Süddeutsche Zeitung

Erlass zum Abschiebestopp:Obama holt illegale Einwanderer "aus dem Schatten"

  • Obama kündigt ein temporäres Bleiberecht für Millionen undokumentierter Einwanderer an.
  • Der US-Präsident betont in seiner Rede: "Dies bedeutet nur, dass wir euch nicht abschieben."
  • Republikaner kritisieren den Erlass heftig und diskutieren über Konsequenzen.

Von Johannes Kuhn, San Francisco

Hunderte warteten vor dem Weißen Haus, Millionen im ganzen Land: "Ich möchte mit euch über Einwanderung sprechen", begann Barack Obama zur besten Sendezeit seine Rede im East Room seines Amtssitzes. Es wurde eine der historischen Ansprachen seiner Ära.

Per Erlass, im Alleingang ohne den Kongress will der US-Präsident eines der drängendsten Probleme des Landes lösen: Die Frage, wie es mit undokumentierten Einwanderern umgeht, die schon seit Jahren in den Vereinigten Staaten leben.

"Wir sind und waren schon immer ein Einwanderungsland", spannte Obama in einer rationalen wie rhetorisch hervorragenden Rede den Bogen von der Gründungszeit zur Gegenwart: Inzwischen sei das Einwanderungssystem jedoch "kaputt". "Es geht darum, wer wir als Land sind, und was wir in den kommenden Generationen sein möchten."

Millionen Menschen leben ohne gültige Papiere in den USA, Schätzungen zufolge können bis zu 4,7 Millionen von ihnen nun damit rechnen, nicht mehr abgeschoben zu werden. Konkret stellt Obama folgende Schritte vor:

  • Eltern von in den USA geborenen oder hier legal lebenden Kindern können ein temporäres Bleiberecht beantragen, selbst wenn sie einst illegal ins Land gekommen sind. Voraussetzung ist, dass sie bereits mehr als fünf Jahre in den USA leben, sich registrieren und einen Kriminalitäts-Check durchführen lassen. "Das ist keine Amnestie", betonte Obama.
  • Die Einwanderungsbehörden sollen undokumentierte Migranten nur noch verfolgen, wenn sie mit Kriminalität oder Terrorismus zu tun haben ("Verbrecher statt Familien"). Damit verändert Obama den Fokus für mögliche Abschiebungen.
  • Hochqualifizierte Einwanderer, Absolventen und Unternehmensgründer sollen schneller und einfacher Visa erhalten. Dieser Wunsch war unter anderem aus der Technologie-Branche gekommen.

"Das bedeutet nicht, dass wir die Staatsbürgerschaft garantieren, das permanente Aufenthaltsrecht geben oder die selben Leistungen, die Staatsbürger erhalten - das kann nur der Kongress tun", betonte Obama an die Betroffenen gewandt. "Wir sagen nur, dass wir euch nicht abschieben." Wer die Kriterien erfülle, könne "aus dem Schatten" hervortreten.

Um sich nicht dem Vorwurf auszusetzen, die amerikanisch-mexikanische Grenze zu vernachlässigen an, kündigte der Präsident weitere Mittel zur Grenzsicherung an. Obama rief zudem den Kongress auf, ein Gesetz zur Einwanderungsreform auf den Weg zu bringen, um die Probleme permanent zu lösen.

Regieren per Erlass - darf Obama das?

Mehr als 13.000 Mal haben Präsidenten in der Geschichte der USA von "Executive Orders" Gebrauch gemacht. Die Erlasse sind die beste Möglichkeit, um am Kongress vorbei politische Fakten zu schaffen.

Seit Juni suchten nun Regierungsjuristen nach Möglichkeiten, weitere Punkte einer Einwanderungsreform de facto durchzusetzen. Kurz vor der Rede veröffentlichte das Justizministerium das Gutachten dazu. Die Erlasse sind letztlich Interpretationen bestehender Gesetze, dürfen aber diese nicht aushebeln oder ersetzen.

Die Republikaner haben allerdings bereits angekündigt, nach der Übernahme der Senatsmehrheit im Januar Obamas Pläne vereiteln zu wollen. "Wenn der Präsident das Volk missachtet und dem Land seinen Willen aufzwingt, wird der Kongress einschreiten", sagte der künftige Mehrheitsführer Mitch McConnell. "So funktioniert Demokratie nicht", erklärte John Boehner, der einflussreiche republikanische Sprecher des Repräsentantenhauses. Verschiedene Abgeordnete schmähten Obama als "Kaiser", der sich über den Willen der Bürger hinwegsetze.

Wie genau die Reaktion aus dem Lager der Konservativen aussehen wird, ist allerdings noch unklar. Die Parteirechte bringt einen erneuen Government Shutdown und sogar ein Amtsenthebungsverfahren ins Gespräch, der moderate Flügel denkt über eine Klage nach. Im Weißen Haus geht man davon aus, dass der Erlass vor Gericht Bestand hätte. An konstruktive Zusammenarbeit zwischen Kongress und Präsident, wie sie nach den Wahlen beschworen wurde, ist aber nicht mehr zu denken.

In Umfragen spricht sich eine Mehrheit der Amerikaner für einen "Weg zur Staatsbürgerschaft" aus, allerdings nur, wenn dieser an Bedingungen geknüpft ist. Einen präsidentiellen Erlass halten in einer aktuellen Umfrage allerdings nur 37 Prozent für angemessen.

"Seien wir ehrlich: Es ist nicht realistisch, Millionen von Menschen aufzuspüren, zu verhaften und sie zu deportieren", erklärte Obama. "Es entspricht auch nicht dem, was wir als Amerikaner sind." Am Freitag wird der US-Präsident in Las Vegas eine weitere Rede zu seinen Plänen halten.

US-Präsidenten und die Einwanderung

Das letzte größere Gesetz zur Einwanderung passierte den Kongress 1986: Es eröffnete drei Millionen Immigranten den Weg zur Aufenthaltsgenehmigung, die vor 1982 ins Land gekommen waren. Danach griffen US-Präsidenten immer wieder mit Erlassen ein.

Ronald Reagan entschied 1987, 200.000 Flüchtlingen aus Nicaragua das ständige Aufenthaltsrecht zu gewähren. George Bush sr. weitete 1990 zunächst eigenmächtig das Aufenthaltsrecht von 1986 auf die Familienangehörigen der Betroffenen aus. Bill Clinton stoppte 1993 die Deportation salvadorianischer Einwanderer, 1998 die haitianischer Flüchtlinge. George W. Bush trieb in seiner zweiten Amtszeit eine Einwanderungsreform voran, die ebenfalls einen Weg zur Staatsbürgerschaft beinhaltete. Sie scheiterte im Kongress. Barack Obama verfügte 2012, dass illegale Immigranten, die als Kinder oder Jugendliche in die USA kamen, nicht mehr abgeschoben werden. Sie erhielten zudem das Recht, sich um einen Arbeitsplatz zu bewerben. Der US-Präsident reagierte damit darauf, dass ein Gesetz gleichen Inhalts im Kongress gescheitert war.

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