Süddeutsche Zeitung

Ergebnisse der Volkszählung:Die Vermessung der Bundesrepublik

Wo leben die Menschen in Deutschland? Und wie? Der Staat wollte es genau wissen und hat erstmals seit 1987 eine Volkszählung durchgeführt. Heute wurden die Ergebnisse veröffentlicht. Sie haben gravierenden Einfluss auf viele Bereiche des Lebens. Antworten auf die wichtigsten Fragen zum Zensus.

Von Sebastian Gierke und Oliver Klasen

Wie viele Einwohner hat Deutschland tatsächlich? Wie alt sind sie, wie ist ihr Familienstand? Gehören sie einer Religionsgemeinschaft an? Welche Ausbildung haben sie und wie wohnen sie? Es war in den vergangenen Jahren schwer, diese Fragen umfassend und vor allem korrekt zu beantworten. Es gab schlicht keine aktuellen Daten. Die letzte Volkszählung liegt mehr als 25 Jahre zurück. Heute wurden die Ergebnisse des neuen Zensus vorgestellt. Stichtag war der 9. Mai 2011. Das wichtigste Ergebnis: Deutschland hat 80,2 Millionen Einwohner. Bislang waren die Statistiker von einer Einwohnerzahl von 81,8 Millionen ausgegangen.

Diese Zahlen werden greifbare Auswirkungen auf das Leben in Deutschland haben: "Es geht da um ganz konkrete Fragen", erklärt Dr. Michael Bubik, fachlicher Leiter des Zensusprojekts in Baden-Württemberg. "Wo brauche ich eine Kita? Wo brauche ich eine Veränderung in der Schulstruktur? Wo brauche ich Einrichtungen für ältere Personen, welches Gebäude und Wohnungsangebot gibt es in meiner Gemeinde?" Hier finden Sie die Antworten auf die wichtigsten Fragen zum Zensus 2011.

Was ist ein Zensus?

Zensus ist das lateinische Wort für Volkszählung. Allerdings geht es nicht nur darum, genau zu erfahren, wie viele Menschen in der Bundesrepublik, in einem Landkreis oder in einer bestimmten Gemeinde leben. Sondern auch, weitere statistische Daten zu erfassen.

Welche Daten wurden erhoben?

Das wichtigste Ergebnis des Zensus 2011: die Einwohnerzahlen. Deutschland hat weniger als bislang angenommen. Aktuell leben rund 80,2 Millionen Menschen in der Bundesrepublik. Bislang waren die Statistiker von einer Einwohnerzahl von 81,8 Millionen ausgegangen. Einige Kommunen befürchten, dass ihr Ergebnis um bis zu zehn Prozent unter der bisher angenommenen Einwohnerzahl liegt - mit gravierenden Folgen. Sie könnten bis zu zehn Prozent weniger Mittel vom Land erhalten. Neben den Einwohnerzahlen beinhalten die Ergebnisse des Zensus auch Daten zu folgenden Kategorien:

  • Demografie (Alter, Familienstand, Geschlecht, Staatsangehörigkeit)
  • Religion
  • Migration
  • Beruf
  • Schul- und Berufsbildung
  • Wohnsituation

Weitere Ergebnisse sollen Anfang 2014 folgen.

Warum wurde der Zensus erhoben?

"Die letzte Volkszählung war schon 1987 und bei einem Register ist es ähnlich wie in einem Warenlager: Hin und wieder muss man eine Inventur machen. Das ist die Voraussetzung, dass wir wirklich korrekte Einwohnerzahlen bekommen." So erklärt Michael Bubik die Notwendigkeit der jetzigen Volkszählung.

Die neuen Zahlen seien außerdem eine wichtige Bezugsgröße für viele verschiedene Regelungen. "Das fängt beim kommunalen Finanzausgleich sowie dem Länderfinanzausgleich an, geht weiter über Förderprogramme der EU, die Zahl der Bundesratssitze, selbst die Bürgermeisterbesoldung ist davon betroffen", erklärt Bubik. In den vergangenen Jahren kam es beispielsweise in einigen Bereichen des öffentlichen Lebens in Deutschland zu Problemen, weil mit falschen Zahlen gerechnet wurde. So waren in einigen Bundesländern plötzlich zu wenige Lehrer vorhanden, weil die Statistiker mit einer zu geringen Schülerzahl gerechnet hatten.

Warum gab es dieses Mal kaum Diskussion oder Protest beim Zensus?

2011 ging der Zensus fast geräuschlos vonstatten. So richtig interessiert hat die Volkszählung kaum jemanden. 1987 sah das noch ganz anders aus. Es gab gewaltige Proteste. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung lehnte die Befragung zeitweise ab, "VoBo-Inis" (Volkszählungsboykott-Initiativen) wurden gegründet, in denen sich Tausende organisierten. "Nur Schafe lassen sich zählen", war einer ihrer Slogans. Die Bundesregierung reagierte mit einer großangelegten Werbekampagne. Öffentliche Boykott-Aufrufe wurden von der Staatsgewalt als Straftat bewertet. Die Polizei führte sogar Razzien durch. Nichts dergleichen passierte 2011.

Michael Bubik erklärt das damit, dass sich die Einstellung der Bürger seit damals verändert habe. "Heute sind viele wesentlich liberaler, was den Umgang mit ihren Daten angeht. Wir als Statistiker wollen gar nicht bewerten, ob das gut oder schlecht ist. Wir stellen es nur fest. Und wir vermuten, dass das daran liegt, dass die Bürger geübt im Umgang mit dem Internet sind und zum Beispiel bei Online-Bezahlsystemen ihre Daten angeben." Außerdem habe man beim Zensus alles unternommen, um dem Datenschutz gerecht zu werden, versichert Bubik.

Der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar kritisierte die Volkszählung bereits 2011. Kurz vor Veröffentlichung der Ergebnisses hat er seine Kritik erneuert. Zwar sei er nicht generell gegen eine Volkszählung, erklärt Schaar. Er kritisiere aber, wie in sensiblen Bereichen, wie etwa in Landeskrankenhäusern und Gefängnissen, gezählt worden sei: "Hier hätte ich mir gewünscht, dass man, wie in den 80er Jahren, nur anonym diese Daten erhebt." Auch, dass persönliche Daten bis zu vier Jahre nach ihrer Erhebung gespeichert werden, stellt für Schaar ein Problem dar. Das sei nicht nachvollziehbar angesichts der technischen Möglichkeiten, binnen Minuten und Stunden zu bestimmten Ergebnissen zu kommen. "Da ist sicherlich noch Verbesserungsbedarf", sagte Schaar.

Welche rechtlichen Grundlagen für den Zensus sind vorhanden?

Die EU-Staaten haben sich darauf geeinigt, dass es künftig in sämtlichen Ländern alle zehn Jahre einen Zensus geben soll. Eine entsprechende Verordnung hat die Kommission in Brüssel im Jahre 2008 erlassen. Die Details für den deutschen Zensus wurden im Zensusgesetz 2011 festgesetzt, außerdem haben die Länder entsprechende Durchführungsbestimmungen beschlossen. So wurde zum Beispiel festgelegt, dass das Statistische Bundesamt und die Landesämter für Statistik gemeinsam zuständig sind für den Zensus. Außerdem wurde der 9. Mai 2011 als Stichtag festgelegt, auf den sich die Ergebnisse beziehen. Ein Überblick über alle relevanten Gesetzestexte findet sich hier.

Nach welcher Methode sind die Statistiker vorgegangen?

Grundsätzlich gibt es zwei Möglichkeiten, um Daten für einen Zensus zu gewinnen: entweder sämtliche Bürger zu befragen, also eine Vollerhebung vorzunehmen. So war es zum Beispiel bei der Volkszählung 1987. Oder aber die Statistiker greifen auf vorhandene Verwaltungsregister zurück, nach dieser Methode wurde jetzt beim Zensus 2011 gearbeitet.

Um die Ergebnisse abzusichern und um zusätzlich Angaben zu gewinnen, für die es keine Register gibt, wurden außerdem zehn Prozent aller Personen über Haushaltsbefragungen erfasst. Welche Bürger Auskunft geben mussten - die Teilnahme war Pflicht -, wurde mit einem mathematischen Zufallsverfahren ermittelt.

Um zu vermeiden, dass die Befragten vielleicht aus Unwissenheit falsche Angaben machen, haben die Statistikämter einiges unternommen: "Wir haben zum Beispiel Erklärungen zum Fragebogen mitgeliefert, in denen man sich bei Unklarheiten informieren konnte. Außerdem haben wir eine Hotline eingerichtet, über die die Bürger Fragen stellen konnten. Sie wurde sehr häufig kontaktiert. Und wir haben natürlich auch Plausibilitätsprüfungen gemacht. Einen fünfjährigen Jungen, der verwitwet ist, den kann es zum Beispiel nicht geben", so Bubik.

Wo können Sie sich infomieren?

Seit diesem Freitag ist auf www.zensus2011.de der Zugriff auf die Zensusdatenbank freigeschaltet. Dort kann sich jeder Bürger anhand verschiedener Menüs die Auswertung individuell zusammenstellen, je nach Interesse. Der Abruf der Daten ist kostenfrei.

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