Unwetter-Katastrophe in NRW:Wo das Wasser erbarmungslos gierig ist

Bundespräsident im Katastrophengebiet: Steinmeier dankt den Einsatzkräften. Dass auch Ministerpräsident Laschet die Feuerwache in Erftstadt besucht, freut nicht alle.

Von Jana Stegemann, Erftstadt

Armin Laschets Pressesprecherin hat eine Bitte an die Kamerateams und Reporterinnen vor der Feuerwache Erftstadt. Sie zeigt auf den Rettungswagen, der wenige Meter hinter dem Absperrband steht: "Wenn der RTW los muss, müssen alle Mikrofone schnell weg." In der Luft kreisen Helikopter, Feuerwehrautos und Krankenwagen rasen mit Blaulicht und Sirenen die Straßen entlang. Zwei Kilometer entfernt liegt Blessem.

Oder das, was nach Starkregen und gewaltigen Erdrutschen noch davon übrig ist: ein Trümmerfeld mit riesigen Kratern. Am Donnerstag unterspülten noch nie dagewesene Wassermassen den Stadtteil, rissen Autos, ganze Häuser und eine halbe Burg weg. Die Lage dort ist am Samstagmittag noch dramatisch. Menschen werden vermisst, die gewaltige Abbruchkante droht weitere Teile der Ortschaft zu verschlucken. Das Wasser ist erbarmungslos gierig. Sechs Hubschrauber sind im Einsatz, Rettungskräfte fuhren zeitweise mit 35 Booten zwischen den Häusern entlang.

Frank-Walter Steinmeier tritt vor der Erftstädter Feuerwache vor die Kameras. Der Bundespräsident dankt den Rettungs- und Einsatzkräften, die "bis zur Erschöpfung und jenseits davon gearbeitet haben". Wer in ihre Gesichter schaue, der könne erahnen, "welches Leid die Menschen hier in dieser Region ertragen". In Nordrhein-Westfalen sind mehr als 22 000 Kräfte von Feuerwehren und anderen Hilfsorganisationen beteiligt, darunter sehr, sehr viele Ehrenamtliche.

Vielen hätten nichts mehr - außer Hoffnung: "Die dürfen wir nicht enttäuschen"

Steinmeier ist sichtlich bewegt. Viele Menschen hätten alles verloren, was sie sich ein Leben lang aufgebaut haben. "Den größten Verlust", sagt er jetzt, hätten aber die zu tragen, die Familienangehörige, Freunde, Bekannte verloren haben. "Ihr Schicksal zerreißt uns das Herz." Vielen Menschen in den Hochwassergebieten sei nichts geblieben außer Hoffnung. "Diese Hoffnung dürfen wir nicht enttäuschen", sagt Steinmeier und verweist auf Spendenkonten.

Gemeinsam mit NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) reiste der Bundespräsident in den vom Hochwasser besonders schlimm getroffenen Rhein-Erft-Kreis etwa 40 Kilometer südlich von Köln. Die beiden Politiker hatten im Katastrophengebiet mit Rettungskräften gesprochen, sich vom Krisenstab informieren lassen. "Die Unterstützungsbereitschaft, sie muss anhalten, im Großen wie im Kleinen", sagt Steinmeier, "die Menschen hier vertrauen darauf, dass die Solidarität, die signalisiert wird, auch weiterhin besteht."

Einige Meter hinter dem Bundespräsidenten wartet Laschet in der Feuerwehrgerätehalle auf seinen Auftritt. An einer Stelle von Steinmeiers Statement ist Laschet in der Gruppe hinten im Gespräch und lacht kurz auf. Dafür werden ihn viele später scharf kritisieren.

Als der Ministerpräsident selbst in die Kameras spricht, brüllt zweimal ein Mann hinter einer Polizeiabsperrung "Katastrophen-Laschet". Der CDU-Chef spricht unbeirrt weiter.

Das Hochwasser sei eine "Jahrhundertkatastrophe", sagt Laschet. Es sei eine "nationale Aufgabe", der betroffenen Region zu helfen. Der Unionskanzlerkandidat verspricht eine Direkthilfe für die betroffenen Menschen, viele sind nicht oder nur unzureichend gegen Hochwasserschäden versichert: "Es wird sehr unbürokratisch Geld ausgezahlt." Zum Maßstab für die weiteren Maßnahmen will Laschet sich das Elbehochwasser* 2002 und 2013 nehmen. "Um sowohl individuell zu helfen, den Härtefällen zu helfen und gleichzeitig bei der Struktur, beim Wiederaufbau da zu sein", sagt Laschet. Die nächsten Tage gehe es aber vor allem um eines: "Dass nicht Obdachlosigkeit entsteht."

Nach knapp 20 Minuten ist der Auftritt vorbei, Steinmeier und Laschet steigen in die wartenden Limousinen auf der anderen Straßenseite. Eine Kolonne mit zehn dunklen Fahrzeugen setzt sich in Bewegung. Ihr nächstes Ziel: eine Notunterkunft.

"Wir hatten richtig Angst, dass wir es nicht rechtzeitig schaffen."

Nur ein paar hundert Meter entfernt, wartet Wolfgang Schurtz seit 90 Minuten vor dem Rathaus in der heißen Sonne. Die Schlange der Menschen wird immer länger. "Wir hatten das Wasser erst im Keller und hatten nicht damit gerechnet, dass es so hoch steigt", berichtet der 73-Jährige. Seine Erdgeschosswohnung wurde bis Fensterhöhe überflutet, Schurz und seine Frau konnten nur noch den Kater retten. "Und meinen Personalausweis". Sonst nichts. Schurz muss eine Pause machen. "Das Schlimme ist ja nicht der Wert der einzelnen Gegenstände, aber die ganzen Erinnerungen, die Fotoalben ..." Seine Stimme bricht. Die Nacht hat er im Pfarrheim verbracht, in einer Notunterkunft.

Ein paar Meter hinter ihm stehen Andreas Lindner und Karina Angus. Das Ehepaar flüchtete am Donnerstag aus seinem Haus in Blessem mit dem Auto und "einer Tasche mit Klamotten" über Felder vor dem Wasser. "Wir hatten richtig Angst, dass wir es nicht rechtzeitig schaffen."

Menschen aus Blessem haben eine Whatsapp-Gruppe gegründet, sie versuchen, sich gegenseitig auf dem Laufenden zu halten. Den Besuch von Laschet und Steinmeier haben Andreas Lindner und Karina Angus mitbekommen. "Aber das hilft uns nicht", sagt Angus. Ihr Mann sagt: "Laschet soll zurück an seinen Schreibtisch, der kann mit einem Klick Tausend Schaufeln bewegen." Die beiden sind in Köln bei der Familie untergekommen - und können jetzt nur abwarten und hoffen: "Dass unser Haus stehen bleibt."

*Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version stand, die Hochwasser 2002 und 2013 hätten die Oder betroffen. Das ist falsch, es war die Elbe. Armin Laschet hatte bei seinem Auftritt von Oderhochwassern 2002 und 2013 gesprochen.

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