Ermittlungen in der NSU-Mordserie:Auf der Spur der Mietautos

Der Untersuchungsausschuss zu den NSU-Morden untersucht eine Spur um den V-Mann Primus und Mietwagen

Im April 2011 fanden Ermittler die Leichen zweier NSU-Terroristen in diesem Wohnwagen in Eisenach.

(Foto: dpa)

Suche nach Beweisen: Im Februar reisten deutsche Ermittler in die Schweiz, um Ex-V-Mann "Primus" über die NSU-Terroristen zu befragen. Sie verfolgten dort eine neue Fährte. Es geht um Mietautos, die die Neonazis bei ihren Morden benutzt haben könnten. Sollte sich der Verdacht erhärten, so wäre das ein Skandal.

Von Hans Leyendecker und Tanjev Schultz

Mitte Februar reisten zwei Beamte des Bundeskriminalamts nach Chur in die Schweiz, um gemeinsam mit eidgenössischen Kollegen den ehemaligen deutschen V-Mann "Primus", der lange in Zwickau gelebt hatte, über die Neonazi-Mörderbande NSU und deren mutmaßliche Helfer zu befragen. Der Mann kannte sich in der rechten Szene gut aus, denn er gehörte früher selbst dazu.

Das Protokoll der Einvernahme, die fast fünf Stunden dauerte, umfasst 23 Seiten. Die NSU-Spezialisten stellten 111 Fragen, und als es nach Frage 96 sehr ernst wurde, machten sie den seit 2009 in der Schweiz lebenden 41-Jährigen eindringlich darauf aufmerksam, dass er gemäß Paragraf 55 der Strafprozessordnung ein Auskunftsverweigerungsrecht habe, wenn er sich durch eine Antwort selbst belasten könnte.

Zeitliche Überschneidungen bei zwei Morden

Sie wollten von dem Mann, der nach der Jahrtausendwende eine Baufirma betrieb, wissen, ob er die Autos, die er im Juni und August 2001 gemietet hatte, "dritten Personen" überlassen habe. Es gibt zeitliche Überschneidungen zwischen zwei Morden des NSU in Nürnberg und München und Fahrzeuganmietungen in Zwickau. Verklausuliert fragten sie Ex-"Primus", ob der Mann möglicherweise Beihilfe zu zwei Morden geleistet haben könnte.

Die Antworten, die er gab, änderten zwar nichts an seinem Zeugenstatus, aber ganz klar fielen sie nicht aus. Im Zusammenhang mit dem Mord am 13. Juni 2001 in Nürnberg sagte er, er könne sich nicht vorstellen, anderen Leuten einen Wagen gegeben zu haben. Und mit Blick auf den Mord am 29. August 2001 in München: "Nicht, dass ich es wüsste".

Ihm sei auch nicht bekannt, ob seine Angestellten anderen Leuten einen Wagen zur Verfügung gestellt hätten. Er traue keinem seiner ehemaligen Angestellten eine Mittäterschaft zu, sagte der Ex-V-Mann noch. Die Ermittler hakten nach. Sie fragten ihn noch einmal, ob er oder seine Leute dem Trio Fahrzeuge zur Verfügung gestellt hätten. Er antwortete: "Nein, meines Wissens nicht."

Auffällige Intensität bei der Spurensuche

Der einstige Informant ist also Zeuge geblieben, er ist kein Beschuldigter, die Unschuldsvermutung hat er ohnehin auf seiner Seite. Aber auffällig ist schon, mit welcher Intensität sich die Ermittler auf seine Spuren gemacht haben. Die Akte mit Vernehmungen zu seiner Person und seinem Gewerbe im Osten Deutschlands hat viele Blätter. Kein anderer Zeuge wurde derart ins Visier genommen. Bereits im Oktober war er in der Schweiz von BKA-Spezialisten befragt worden. Danach stellten die Ermittler ein weiteres Rechtshilfeersuchen.

Lange Zeit gingen sie dem offenbar falschen Verdacht nach, das mutmaßliche NSU-Mitglied Beate Zschäpe habe in einem von seinen rechten Szene-Läden, in denen auch Bomberjacken und Springerstiefel verkauft wurden, als Verkäuferin gearbeitet. Jetzt verfolgen sie die Autospur.

Informant war in der Neonanzi-Szene bekannt

Falls der Mann trotz aller Beteuerungen, er habe mit dem NSU nichts zu tun gehabt, Zschäpe nie beschäftigt, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt nie getroffen, ein Aktenzeichen bekommen sollte, hätte die Republik einen V-Mann-Skandal, der alles Gewesene übertreffen würde. Eine Quelle des Staates wäre in die Mordserie verwickelt. Davon könnte sich der Verfassungsschutz nur schwer wieder erholen.

Seit 1992, fast ein Jahrzehnt lang, soll der Mann für den Verfassungsschutz im Bereich Rechtsextremismus als Quelle gearbeitet haben. Fotos zeigen ihn mit einer Pumpgun, was die Fahnder anfangs elektrisierte. In der Schweiz haben sie die Spur einer Pumpgun entdeckt, die dann zum NSU führte.

"Richtig darauf gewartet, bis mein Name auch irgendwann fällt"

Der Informant kennt mindestens vier der Beschuldigten in dem NSU-Komplex, unter ihnen André E., der zu den fünf Angeklagten im NSU-Prozess gehört. Mit Jan W., einem anderen Beschuldigten, hat er noch im Vorjahr über das NSU-Verfahren gechattet. Nachdem W. wissen wollte, warum er früher mal für den Verfassungsschutz gearbeitet habe, brach er den Kontakt ab. Er habe "richtig darauf gewartet, bis mein Name auch irgendwann fällt", sagte er bei seiner Einvernahme in Chur.

Aber all die Geschichten aus dem braunen Sumpf mit den "Doof-Skinheads aus Thüringen" (so der Ex-V-Mann) oder den Nazi-Reisen nach Ungarn, die "Primus" zum Teil mitorganisiert hat, verschwinden hinter dem neuen Verdacht der Ermittler.

Fast lückenlos können sie nachweisen, wann das Trio oder seine Helfer bei wem Autos angemietet haben, um zwischen 2000 und 2007 Ziele auszuspähen oder um zu morden. Nur für die ersten vier Morde der Serie, die im September 2000 in Nürnberg begann, fehlen die Belege. Die Fahnder wissen nicht, ob die Mörder im Sommer 2001 mit Wohnmobilen oder mit anderen Fahrzeugen zu den Tatorten fuhren.

Lange Anfahrtswege der Mitarbeiter

V-Mann "Primus" betrieb von 2000 bis 2002 in Zwickau eine Baufirma, die bald auch in München und in der Nähe von Nürnberg tätig war. Im Sommer 2001 hatte er bei einer Autovermietung in Zwickau einen Audi A2, einen Mercedes Sprinter und einen VW-Golf gemietet. Die Autos sind für lange Fahrten genutzt worden, der Zeitraum überschneidet sich mit den Morden, aber ein Beweis ist das nicht.

Seine Leute hätten im Schichtbetrieb gearbeitet, lange Anfahrtswege gehabt, dafür habe er die Autos gebraucht, sagt er. Einer seiner Leute, der im Sommer 2001 einen Wagen für die Firma anmietete, wohnte in der Polenzstraße in Zwickau. Ein paar Monate zuvor war das Neonazi-Trio in die Polenzstraße gezogen. Zwickau ist ja nicht sehr groß.

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