Ergebnisse:Im Reich der Ungewissheit

Weder Rot-Rot-Grün noch ein Bündnis aus Christdemokraten, SPD, Grünen und FDP dürften eine Regierungsmehrheit zustande bringen. CDU-Kandidat Mike Mohring ist der große Verlierer, aber auch die Linke steht vor großen Schwierigkeiten.

Von Ulrike Nimz

MDR LIVESENDUNG - THÜRINGEN DUELL 14/10/2019 - Erfurt: Der Fraktionsvorsitzende der Thüringer CDU Mike Mohring (CDU) im

Neulich, vor einer Wahlsendung des MDR: CDU-Herausforderer Mike Mohring (links) und Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke).

(Foto: Jacob Schröter/imago)

Ich gebe zu, dass ich meine eigene Rede nicht mehr hören kann." Dieser Satz stammt von Bodo Ramelow; er hat ihn beim Wahlkampfabschluss der Linkspartei in Erfurt gesagt. Wie immer auf solchen Veranstaltungen herrschte eine Mischung aus Angespanntheit und Erleichterung. Weil jetzt erst mal Schluss ist mit Flyerverteilen, mit öffentlichkeitswirksamen Wanderungen und Bier zu allen Tageszeiten. Aber wohl auch Schluss mit politischen Gewissheiten. Er werbe nicht für seine Partei, sondern für Rot-Rot-Grün, hatte Ministerpräsident Ramelow während des Wahlkampfes immer wieder betont. Doch dieses Modell wird wohl keine Zukunft haben, trotz des starken Ergebnisses der Linken, die erstmals überhaupt in einem Bundesland stärkste Kraft wird.

Ramelow wird also viel reden müssen in den nächsten Tagen und Wochen. Denn eine Mehrheitsfindung dürfte im Freistaat schwierig bis unmöglich werden. Die bisherigen Koalitionspartner SPD und Grüne bleiben weit unter ihren Erwartungen. Die AfD um Björn Höcke ist stark, jedoch nicht so stark wie zuletzt in Sachsen.

Der große Verlierer dieser Wahl dürfte nun Mike Mohring heißen, CDU-Chef und Spitzenkandidat seiner Partei. Mohring gab sich im Wahlkampf als Mann der Mitte. Er nannte Björn Höcke einen "Nazi" und griff Bodo Ramelow an, weil dieser sich angeblich nicht k "Es geht bei dieser Wahl nicht um Berlar genug von der DDR als Unrechtsstaat distanzierte.

Genützt hat es ihm offenbar nichts. lin, es geht um Thüringen", hatte Mohring gesagt, als er in der "Kloßwelt Heichelheim" vor etwa 500 Anwesenden die letzten 70 Minuten seines Wahlkampfs einläutete. Er hatte damit recht und unrecht zugleich: Denn obwohl es im Thüringer Wahlkampf zuvorderst um den Borkenkäfer, Unterrichtsausfall und den Busfahrplan auf den Dörfern ging - der Ausgang dieser Wahl hat bundesweite Strahlkraft. Es geht auch um die Folgen für die große Koalition in Berlin (siehe Text unten). Aber diese Wahl war auch ein Gradmesser für die politische Kultur im Land. 268 politische Straftaten im Wahlkampf zählte das Landeskriminalamt im Vorfeld der Wahl. Es war Mohring, der vor einer Woche eine Morddrohung öffentlich machte: Darin fordern Unbekannte ihn auf, seinen Wahlkampf aufzugeben, andernfalls werde er zum Zielobjekt. "Wir werden sie versuchen auf der nächsten öffentlichen Veranstaltung, niederzustechen", heißt es in dem Schreiben. Es ist voller Rechtschreibfehler, unterzeichnet ist mit "Sieg Heil und Heil Hitler".

Auch andere Spitzenkandidaten sprachen über ihre Wahlkampferfahrungen. Dirk Adams, Spitzenkandidat der Grünen, erhielt eine Hetz-Mail, Absender war eine "Cyber-Reichswehr". An die Haustür des FDP-Spitzenkandidaten Thomas Kemmerich sprühten Unbekannte den Satz: "Wer die AfD unterstützt, der ist unser Feind!" Autoscheiben von AfD-Politikern wurden eingeschlagen, ein Wahlkampf-Lastwagen brannte aus. In Pößneck wurde vor einem Auftritt Ramelows die Wohnung eines 41-jährigen Neonazis durchsucht. Die Beamten fanden illegale Schusswaffen.

Dieses Thüringen ist eben nicht nur Bratwurst und Klöße, Goethe und Rennsteig. Das kleine Land in der Mitte Deutschlands hat ein Wutbürgerproblem. Das belegt der "Thüringen-Monitor", eine jährliche Befragung zu politischen Einstellungen im Auftrag der Staatskanzlei. Nur 16 Prozent sind "sehr zufrieden" oder "ziemlich zufrieden" mit der Demokratie.

Die gesellschaftliche Spaltung findet auch in der Tatsache Ausdruck, dass in Thüringen Linke und AfD so stark sind, dass die Bildung einer Koalition jenseits der Ränder nicht mehr möglich ist. Anders als in Sachsen und Brandenburg, wo inzwischen geräuschlos Kenia-Bündnisse geschmiedet werden und kein Dissens nach draußen dringt, dafür knappe Statements von "gegenseitigem Respekt." Die drei Wahlen in den ostdeutschen Bundesländern haben gezeigt: Ist ein Erfolg der AfD zu erwarten, hilft das vor allem dem amtierenden Ministerpräsidenten. In Sachsen wurde die gebeutelte CDU nicht nur wegen des beispiellosen Wiedergutmachungswahlkampfes ihres Chefs Michael Kretschmer stärkste Kraft, sondern auch, weil viele Menschen, die sonst grün, SPD oder gar die Linke wählen, ihre Stimme den Christdemokraten liehen. Auf dass ihr Kreuz einem höheren Zweck diene: einen Sieg der AfD zu verhindern.

In Thüringen gibt es keine feste Frist für die Regierungsbildung

Leidtragende solcher Zweikampf-Szenarien sind die Parteien dazwischen. Mike Mohring, der im Wahlkampf immer wieder seinen Entschluss bekräftigt hatte, notfalls ein Viererbündnis mit SPD, Grünen und FDP zu schmieden, um Ministerpräsident zu werden, sieht sich mit dem Fakt konfrontiert, dass seine Christdemokraten in Thüringen Teil einer schwindenden Mitte sind.

Neben dem nötigen Anstand fehlte noch etwas anderes in diesem Thüringer Wahlkampf: die Wechselstimmung. Ramelow ist der beliebteste Politiker des Landes. Durch seinen Pragmatismus hat er das Image der Partei nachhaltig verändert, aus einer Protestpartei eine Alltagspartei geformt. Doch die rot-rot-grüne Mehrheit in Thüringen war schon immer instabil, sie hing über weite Strecken an nur einer Stimme. Im April 2016 war der AfD-Abgeordnete Oskar Helmerich nach Streit mit Parteichef Björn Höcke zu den Sozialdemokraten übergelaufen, ein Jahr später aber wechselte die SPD-Abgeordnete Marion Rosin ins Lager der Christdemokraten. Es waren die Momente, in denen das Thüringer Regierungsmodell bundesweit Aufmerksamkeit erregte; ansonsten blieb es vergleichsweise ruhig, wenn man bedenkt, dass kurz vor Ramelows Wahl zum Ministerpräsidenten besorgte Menschen mit Kerzen auf den Erfurter Domstufen standen, um vor der kommunistischen Machtergreifung zu warnen.

Denkbar wäre nun eine Minderheitsregierung, wobei Mohrings CDU eine Tolerierung der Linken ablehnt. Genauso freilich wie den Sündenfall, eine Koalition aus CDU und Linken. Das Thema Minderheitsregierung hatte schon vor der Wahl Streit ausgelöst. Auch weil Ramelow in einem Interview erklärt hatte, sich in diesem Fall keiner Abstimmung im Parlament stellen zu müssen und einfach im Amt zu bleiben. Anders als in Sachsen und Brandenburg gibt es in Thüringen keine Frist für eine Regierungsbildung. In der Verfassung des Freistaats steht die Formulierung: "Der Ministerpräsident und auf sein Ersuchen die Minister sind verpflichtet, die Geschäfte bis zum Amtsantritt ihrer Nachfolger fortzuführen."

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