Frieden in Eritrea:Am Flughafen wartet das neue Leben

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Frieden in Eritrea: Wiedersehen nach 16 Jahren am Flughafen in Asmara: Der äthiopische Journalist Adisalem Abu umarmt seine Töchter.

Wiedersehen nach 16 Jahren am Flughafen in Asmara: Der äthiopische Journalist Adisalem Abu umarmt seine Töchter.

(Foto: Maheder Haileselassie Tadese/AFP)

In Eritrea weckt die Aussöhnung mit Äthiopien Hoffnung. Viele verzweifeln an einem Staatsdienst, der der Sklaverei nahe kommt. Besuch in einem bislang abgeschotteten Land.

Von Bernd Dörries, Asmara

Wenige Minuten vor Asmara sieht es kurz so aus, als würde dieser historische Flug sein Ziel doch nicht erreichen, nach dem sich viele an Bord seit Jahrzehnten sehnen. Es ist kurz nach Mittag am Mittwoch vergangener Woche, die große Boeing 787 Dreamliner der Ethiopian Airlines nähert sich der Hauptstadt Eritreas, der erste Direktflug seit 20 Jahren. Es sind nur noch Minuten bis zur Landung, man sieht schon Menschen auf den Straßen, aber noch immer stehen Passagiere in den Gängen, trinken Champagner, filmen mit Handys. Auch nicht durch die zunehmend eindringlichen Durchsagen sind sie auf ihre Plätze zu bewegen - eine Landung im Stehen, erst im letzten Moment werden sie von den Stewardessen auf ihre Sitze geschubst, alle lachen.

An Bord sind Menschen, die ihre Kinder, Väter und Mütter seit zwanzig Jahren nicht gesehen haben, deren engste Verwandte zu Feinden wurden, als Äthiopien und Eritrea 1998 in den Krieg gegenander zogen, zu denen es keinen Kontakt mehr geben durfte. Manche hatten nicht mehr geglaubt, ihre Liebsten je wieder zu sehen, es gab bis vor wenigen Wochen keinerlei Grund zu glauben, dass sich daran etwas ändern sollte. "Ich war am Leben, aber doch schon tot", sagt Adisalem Abu. Ein hagerer Mann, der seinen besten Anzug angezogen hat für diesen Tag, mit einem Kugelschreiber in der Tasche des Jackets, so, als gebe es etwas zu notieren. Seit 16 Jahren hat er seine Töchter nicht mehr gesehen, seit 16 Jahren sagt er, "war mein Leben ohne Geschmack, ohne Bedeutung".

Adisalem ist Äthiopier, er hatte eine Eritreerin geheiratet, es war eine von vielen Ehen über die Grenzen hinweg, die auf den Karten existierten aber nicht in allen Köpfen. Als der Krieg ausbrach, war sie nicht mehr erwünscht, durfte nicht arbeiten und ging 2002 ins Nachbarland mit den beiden Töchtern. Die Grenzen schlossen sich. "Ich habe mir oft gewünscht, ich wäre tot", sagt Adisalem im Flugzeug. Am Flughafen wartet das neue Leben, stehen die beiden Töchter und nehmen den Vater in den Arm, es gibt keine Worte, nur Tränen.

Asmara gilt als die schönste Hauptstadt Afrikas

Es ist ein Schauspiel, das sich jeden Tag wiederholt, mit jedem Direktflug ändern sich Schicksale, finden Leben wieder zusammen. Die Menschen drücken sich so fest, als könnten sie selbst nicht glauben, was da passiert. "The State of Eritrea" steht auf den Visa-Formularen am Flughafen von Asmara, wo nun die Neuankömmlinge in der Schlange stehen. "The State of Eritrea" hat im Englischen eine interessante Doppeldeutigkeit, weil es den Staat benennt, aber auch den Zustand des Landes.

Hunderttausende Eritreer haben in den vergangenen Jahren mit den Füßen über den Zustand ihres Landes abgestimmt: aus keinem anderen afrikanischen Land fliehen so viele nach Deutschland. Sie fliehen vor dem Wehrdienst, der ein Leben lang dauern kann und einer Zukunft, die nur aus Warten besteht. Diejenigen, die geblieben sind, wollen nun wissen, ob sich das Bleiben gelohnt hat. "Wie seht ihr uns?", fragt ein Junge auf dem Basketballplatz in einem Hinterhof. Zwei Körbe stehen da und eine kleine Tribüne, auf der eine Handvoll Jugendliche herumhängen und darauf warten, dass das Leben losgeht. "Wie seht ihr uns?" bedeutet letztlich: Wo stehen wir? Gibt es Hoffnung? Viele Jahre galt Eritrea als das "Nordkorea Afrikas", in dem die Zustände derart katastrophal sind, dass Flüchtlinge von dort meist ohne große Prüfung anerkannt wurden. Die Erzählungen über die Zustände kamen meist von denen, die geflüchtet waren und wenig Interesse hatten, das Bild auch nur ein wenig aufzuhellen.

Was man in Asmara nun aber sieht, entspricht nicht dem Nordkorea Afrikas, man ist eher in der Toskana gelandet. Asmara gilt vielen als die schönste Hauptstadt Afrikas, die Italiener waren hier 1882 gelandet und hatten ihre erste Kolonie gegründet, gegen den heftigen Widerstand der Eritreer. Die Italiener sind seit ihrer Niederlage im Zweiten Weltkrieg wieder weg, geblieben sind ihre Gebäude und ein Teil der Lebensart. Die koloniale Attitüde, die Rassentrennung und die Grausamkeiten haben die Eritreer den Italienern nicht vergessen, den Macchiato, die vielen Cafés und die grandiose Architektur haben sie gerne behalten und gepflegt. Es wird flaniert, mit einem Panino in der Hand, es ist so angenehm und gemütlich wie in kaum einer anderen afrikanischen Hauptstadt, es macht nicht den Eindruck, als geschähen hier unangenehme Dinge, außer einem Cappuccino, der zu kalt serviert wurde.

Man trifft in Asmara jeden Tag Menschen, die der Dienst zu Krüppeln gemacht hat

"Das Leben hier ist die Hölle, wir haben keine Hoffnung", sagt der Junge auf dem Basketballplatz, der seinen Namen nicht nennen will. Seit Jahren sieht er seine Freunde wegziehen, seit Jahren überlegt er, ob er mitgehen soll. Er ist 23 Jahre alt, seit mehr als fünf Jahren ist er im "National Service", eine Art Wehr- und Arbeitsdienst, der nach Ansicht von Menschenrechtlern der Versklavung recht nahe kommt - und der Hauptgrund ist, warum Eritreer in Europa so häufig Asyl bekommen.

Nach dem Gesetz darf der Dienst nur achtzehn Monate dauern, das Regime hat ihn aber unbegrenzt verlängert, den Menschen das Recht genommen über ihr eigenes Leben zu bestimmen. "Ich kann mir nichts Eigenes aufbauen, ich muss kommen, wenn man mich ruft", sagt der junge Mann. Wer Glück und gute Beziehungen hat, der sitzt den Dienst in einer gemütlichen Amtsstube eines Ministeriums ab. Wer Pech hat, der muss in die Küstenebene, wo die Sonne töten kann, muss mit Spitzhacke und ohne Wasser Straßen bauen. Man trifft in Asmara jeden Tag Menschen, die der Dienst zu Krüppeln gemacht hat, seit Jahrzehnten in Ketten gelegt vom Staat. Egal, wen man fragt, die Alten in den Gassen oder die Jugendlichen auf dem Basketballplatz, das Ende des National Service ist das Erste, was sich alle wünschen.

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