Ermittlungen:Flüchtlinge unter Terrorverdacht

Immer mehr Verfahren in Deutschland laufen gegen Afghanen, Somalier und Syrer.

Von Georg Mascolo und Ronen Steinke

Seit Jahren steigt die Zahl der Terror-Verdachtsfälle steil an. Kurz vor Weihnachten erklärte die Bundesanwaltschaft, allein 2017 seien 1200 neue Ermittlungen wegen der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung eingeleitet worden, etwa 1000 davon mit islamistischem Hintergrund. Das sind etwa fünfmal so viel wie im Jahr zuvor. Erstmals hat die Bundesregierung nun auf eine parlamentarische Anfrage der AfD hin aufgeschlüsselt, wie viele der Verdächtigen keine Deutschen sind und welche Nationalitäten sie haben. Nimmt man die Zahlen für 2017, so fallen gleich mehrere Dinge auf.

Die größte Gruppe, 299 Personen, sind Afghanen. Ihnen folgen somalische Staatsangehörige mit 190 Fällen. Diese außerordentlich hohen Zahlen - sie geben den Stand vom 1. November 2017 wieder - erklären sich teilweise mit einem Phänomen, das auch erfahrene Staatsschützer verblüfft. In Asylanhörungen haben sich Hunderte Flüchtlinge selbst bezichtigt, für die afghanischen Taliban oder die mit al-Qaida eng verbundene somalische Al-Shabaab-Miliz gekämpft oder sie anders unterstützt zu haben. Diese Geständnisse können echt sein. Aber eine Theorie lautet auch, dass sich manche der Flüchtlinge - warum auch immer - von solchen Angaben bessere Bleibechancen oder Schutz vor Abschiebung erhoffen.

Viele sogenannte Gefährder sollen sich erst in Deutschland radikalisiert haben

Bei der dritten Gruppe, syrischen Staatsangehörigen, ist es anders. Die 162 Ermittlungsverfahren gegen sie beruhen zumindest in zahlreichen Fällen nicht auf Selbstbezichtigungen, sondern auf aufwendigen Ermittlungen oder den Anzeigen anderer Flüchtlinge. Von denen erweisen sich viele jedoch als falsch. Fast die Hälfte aller Terror-Ermittlungen wurde laut Bundesanwaltschaft bereits 2017 wieder eingestellt. Besorgniserregend ist der Trend dennoch: Syrer bilden inzwischen nach deutschen Staatsangehörigen unter den sogenannten Gefährdern - also Personen, denen die Polizei einen Anschlag zutraut - die zweitgrößte Gruppe.

Nur in den seltensten Fällen sehen deutsche Sicherheitsbehörden Hinweise darauf, dass sie von Hintermännern des sogenannten Islamischen Staates gezielt nach Deutschland geschickt wurden. Vielmehr geht man davon aus, dass sie sich erst nach ihrer Ankunft in Deutschland radikalisiert haben. Als Gründe gelten Frust über die Lebenssituation, unklare Perspektiven, eine labile Persönlichkeit oder Gewalterfahrungen. Die schwersten islamistischen Anschläge, die zuletzt in Deutschland verübt wurden, etwa der Massenmord auf dem Berliner Breitscheidplatz oder die Axt-Attacke nahe Würzburg, wurden von Asylbewerbern begangen. Der Asylantrag des Berliner Täters Anis Amri war bereits rechtskräftig abgelehnt. Auch steckten hinter praktisch allen Fällen eines versuchten Bombenbaus Asylsuchende. 2015 tauchen Syrer erstmals in nennenswerter Zahl in der Ermittler-Statistik auf, mit 18 Terror-Verdachtsfällen. 2016 waren es schon 63.

Diejenigen mit deutschem Pass allerdings sind noch immer die größte Gruppe. 2017 waren es nach Angaben aus Justizkreisen mehr als 300 deutsche Terrorverdächtige. Unter diesen waren zwar auch Doppelstaatler, aber eben keine Asylbewerber. Es handelt sich großteils um Personen, die in Deutschland geboren wurden.

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