Ermittlungen gegen "netzpolitik.org":Maas zweifelt an Landesverrat-Vorwurf

  • Politiker und selbst ein Ex-Bundesrichter haben die Ermittlungen wegen Landesverrats gegen netzpolitik.org als "Scherz" und "juristisch an den Haaren herbeigezogen" bezeichnet.
  • Generalbundesanwalt Harald Range reagiert auf den Protest.
  • Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) sieht die Ermittlungen gegen netzpolitik.org kritisch.
  • Die Blogger von correctiv.org haben die umstrittenen Dokumente ebenfalls veröffentlicht - und wollen sich selbst anzeigen.

Von Markus C. Schulte von Drach

Landesverrat - bei einem solchen Vorwurf gegen Journalisten in Deutschland lässt die Reaktion anderer Journalisten nicht lange auf sich warten. Und sie ist einhellig: Empörung. So weit, so erwartbar, aber auch Politiker und Juristen zeigen sich verwundert bis fassungslos bei der Nachricht von Ermittlungen gegen das Berliner Blog netzpolitik.org.

Auch Generalbundesanwalt Harald Range hat bereits regaiert. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung zitiert Range mit den Worten, man sehe mit "Blick auf das hohe Gut der Presse- und Meinungsfreiheit" ab von "nach der Strafprozessordnung möglichen Exekutivmaßnahmen". Es sei zunächst in einem Gutachten zu klären, ob es sich bei den Veröffentlichungen tatsächlich um preisgegebene Staatsgeheimnisse handelt. "Bis zum Eingang des Gutachtens wird mit den Ermittlungen innegehalten", zitiert die Zeitung den Generalbundesanwalt. Dieses Vorgehen war allerdings von Anfang an so geplant - es handelt sich also nicht um ein Zurückrudern.

Maas sieht Ermittlungen mit Skepsis

Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) begrüßte Ranges Entscheidung, das Ermittlungsverfahren gegen netzpolitik.org vorläufig ruhen zu lassen. Er habe dem Generalbundesanwalt mitgeteilt, "dass ich Zweifel daran habe, ob die Journalisten mit ihrer Veröffentlichung die Absicht verfolgt haben, die Bundesrepublik Deutschland zu benachteiligen oder eine fremde Macht zu begünstigen", sagte Maas in Berlin. Damit stellte Maas den Anfangverdacht des Landesverrats in Frage, der zu den Ermittlungen geführt hatte.

Der SPD-Politiker erklärte weiter, er habe auch "Zweifel daran, ob es sich bei den veröffentlichten Dokumenten um ein Staatsgeheimnis handelt, dessen Veröffentlichung die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland herbeiführt". Das Bundesjustizministerium werde dem Generalbundesanwalt in Kürze "eine eigene Einschätzung" übermitteln, erklärte Maas.

Außerdem kündigte er an, gesetzliche Änderungen prüfen zu wollen. Dabei werde zu klären sein, "ob die strafrechtlichen Vorschriften über Landesverrat und über den Schutz von Staatsgeheimnissen im Verhältnis zur Pressefreiheit insgesamt reformbedürftig sind".

Kritik an Range und Maaßen

Wie wichtig der Öffentlichkeit das "hohe Gut der Presse- und Meinungsfreiheit" ist, zeigt die vielfältige Kritik an Range und dem Präsidenten des Bundesamts für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen.

"Der Landesverrat von Journalisten ist doch wohl ein schlechter Scherz", twittert etwa der stellvertretende SPD-Vorsitzende Ralf Stegner.

Lars Klingbeil, netzpolitischer Sprecher der Sozialdemokraten, wundert sich darüber, dass der Generalbundesanwalt Zeit für solche Maßnahmen hat - schließlich, so twittert Klingbeil, sei er "mit Ermittlungen wegen Abhören von Kanzleramt und Ministerien voll ausgelastet".

Auch von der Opposition hagelt es Kritik. Konstantin von Notz, netzpolitischer Sprecher der Grünen, dokumentierte auf Twitter sogar, dass er in netzpolitik.de "gerade eine landesverräterische Vereinigung" mit einer Spende unterstützt habe. Seine Parteikollegin Renate Künast zeigt sich im Kölner Stadt-Anzeiger "erbost" und spricht von einer "rechtsstaatlichen Blamage".

Der Umgang mit netzpolitik.org, so twittert Petra Pau von den Linken werde "offenbar zum Lackmustest für Pressefreiheit und Rechtsstaat".

Peter Schaar, ehemals Bundesbeauftragter für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, warnt in seinem Blog, wenn Journalisten und ihre Quellen damit rechnen müssten, dass die zu ihrem Schutz geschaffenen Vorschriften wie Beschlagnahmeschutz und Zeugnisverweigerungsrechte nicht mehr wirkten, sei die Pressefreiheit in Gefahr. Ihm erscheint es "ziemlich unwahrscheinlich, dass es zu einer Anklageerhebung wegen Landesverrats" kommen wird. Eines aber habe die Bundesanwaltschaft schon erreicht: "Eine Verunsicherung des Vertrauens - nicht nur bei Journalisten - in das Funktionieren unseres Rechtsstaats."

Ex-Bundesrichter fordert Eingreifen von Justizminister Maas

Dem Ex-Bundesrichter und ehemaligen Bundestagsabgeordneten Wolfgang Nešković erscheint die Einleitung des Ermittlungsverfahrens "juristisch an den Haaren herbeigezogen". Nicht jedes Papier, das rechtlich als geheimhaltungsbedürftig eingestuft werde, falle unter den Tatbestand des Landesverrats. Dies sei nur dann der Fall, wenn durch die betroffenen Informationen "für die äußere Sicherheit Deutschlands die Gefahr eines schweren Nachteils besteht, wenn sie öffentlich gemacht werden". Das sei hier nicht erkennbar. Außerdem müssten die Journalisten die Absicht gehabt haben, Deutschland zu benachteiligen oder eine fremde Macht zu begünstigen.

"Es ist offenkundig, dass die Journalisten allein darauf abzielten, die Öffentlichkeit von den maßlosen Plänen von Herrn Maaßen in Kenntnis zu setzen, um eine öffentliche Diskussion anzustoßen", sagte Nešković der SZ. "Ich fordere Bundesjustizminister Maas auf, dem nach dem Gerichtsverfassungsgesetz das Recht der Aufsicht und Leitung über den Generalbundesanwalt zusteht, sich der Sache anzunehmen und damit die ihm nach dem Gesetz zustehende rechtliche und politische Verantwortung zu übernehmen."

Auch Jurist Henning Ernst Müller von der Universität Regensburg stellt auf dem beck-blog fest, der subjektive Tatbestand des Landesverrats sei "im vorliegenden Fall sehr fernliegend, es gibt dafür schlicht keinerlei Anhaltspunkte im Verhalten der Verantwortlichen von netzpolitik.org."

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