Rechtsextremismus in Erfurt:"Der Überfall hat mich auch emotional berührt"

Plattenbauten in Erfurt

Plattenbauten im Erfurter Ortsteil Herrenberg

(Foto: Martin Schutt/dpa)

In Erfurt werden drei Männer aus Guinea angegriffen und teils schwer verletzt. Es ist der zweite mutmaßlich rassistische Überfall in Thüringens Landeshauptstadt binnen Wochen. Innenminister Georg Maier (SPD) über offenen Rechtsextremismus im öffentlichen Raum und seinen Wutausbruch auf Twitter.

Interview von Ulrike Nimz

SZ: Herr Maier, die Erfurter Staatsanwaltschaft hat sich entschlossen, die Tatverdächtigen im Fall des Angriffs am Herrenberg mangels Haftgründen vorerst freizulassen. Sie haben die Entscheidung auf Twitter eine "Katastrophe für die Opfer und die Menschen am Herrenberg" genannt. Die Staatsanwaltschaft attestierte Ihnen umgehend Unkenntnis der Rechtslage. Steht es einem Innenminister zu, die Justiz zu kritisieren?

Georg Maier: Nein. Aus diesem Grund habe ich versucht, eine Formulierung zu wählen, die die Unabhängigkeit der Justiz nicht infrage stellt. Aber der Überfall hat mich nicht nur in meiner Funktion, sondern auch emotional berührt.

Inwiefern?

Ich selbst war vor einigen Wochen, noch vor dem Übergriff, im Stadtteilzentrum am Herrenberg. Dort gibt es sehr engagierte Menschen, die versuchen, gegen die rechtsextremen Strukturen anzukämpfen. Sie haben mir sehr eindrücklich klargemacht, was es heißt, im Alltag ständig direkter und indirekter Bedrohung durch Neonazis ausgesetzt zu sein. Das äußert sich beispielsweise darin, dass sich die Neonazis bewusst auffällig in Gruppen in der Nähe des Stadtteilzentrums aufhalten, um einzuschüchtern.

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Thüringens Innenminister Georg Maier (SPD)

(Foto: dpa)

Ein weiteres Beispiel: In der Corona-Zeit haben Anwohner Steine bunt bemalt und auf dem Fußweg gelegt, vor Kitas und auf öffentlichen Plätzen. Wiederholt sind diese mutwillig entfernt und durch Steine mit rechtsradikaler Symbolik ersetzt worden. Das mag jetzt vergleichsweise subtil erscheinen, aber ich weiß, dass die Angst am Herrenberg durch den Angriff noch größer geworden ist.

Es ist der zweite mutmaßlich rechtsextreme Übergriff in Erfurt innerhalb weniger Wochen. Im Juli war eine Gruppe Jugendlicher angegriffen worden - direkt vor der Staatskanzlei. Hat Thüringens Landeshauptstadt ein Neonazi-Problem?

So pauschal kann man das nicht sagen. Es ist durchaus denkbar, dass dies eine Gegenreaktionen des zunehmenden Ermittlungsdrucks im rechtsextremen Milieu ist. Ich meine damit zum Beispiel das Vorgehen gegen die rechtsextreme Fußballfangruppe "Jungsturm". Der Erfurter Herrenberg ist seit den 90er-Jahren ein Schwerpunkt der Neonazi-Szene.

Die rechtsextreme Kleinstpartei "Der Dritte Weg" ist dort sehr umtriebig. Wir kennen deren Protagonisten und ihre Aktivitäten, etwa den Versuch, eine Kampfsportschule zu etablieren und junge Leute zu rekrutieren. Mein Tweet war auch ein Zeichen an die Anwohner, dass wir im Blick haben, was in ihrem Viertel passiert, dass sie meine Unterstützung haben.

Als Landesinnenminister können Sie mehr machen als Mut.

In Thüringen arbeiten wir schon länger eng mit örtlichen Bürgerbündnissen zusammen, beispielsweise wenn es darum geht, internationale Rechtsrock-Festivals wie in Themar zu verhindern. Wir haben mit dieser Strategie in der Vergangenheit Erfolge erzielt. Für die Szene ist es ungemütlicher geworden.

Trotzdem kann ich bei Ortsbesuchen nicht immer sofort Versprechen machen, oft geht es erst mal darum zu sagen: Wir sehen euch. Wir hören euch. Mit staatlichen Mitteln allein, also Polizei und Verfassungsschutz, kann man ein gesellschaftliches Problem wie den Rechtsextremismus nicht beseitigen. Wir müssen die Demokratinnen und Demokraten stärken.

Reicht das? Das Internationale Auschwitz Komitee sieht in dem Fall den Generalbundesanwalt am Zug und fordert ebenso wie die Thüringer Linken-Politikerin Katharina König-Preuss ein Verbot des "Dritten Weges".

Verbote sind eine Möglichkeit, gegen Rechtsextremismus vorzugehen. So etwas darf aber kein Schnellschuss sein; das hat das NPD-Verbotsverfahren gezeigt. Bevor der Bundesinnenminister tätig wird und ein Parteiverbot ausspricht oder wir auf Landesebene gegen rechtsextreme Vereine wie "Neue Stärke Erfurt" am Herrenberg vorgehen, benötigen wir ausreichend belastbare Informationen, und das ist nicht von jetzt auf gleich zu gewährleisten.

Für ein solches Vorhaben brauche ich im Übrigen auch den Verfassungsschutz, den Die Linke am liebsten gleich mitauflösen würde. Wir sind uns, was die Zielsetzung angeht, so einig, wie wir bei der Umsetzung uneins sind.

Wie geht es jetzt weiter am Herrenberg?

Eine gute Nachricht ist, dass die Neonazis ihre Immobilie, vor der es auch zum Überfall kam, nach einem Rechtsstreit mit dem Vermieter räumen müssen. Natürlich sind sie dann immer noch da. Wir müssen wachsam bleiben.

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