Süddeutsche Zeitung

Ergebnisse des Zensus 2011:Einwanderungsrepublik Deutschland

Es gibt zwar weniger Deutsche als gedacht, doch dafür ist jeder von ihnen um einige hundert Euro reicher. Das eindrucksvollste Resultat des Zensus ist jedoch dieses: Neben den sechs Millionen hier lebenden Ausländern haben auch neun Millionen deutsche Staatsbürger einen Migrationshintergrund. Der Zensus belegt die Bedeutung der Einwanderer für die Bundesrepublik. Ohne Migranten hat Deutschland keine Zukunft.

Ein Kommentar von Jan Bielicki

Am Ende des Jahres 2011 fehlten in Deutschland genau 5543 Menschen. Sie fehlten wirklich: Jeder einzelne hatte Gesicht, Name und zumeist verzweifelte Angehörige, alle waren sie als abgängig in der Vermisstendatei des Bundeskriminalamts verzeichnet. Gemessen an diesen echten Schicksalen erscheint es eher unwichtig, dass den amtlichen Statistikern 1,5 Millionen Menschen abgingen, als sie jetzt die Daten aus dem Zensus 2011, ihrer seit Jahrzehnten umfangreichsten Erhebung, zusammenrechneten. Denn diese Hunderttausende sind erst mal tatsächlich nur Zahlen - jedoch höchst interessante.

80,2 Millionen Menschen lebten also laut Zensus an dessen Stichtag, dem 9. Mai 2011, in Deutschland, nicht 81,7 Millionen, wie bisher aus den Daten der Meldeämter errechnet wurde. Das spricht zunächst für die Arbeit der Behörden. Denn die Abweichung ist durchaus gering, wenn man bedenkt, dass das Volk im Westen zuletzt fast ein Vierteljahrhundert zuvor gezählt wurde. Die Mauer stand noch, und im Osten lag die letzte Zählung gar drei Jahrzehnte zurück.

Seither gab es neben dem Zyklus von Geburt und Tod die Vereinigung der zwei deutschen Staaten, dazu Zuwanderung und Abwanderung in großem Stil - und dabei hat bestimmt nicht jeder immer korrekt seine Meldeformulare ausgefüllt. Aber lange hat sich die Politik gescheut, ihren in punkto Volkszählung einst ziemlich renitenten und auskunftsunwilligen Bürgern eine Befragung zuzumuten. Der Zensus 2011 war denn ja auch nicht Zählung aller Einwohner, sondern Kombination aus Datenabgleich und Großstichprobe.

Deutsche sind reicher als angenommen

Was zeigen die Zahlen? Zum Beispiel, dass die Deutschen reicher sind als bisher errechnet, um etwa 600 Euro jährlich pro Kopf, wenn man das Bruttosozialprodukt 2011 zugrunde legt. Die Daten werden auch Folgen haben, wenn es um die Verteilung von Steuereinnahmen und staatlichen Zuschüssen geht. In Berlin und Hamburg leben deutlich weniger Menschen als bisher angenommen, daher wird den Städten künftig weniger Geld zustehen.

Vor allem aber belegt der Zensus eindrucksvoll die Bedeutung der Migranten für das Einwanderungsland Deutschland. Es gab zwar nach seinen Zahlen im Land 1,1 Millionen Ausländer weniger als bisher geschätzt. Doch einen Migrationshintergrund haben neben den gut sechs Millionen hier lebenden Ausländern auch etwa neun Millionen deutsche Staatsbürger.

Fast jeder fünfte Einwohner gehört also zu dieser Gruppe, in Städten wie Offenbach, Pforzheim oder Heilbronn ist es jeder zweite. Mehr als drei Viertel von ihnen leben länger als zehn Jahre hier, die Hälfte von ihnen ist hier schon länger als zwanzig Jahre zu Hause.

Sie, die Einwanderer und ihre Nachkommen, gehören also längst zu Deutschland, und wie sehr das Land sie braucht, zeigt ein Blick auf die Altersstatistik: Fast jeder vierte Einwohner ohne, aber nur knapp jeder zehnte mit Migrationshintergrund ist bereits im Rentenalter. Umgekehrt stammt mehr als jedes vierte Kind von Einwanderern ab. Ohne die Migranten hat Deutschland keine Zukunft.

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SZ vom 01.06.2013/soli
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