Erfurt (dpa/th) - Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) hat für einen regelmäßigen Perspektivwechsel in der Europäischen Union geworben. „Der Umgang, den wir in Europa miteinander pflegen, das will ich kritisch anmerken, ist mir manchmal zu westlastig“, sagte Ramelow am Donnerstag beim Jahrestreffen der 48 deutschen Europe Direct Informationszentren in Erfurt. Es gebe die gleichen Brüche, die zwischen Ost- und Westdeutschland vorhanden seien, auch zwischen „dem alten Westeuropa und dem neuen Gesamteuropa“. „Wir brauchen an manchen Stellen einen Perspektivwechsel“, sagte Ramelow.
Als Beispiel nannte der Linke-Politiker die Auseinandersetzung Europas mit den Visegrad-Staaten. Es gebe in Europa ein schnelles Aburteilen der Visegradstaaten und man sei teils nicht bereit überhaupt darüber nachzudenken, was diese sagten. „Das ist ein Problem“, sagte Ramelow. Dies könne dazu führen, dass es zu einem „Abkoppeln“ kommt. Zu den Visegrad-Staaten gehören Polen, Tschechien, die Slowakai und Ungarn.
„Ich finde, wir müssen uns die Mühe machen, Europa als Ganzes zu denken“, sagte Ramelow. Man müsse auch mal aus osteuropäischer Sicht auf Europa schauen.
Der Vertreter der Europäischen Kommission in Deutschland, Jörg Wojahn, warnte jedoch davor, Unterschiede zu konstruieren. „Aber wir dürfen uns natürlich auch nicht künstlich auseinanderdividieren lassen“, sagte er. Etwa beim Thema Rechtsstaatlichkeit gebe es keine Ost-West-Frage. Wojahn wies darauf hin, dass es mit den noch weiter östlich liegenden baltischen Staaten keinerlei Probleme bei dem Thema gebe. Auch Ramelow räumte ein, dass es bei der Frage nach der Rechtsstaatlichkeit keine Unterschiede geben dürfe.
Der Thüringer Regierungschef sprach sich in dem Gespräch für eine „europäische Verteidigungsperspektive“ aus. „Ich bin für eine Nato-Überwindung, im Sinne einer Bündnisstärkung auf europäischer Ebene“, sagte Ramelow. Seiner Meinung nach brauche es aber eine „Land-Verteidigungsarmee“. Der Einsatz von Polizei und Militär dürfe „nur dem Ziel verpflichtet sein, unsere Länder zu verteidigen“.
Er wies darauf hin, dass mit der Türkei der zweitgrößte Truppensteller der Nato in Syrien und im Irak aktiv sei. „Und ich würde gern die Alarmfrage stellen: Was ist eigentlich, wenn diese Nato-Bündnispartner-Truppen angegriffen werden? Führt das zu einem Nato-Einsatz? (...) Darauf habe ich keinen Bock“, sagte Ramelow. Er wolle nicht vom türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan in einen Krieg geführt werden.
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