Erhard Eppler:Die SPD muss Verantwortung tragen im Geist der Partei

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Erhard Eppler, 91, ist das letzte lebende Regierungsmitglied der ersten großen Koalition unter Kanzler Kurt Georg Kiesinger. Er war von 1968 an Entwicklungshilfeminister. Eppler ist Ehrenmitglied der SPD-Grundwertekommission. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Die Sehnsucht in der Partei nach Opposition ist verständlich. Doch ein Nein zur großen Koalition wäre falsch.

Gastbeitrag von Erhard Eppler

Es stimmt nicht, dass die Sozialdemokratie nach jeder großen Koalition von den Wählern bestraft worden wäre. Die Regierung des CDU-Kanzlers Kurt Georg Kiesinger und seines SPD-Außenministers Willy Brandt von 1966 bis 1969, der ich angehörte, führte unmittelbar zur ersten Regierung des SPD-Kanzlers Brandt mit seinem Stellvertreter Walter Scheel, FDP. Die SPD hatte bewiesen, dass sie auch regieren kann. Seither hat es drei sozialdemokratische Kanzler gegeben, die alle drei sich sehen lassen konnten. Dass Sozialdemokraten regieren können, muss inzwischen nicht mehr bewiesen werden. Niemand bestreitet es ernsthaft.

Und trotzdem hat die Leistung ihrer Ministerinnen und Minister in den letzten drei großen Koalitionen nicht verhindern können, dass die Partei, die immerhin zweimal die stärkste war, schließlich weniger als die Hälfte der Wähler anzog, die 1972 Willy Brandt triumphieren ließen. Kein Wunder, dass nach der letzten und schlimmsten Niederlage die Parole: "Jetzt aber Opposition!" großen Anklang fand. Trotzdem war sie voreilig. Denn erst musste bewiesen werden, dass Deutschland auch ohne die SPD regierbar ist. Das ist, Christian Lindner sei Dank, misslungen.

SPD-Spitze ringt um große Koalition
:Ausgerechnet Nahles

Während ihre Partei mit sich ringt, ackert die SPD-Fraktionschefin unbeirrt für eine große Koalition. Hätte man das vor 20 Jahren Gerhard Schröder erzählt, hätte der wahrscheinlich kurz und trocken gelacht.

Von Christoph Hickmann

Dass Jamaika gescheitert ist, muss niemanden überraschen

Eine wirklich große Partei ist eine, die zusammen mit einer kleinen eine Mehrheit hat. Insofern haben wir heute keine wirklich großen Parteien mehr. Und das dürfte auch bei der nächsten Wahl so bleiben. Die beiden kleinen Parteien, die als regierungsfähig gelten, Grüne und FDP, zusammen in eine Regierung zu bringen, mag in Ländern gelingen, im Bund wird es immer schwierig sein. Von ihrer Entstehung, ihrem politischen Stil, ihrer menschlichen Substanz sind sie - lässt man die Linke außen vor - die eindeutigsten politischen Gegner. Dass Jamaika gescheitert ist, muss niemanden überraschen.

Deshalb sind sozialdemokratische Schwüre, man wolle nun unter keinen Umständen regieren, etwas leichtsinnig. Denn eine Partei, die seit 150 Jahren der deutschen Demokratie dient, kann nicht einfach zusehen, wie die Republik ohne eine regierungsfähige Koalition bleibt.

Die Unionsparteien haben bei der letzten Wahl mehr Stimmen verloren als die SPD. Angela Merkel hat am Wahlabend gesagt, was sie für wichtig hielt: Wir sind klar die Stärksten, niemand kann auch nur versuchen, gegen uns zu regieren. Niemand konnte ihr widersprechen, aber sensible Christdemokraten hatten schon gehört oder gelesen, dass es selten nur eine große Partei gibt, sondern meistens zwei, die jeweils auch Wähler anziehen, die eine Herrschaft der jeweils anderen großen Partei verhindern wollen und dafür auch manches in Kauf nehmen, was ihnen an der gewählten Partei nicht gefällt. Kurz: Die Fixierung der CSU auf die nächste Landtagswahl kommt nicht von ungefähr, zumal die bayerische SPD niemanden das Fürchten lehrt. In den nächsten Jahren geht es um die Zukunft beider Volksparteien.

Jetzt sollen also eine verunsicherte Union und eine gedemütigte SPD zu einer großen Koalition zusammenkommen, einfach, weil die Bundesrepublik eine Regierung braucht. Kein Wunder, dass dies nicht wesentlich leichter ist als der Weg nach Jamaika. Am Sonntag soll ein SPD-Parteitag entscheiden, ob die Partei aufgrund eines Papiers von 28 Seiten, das die Ergebnisse der Sondierungen zusammenfasst, in Koalitionsverhandlungen eintritt.

Da sind viele gute Absichten protokolliert, gegen die man nichts einwenden kann. Aber nur die jeweiligen Fachleute beider Seiten können sagen, wie realistisch die Umsetzung der guten Absicht ist. Wenn wir erfahren, dass das Kindergeld in zwei Schritten um 25 Euro erhöht werden soll, nicken wir: Ja, das ist gut so.

Wenn wir lesen: "Strukturelle Ungleichgewichte bei Frauen am Arbeitsmarkt, die zu der Entgeltlücke beitragen, wollen wir gezielt abbauen", so möchten wir gerne wissen, was "strukturelle Ungleichgewichte bei Frauen" sind. Wenn wir lesen: "Wir werden (nicht: sollen!) die Parität bei den Beiträgen zur gesetzlichen Krankenversicherung wiederherstellen", dann ist das ein geradezu revolutionärer Satz: Die Beiträge zur Krankenversicherung sollen künftig wieder in gleichem Maße von Arbeitgebern und Beschäftigten geleistet werden, auch dann, wenn Beitragserhöhungen nötig sind. Wer die Milliardenbeträge kennt, die im Gesundheitswesen rasch fällig werden, ahnt die Bedeutung dieses Satzes. Die Arbeitgeber haben in den vergangenen Jahren durchgesetzt, dass bei Beitragserhöhungen die Arbeitnehmer künftig allein bezahlen sollen - und nun kommen Union und SPD und sagen: Nein, da machen wir nicht mehr mit.

Auf Seite 16 der Vereinbarung ist vorgesehen, dass der Verteidigungshaushalt um zwei Milliarden Euro erhöht wird. Auch das ist sozialdemokratische Handschrift. Wir akzeptieren nicht, was die Trump-Regierung von uns fordert: zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für die Bundeswehr. Hatte nicht Frau von der Leyen dem zugestimmt? Die zwei Milliarden Euro werden bestenfalls dazu dienen, die defekten Waffen durch bessere zu ersetzen. Das Wettrüsten in Europa findet nicht statt. Allein dieser Beschluss führt mich dazu, diesen 28 Seiten zuzustimmen.

Wir haben eine Chance, den Abwärtstrend zu stoppen

Nun kommt in Bonn ein Parteitag zusammen, der entscheiden soll, ob aufgrund des 28-Seiten-Papiers eine neue (mehr oder minder) große Koalition möglich ist. Wenn ich, immerhin seit 62 Jahren Mitglied der Partei, gefragt werde, ist die Antwort: Ich bin für das Ja. Ich übersehe einigermaßen, was das Ja bringen wird, nicht, wohin das Nein führt. Neuwahlen in den nächsten Monaten würden uns ankämpfen lassen gegen das Argument: Wozu wollt ihr unsere Stimme?

Wenn wir bereit sind, das zu tun, wofür wir bekannt sind: dass wir Verantwortung übernehmen, auch wenn es uns nicht nützen muss, haben wir eine Chance, den Abwärtstrend zu stoppen.

Im nächsten Wahlkampf müssen wir uns zu unserer Arbeit bekennen. Warum haben wir nach keiner großen Koalition Plakate geklebt mit den Bildern von einem halben Dutzend Bundesministerinnen und -ministern, die gute Arbeit geleistet haben? Am Wahltag des 24. September 2017 stand ja nicht mehr die große Koalition im Blickpunkt der Wähler, sondern die Frage, ob Martin Schulz wirklich der Wundermann sei, der er gar nicht sein wollte.

Wenn die Union noch etwas tun wollte, um rasch zu einer soliden Regierung zu kommen, könnte sie ja uns Sozialdemokraten sagen: Natürlich können wir nicht den ganzen Sondierungsprozess wiederholen. Aber wenn ihr noch drei Wünsche habt, von denen wir mindestens einen erfüllen müssen - dann wollen wir gern darüber reden.

© SZ vom 18.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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