Ermittlungen gegen Wulff:Hinweisgeber Nummer 2499

Ein anonymer Hinweisgeber brachte die Affäre Wulff ins Rollen. Die Ermittler machten daraus eine Staatsaktion. Haben sie besonders akribisch gearbeitet oder den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit längst verletzt?

Von Hans Leyendecker

Neunzehn Bände Spurenakten, fünfzehn Bände Beweismittelordner, vierzehn Bände Hauptakten, neun Bände Sonderhefte, sieben Bände Finanzermittlungen. Im Ermittlungsverfahren 4212 Js 12184/12, das sich gegen den früheren Bundespräsidenten Christian Wulff und den Filmproduzenten David Groenewold richtet, ist es nicht immer einfach, den Überblick zu behalten.

Am Ende des Verfahrens, das Wulff das Amt kostete, ist ein Betrag in Höhe von 400 bis 770 Euro strittig, mit dem Wulff angeblich bestochen worden sein soll, was er bestreitet. Aber noch mehr geht es um die Frage, ob die Ermittlungen, die zeitweise von 24 Kriminalisten vorangetrieben wurden, besonders akribisch geführt worden sind; oder ob sie den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit längst verletzt haben.

Beispielhaft für den Ermittlungseifer ist der Vorgang um die "BKMS-Meldung 2499". Das Kürzel steht für eine Software, mit deren Hilfe Whistleblower ohne persönliches Risiko Hinweise auf angebliche oder tatsächliche Missstände in Unternehmen und Verwaltungen geben können. Sie bleiben anonym, ihre Namen tauchen in Akten nicht auf. Niedersachsen arbeitet seit 2004 mit BKMS. Es gab Erfolge, aber auch Fehlschläge, Unschuldige gerieten ins Visier.

Der Hinweisgeber mit der Nummer 2499 wusste Mitte März 2012 zu berichten, Wulff habe angeblich Industrielle, die er aus "langjährigen Beziehungen" gut kannte", um falsche eidesstattliche Erklärungen gebeten. Sie sollten "wahrheitswidrig" erklären, ihm Geld geliehen zu haben. Dadurch sollte verdeckt werden, dass Wulffs Freund, der Filmproduzent David Groenewold, ihm einen Urlaub auf Sylt bezahlt habe. Der klamme Wulff, so der Unbekannte, habe der Staatsanwaltschaft "weismachen" wollen, dass er Groenewold das Geld bar zurückgegeben habe. Wulff hatte wissen lassen, das Geld, das er Groenewold gab, stamme von seiner Schwiegermutter.

Stimmt nicht, meinte Anonymus. Angeblich wusste der Mann, der offenbar viel Zeitung las, was Wulff den Bossen am Telefon gesagt haben soll. Sie schuldeten ihm etwas, soll er erklärt haben. Der Gefallen, den sie ihm tun sollten, sei doch nur ein "kleiner Freundschaftsdienst", um die "lästige Staatsanwaltschaft loszuwerden".

Überall krachende Dementis

Wie sich mancher da draußen die große Welt vorstellt. Da der Unbekannte die Namen der zwei Vorstandsvorsitzenden Jürgen Großmann (RWE) und Michael Frenzel (TUI) nannte, die Wulff angeblich um den Gefallen gebeten hatte, wäre es in einem normalen Korruptionsverfahren üblich gewesen, die beiden Manager zu fragen, ob an den Vorgängen was dran sei oder nicht; und dann den Vorgang abzuschließen.

Die Ermittler aber machten daraus eine Staatsaktion. In einem Vermerk notierte ein Strafverfolger, es gebe eine Presseanfrage aus den ersten März-Tagen, die sich auf Wulff, eine angeblich versuchte Manipulation und den Vorstandschef eines niedersächsischen Konzern beziehe. Jetzt seien in der BKMS-Meldung von Mitte März zwei Konzernchefs genannt worden, die Wulff kenne. Denkbar sei zwar, dass es sich "um die Wiedergabe von unzutreffenden Gerüchten" oder um eine "bewusste Falschmeldung" handele. Im Rahmen einer "vernetzten Beweiswürdigung" wegen der Presseanfrage und der Meldung solle der Vorgang aber untersucht werden.

Weil der Unbekannte von weiteren Anrufen fabuliert hatte, "deren Details ich aber noch nicht kenne", machten sich die Ermittler daran, festzustellen, mit wem Wulff wann telefoniert hatte. Sie erstellten eine Liste mit acht Namen von Managern - darunter Mitglieder der Dynastien Piëch und Porsche sowie andere große Namen aus dem deutschen Geldadel. Sie alle wurden befragt - und überall gab es krachende Dementis.

Dem Air-Berlin-Chef Jürgen Hunold beispielsweise wurde bei einer Vernehmung die Meldung des Anonymus vorgelegt. "Nein, nie" würde er eine falsche Erklärung abgeben, sagte Hunold. Wulff habe ihn nie darum gebeten. Ob er den Anruf Wulffs "mit diesem Ansinnen" ausschließe, hakte der Oberstaatsanwalt nach. Ja, sagte Hunold. Und er soll fassungslos dreingeschaut haben.

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