Ermittlungen gegen Erdoğan-Kritiker:Ankaras Arm reicht bis nach Mecklenburg-Vorpommern

Ermittlungen gegen Erdoğan-Kritiker: Das Gebäude der Staatsanwaltschaft Neubrandenburg im Behördenzentrum in der Neustrelitzer Straße

Das Gebäude der Staatsanwaltschaft Neubrandenburg im Behördenzentrum in der Neustrelitzer Straße

(Foto: Mr. Pommeroy via Wiki Commons (CC BY-SA 4.0))
  • Über das Generalkonsulat in Berlin wandte sich die Staatsanwaltschaft im türkischen Iğdır an die Staatsanwaltschaft Neubrandenburg.
  • Diese wurde im Fall von Ibrahim Ö. tätig.
  • Sie eröffnete im März 2018 den Fall gegen Ö. und ließ ihn wegen "des Verdachts der Beleidigung zum Nachteil des türkischen Präsidenten Erdoğan" durch den Staatsschutz vernehmen.

Von Volkmar Kabisch und Reiko Pinkert

Türkische Sicherheitsbehörden gehen weiter gegen in Deutschland lebende Kritiker vor. Nach Recherchen von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung wenden sich Ankaras Ermittler hierbei auch an deutsche Behörden.

Für gewöhnlich werden in deutschen Behörden Anfragen aus der Türkei, die eine gewisse politische Brisanz haben, unbeantwortet gelassen. Im Land Berlin werden diese zum Beispiel grundsätzlich einfach zurück geschickt.

Doch im Fall von Ibrahim Ö. wurde die Staatsanwaltschaft Neubrandenburg in Mecklenburg-Vorpommern tätig. Diese wurde vom türkischen Generalkonsulat um Rechtshilfe gebeten, um gegen den seit Jahren in Deutschland als Flüchtling lebenden Türken vorzugehen.

Ö. soll vier Facebook-Posts geteilt haben, in denen der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan kritisiert wurde. In einem der Beiträge geht es um ein kurdisches Wortspiel in dem Erdoğan als Kerdogan bezeichnet wurde, als "Esel". Ibrahim Ö. soll diese nicht selbst verfasst, sondern lediglich geteilt haben.

Die Staatsanwaltschaft im türkischen Iğdır warf Ö. in ihrem Ersuchen neben der Beleidigung des Staatspräsidenten sogar die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung vor. Über das Generalkonsulat in Berlin wandte sie sich an die Staatsanwaltschaft Neubrandenburg. Diese eröffnete im März 2018 den Fall gegen Ö. und ließ ihn wegen "des Verdachts der Beleidigung zum Nachteil des türkischen Präsidenten Erdoğan" durch den Staatsschutz vernehmen. Den Vorwürfen wegen des Terrorverdachts wollte die Staatsanwaltschaft Neubrandenburg hingegen nicht nachgehen. Einem Sprecher zufolge wurde das zuständige Schweriner Justizministerium von den Türken über das Rechtshilfeersuchen nicht informiert.

Staatsanwälte wollten die Aussage an das Generalkonsulat übermitteln

Lukas Theune, der Rechtsanwalt von Ibrahim Ö., findet das Vorgehen der Staatsanwaltschaft höchst fragwürdig. Schließlich sei nach deutscher Rechtsprechung das Teilen von beleidigenden Facebook-Inhalten nicht strafbar. Problematisch sei vor allem, dass die Neubrandenburger Staatsanwälte ursprünglich die Aussage und weitere Daten an das Generalkonsulat übermitteln wollten. "Wenn die Staatsanwaltschaft nun auch noch die persönlichen Daten meines Mandanten an die türkischen Behörden übersendet und ihn und seine Familie damit gefährdet, ist der Justizskandal komplett", so Theune.

Der Beschuldigte Ibrahim Ö. sagte auf Anfrage: "Ich ärgere mich, dass deutsche Behörden Erdoğan helfen. Alle meine Daten stehen in der Akte, Adresse, Telefonnummer."

Rechtsanwalt Theune hat beantragt, Aussage und Daten nicht in die Türkei zu schicken. "Die Entscheidung bleibt abzuwarten", sagte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Neubrandenburg.

Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag, Sevim Dağdelen, erklärte gegenüber NDR, WDR und SZ: "Es wäre fatal, wenn der Eindruck erweckt wird, dass deutsche Staatsanwaltschaften sich hier zum verlängerten Arm Ankaras machen."

Die meisten Justizministerien in den Bundesländer erfassen Inhalte türkischer Rechtshifeersuchen nicht statistisch. Die türkische Botschaft wollte auf Anfrage nicht mitteilen, wie viele Ersuchen in letzter Zeit an deutsche Behörden gestellt wurden. Daher bleibt unklar, wie viele solcher Fälle es bundesweit möglicherweise gibt.

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