 2010 kommt diese Freiheit zu einem jähen Ende. Die Stockholmer Staatsanwaltschaft ermittelt wegen des Verdachts der Nötigung, Belästigung und Vergewaltigung. Es liegt ein Haftbefehl gegen ihn vor. Nach wenigen Stunden hebt die Behörde den Befehl wieder auf, ermittelt aber weiter. Im November 2010 wird der Haftbefehl erneut ausgestellt, diesmal gibt es auch einen europaweiten Haftbefehl.

Im Dezember 2010 stellt sich Assange der britischen Polizei, kommt aber nach einer Woche Untersuchungshaft gegen eine Kaution von umgerechnet 200 000 britischen Pfund (damals etwa 288 000 Euro) wieder frei. Das Tauziehen um seine Auslieferung beginnt. 2012 landet der Fall schließlich vor dem Obersten Gerichtshof in Großbritannien. Zum vorerst letzten Mal verliert Assange, der Auslieferungsbefehl bleibt bestehen.

Am 19. Juni 2012 flieht er in die ecuadorianische Botschaft in London und beantragt politisches Asyl. Die britischen Behörden drohen mit einer Festnahme, sollte er die Botschaft verlassen. Tag und Nacht stehen Polizisten vor der winzigen Botschaft, die nicht mehr ist als ein kleines Apartment - allerdings in bester Lage, gegenüber des großen Londoner Kaufhauses Harrods. Sollte Assange die Botschaft verlassen, würden sie ihn sofort festnehmen. So ist es bis heute.

Nur Minuten nach der Bekanntgabe der schwedischen Staatsanwaltschaft erklärt die Londoner Polizei, dass es noch immer einen britischen Haftbefehl gegen ihn gebe - weil Assange 2012 einen Gerichtstermin nicht wahrgenommen hat.

Allerdings: Jetzt, wo der Vorwurf der Vergewaltigung nicht mehr im Raum steht, ist das Vergehen sehr viel kleiner. Entsprechend geringer werden auch die Ressourcen ausfallen, die für seine Verhaftung eingesetzt würden, heißt es in dem Statement der Londoner Polizei.

Wie es jetzt weitergeht im Fall Assange, ist unklar. Der Mitbegründer von Wikileaks hatte die Vorwürfe aus Schweden immer als politisch motiviert bezeichnet. Nach eigenen Angaben befürchtete er im Falle einer Auslieferung an Schweden von dort in die USA überstellt zu werden - wo ihm womöglich sogar die Todesstrafe drohe. Dass es tatsächlich so weit kommen könnte, ist allerdings umstritten.

Assange hat keine Geheimhaltungspflichten verletzt

Bisher existiert in den USA nicht einmal eine Anklageschrift gegen Assange. Zwar hatte die neue US-Regierung unter Donald Trump den Kampf gegen Whistleblower zur "Priorität" erklärt, im April hieß es, dass leitende Staatsanwälte eine Anklage gegen ihn vorbereiteten - bisher sind das aber nur Gerüchte. Auch, ob es ein Auslieferungsersuchen an die britische Regierung gibt, ist nicht bekannt.

Tatsächlich dürfte es für die US-Regierung aber schwierig werden, Assange juristisch beizukommen. Denn - anders als der ehemalige Soldat Chelsea Manning oder der Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden - hat Assange keinerlei Geheimhaltungspflichten verletzt. Unter Obama hatte das Justizministerium deshalb entschieden, Assange nicht strafrechtlich zu verfolgen. Begründung: Die Enthüllungsplattform Wikileaks sei einem Nachrichtenmedium vergleichbar. Würde man den Wikileaks-Mitbegründer verfolgen, wäre das als würde man Journalisten belangen, die geheime Dokumente auswerten und darüber berichten.

"Nie zuvor in der Geschichte dieses Landes wurde ein Publizist dafür belangt, dass er der Öffentlichkeit wahrheitsgemäße Informationen vorlegt", sagte Ben Wizner, Direktor der Bürgerrechtsorganisation ACLU im April. Sollten die USA Assange nun doch noch anklagen, würde das den Krieg, den der US-Präsident nach eigenen Angaben mit den Medien führt, wohl endgültig eskalieren lassen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3513797
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ.de/mati/liv
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.