Ermittlungen nach NSU-Prozess:Hinweise auf rechte Motive bei 746 Tötungsdelikten

Seit dem NSU-Prozess untersuchen Bundeskriminalamt und Landespolizei unaufgeklärte Tötungsdelikte auf einen rechtsextremen Hintergrund. Erste Ergebnisse deuten darauf hin, dass es deutlich mehr rechte Gewalt gibt als bislang angenommen.

"Döner-Morde" - so nannten deutsche Medien die Tötung von acht Migranten zwischen 2000 und 2006. Die unangebrachte Bezeichnung spiegelt die falsche Richtung wieder, in die die Ermittlungen der Polizei lange führten. Jahre später wurde bekannt, welche Motive dahinter steckten: Hass auf Menschen, nur weil sie ursprünglich aus dem Ausland stammten. Die Täter gehörten zu einer rechtsextremen Terrorzelle, dem NSU

Nach deren Entdeckung wollte das Bundesinnenministerium wissen, ob auch bei anderen nicht aufgeklärten Delikten ein rechtsextremes Motiv vorliegt. Das Bundeskriminalamt und die Landespolizeibehörden überprüften daraufhin 3300 Fälle von Tötungen und Tötungsversuchen zwischen 1990 und 2013. Es handelt sich um Fälle, bei denen es keinen Verdächtigen gibt. Seit Ende August liegt ein erstes Ergebnis vor.

Wie die Neue Osnabrücker Zeitung berichtet, habe ein Sprecher des Bundesinnenministeriums bestätigt, dass es in 746 Fällen Anhaltspunkte "für eine mögliche politisch rechte Tatmotivation" gebe.

Gegenüber Süddeutsche.de sagte der Ministeriumssprecher, man habe die Delikte mithilfe eines Indikatorenkataloges herausgefiltert: Hat das Opfer einen Migrationshintergrund oder ein entsprechendes Umfeld? Handelt es sich vielleicht um einen Obdachlosen?

Mehr Informationen zu den angewandten Indikatoren wollte der Sprecher nicht nennen.

Unterschiedliche Zählweise

Außerdem, so sagte er weiter, könne die Anzahl weiter sinken. "Derzeit wird detaillierter geprüft und dann können noch Delikte herausfallen." Anfang nächsten Jahres sollen die Daten an die Landeskriminalämter weitergegeben werden, die wiederum jeden einzelnen Fall prüfen und im Zweifelsfall Ermittlungen anstellen. "Es kann sein, dass am Ende nur 100 Delikte übrig bleiben." Das endgültige Ergebnis soll im zweiten Quartal 2014 vorliegen.

Es könnte ausschlaggebend sein für die Opferstatistik, über die es seit Jahren Streit gibt. Während die Bundesregierung derzeit 63 Todesopfer rechter Gewalt zählt, haben Journalisten und Initiativen andere Zahlen ermittelt. Zeit und Tagesspiegel rechnen bis 2013 mit insgesamt 152 Todesopfern, die Initiative "Mut gegen rechte Gewalt" sogar mit 184.

Die unterschiedliche Zählweise resultiert aus den verschiedenen Strategien, politisch motivierte Straftaten zu erfassen. Die Polizei verwendet bezüglich der Opfer eindeutige Kategorien wie Hautfarbe, Religion, Weltanschauung oder Herkunft. Die Initiative "Mut gegen rechte Gewalt" berücksichtigt auch, ob die Hinterbliebenen den Angriff auf das Opfer als rechtsextremen oder rassistischen Angriff sehen. Diese Erfassung rechter Straftaten durch die Polizei hat in der Vergangenheit zu Anfragen im Bundestag geführt.

Die Kritik hat sich das Bundesinnenministerium zu Herzen genommen: Unter den 746 Fällen, die herausgefiltert wurden, befinden sich nun auch Delikte, die Zeit und Tagesspiegel untersucht haben. "Die Zahlen wabern immer herum", sagt der Sprecher. Man wolle Klarheit.

Das will auch die Grünen-Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt. Sie fordert konkrete Maßnahmen zur polizeilichen Wahrnehmung und Verfolgung rassistisch motivierter Straftaten. Die würden im Koalitionsvertrag fehlen. "Wir sind es den Opfern und Angehörigen schuldig, alle Anstrengungen in eine Neubewertung ungeklärter Gewaltdelikte zu intensivieren und künftig mögliche rassistische Hintergründe entschieden zu verfolgen."

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