Süddeutsche Zeitung

Erfolge der AfD:"Schweigen ist das Allerschlimmste"

Wie wollen Politiker mit den AfD-Abgeordneten im Bundestag umgehen? Und wie versuchen sie die AfD-Wähler zurückzugewinnen? Drei Abgeordnete aus Ostdeutschland erzählen.

Von Hannah Beitzer, Berlin

Katharina Landgraf hat eine Erinnerung aus dem Wahlkampf mit in ihr Bundestagsbüro genommen. Aus einer Klarsichtfolie zieht die CDU-Politikerin Kopien einer Anzeige, die die AfD in ihrem Wahlkreis in einer Zeitung geschaltet hat. "Erfahren? Ehrlich? Klar?", steht da in großen Buchstaben über Katharina Landgrafs Namen, die Fragezeichen treppenförmig untereinander. Dann die Frage: "Wie hat sie denn in der Vergangenheit abgestimmt?" Die Rentenangleichung in Ostdeutschland an Westniveau - nein. Diätenerhöhung - ja. In diesem Stil. Und wieder darunter: 24.9. - AfD wählen.

"Das war schon ausgebufft", sagt Landgraf. Und recht erfolgreich. 2013 hatten ihr noch 51,3 Prozent der Menschen ihre Stimme gegeben. In diesem Jahr lag sie nur noch bei 34,1 Prozent. Gleich dahinter folgt der Kandidat der AfD mit 28,7 Prozent aller Stimmen. "Das tut weh und ist auch frustrierend", sagt Landgraf ein paar Tage nach der Wahl. "Aber dieses Gefühl muss man schnell ablegen." Es muss weitergehen, mit den Neuen im Parlament, vor allem aber mit den Wählern zu Hause.

Nur wie? Vor dieser Frage stehen viele Politiker. Im Osten Deutschlands wurde die AfD in einigen Gegenden stärkste Kraft. Dort aber gibt es auch schon Erfahrungen in den Länderparlamenten, wie ein Umgang mit der AfD und ihren Sympathisanten aussehen kann. Davon erzählt zum Beispiel die brandenburgische Abgeordnete Annalena Baerbock von den Grünen. In Brandenburg holte die AfD bereits 2014 zwölf Prozent bei der Landtagswahl.

Wie umgehen mit der AfD im Parlament?

"Als die AfD in Brandenburg ins Parlament einzog, da sagten viele: Die zerlegen sich von selbst", erinnert sich Baerbock. Oder: Irgendwann merken die Wähler, dass das eine rechte Partei ist und wenden sich ab. "Die anderen Parteien im Parlament haben auch versucht, ihnen auf der Sachebene zu begegnen, vorzuführen, wie absurd viele ihrer Anträge sind", sagt Baerbock. "Das ist total sinnvoll, reicht offenkundig aber nicht." Zur Bundestagswahl erhielt die AfD in Brandenburg gut 20 Prozent der Zweitstimmen und wurde zweitstärkste Kraft. "Die Inhalte sind für die Anhänger der AfD nicht so wichtig", sagt Baerbock.

Das hat auch der Chemnitzer Linken-Abgeordnete Michael Leutert im Wahlkampf gespürt. "Wenn die Leute mir von ihren Problemen erzählt haben, zum Beispiel in der Pflege oder wegen Hartz IV, habe ich immer versucht, ihnen zu vermitteln: Die AfD wird dir da nicht helfen." Doch den Menschen sei das egal gewesen. "Sie sagten schlicht: Aber hier muss sich einfach was ändern." Je mehr die Menschen spürten, dass die Etablierten die AfD ablehnten, desto größer wurde die Zustimmung. "Das war früher bei der PDS genauso. Je mehr wir verteufelt wurden, desto besser waren die Ergebnisse."

Der AfD mit Argumenten begegnen, das findet auch Katharina Landgraf nicht leicht. "Ich habe zum Beispiel auf meiner Webseite erklärt, warum ich dem Gesetzentwurf zur Angleichung der Renten an Westniveau, der von den Linken kam, nicht zugestimmt habe", sagt sie. Denn mit der sofortigen Angleichung würde diejenigen Menschen im Osten, die jetzt noch für weniger Geld arbeiten als ihre Kollegen im Westen, später keinen Ausgleich mehr in der Rente erhalten. "Aber das ist ja so ein kompliziertes Thema, das versteht keiner", sagt sie.

Eines jedoch, das sagt Annalena Baerbock, könne man aus den Jahren mit der AfD im Länderparlament schon lernen. "Die Partei versucht, das Parlament mit Anträgen zu fluten und so zu blockieren", sagt sie. Die anderen Parteien hätten irgendwann beschlossen: Es muss nicht immer jede Fraktion auf jeden Antrag antworten, manchmal reicht es auch, wenn das eine Fraktion tut.

Und wie kommt man ran an die Wähler?

Der Umgang mit der AfD in den Parlamenten ist die eine Frage, die andere ist: Wie gehen Politiker um mit den Wählern der rechten Partei? "Was mir sehr zu schaffen macht: Ich hatte schon im Wahlkampf das Gefühl, dass ich an bestimmte Leute gar nicht mehr herankomme", sagt Katharina Landgraf. An den Wahlständen sei die Stimmung eher freundlich gewesen.

"Ganz zu Beginn, als das mit Pegida losging, hatte ich mal einen Handwerker in der Bürgersprechstunde, der mir erzählt hat, dass er jeden Montag nach Dresden fährt", sagt die CDU-Politikerin. Da habe sie sich gedacht: "Ein Handwerker, der jede Woche so viel Zeit opfert - da muss eine riesige Wut sein." Sie habe ihn gefragt, was er sich wünsche. "Da kam ganz rigoros: Alle Politiker müssen sofort zurücktreten, alle Verwaltungsbeamten entlassen werden." Im Umgang mit Pegida war ihre Partei zu bräsig, hat die Intensität der Wut unterschätzt, sagt Landgraf heute. "Da haben zu viele gedacht: Ach, das gibt sich wieder."

Spricht man Linken-Politiker Leutert auf die sächsische CDU an, dann übt er harschere Kritik. "Mich hat das gar nicht überrascht, in Sachsen haben wir schon seit vielen Jahren ein Problem", sagt er. "Gerade die CDU hat die rechtsextremen Strukturen hier immer verharmlost, das war schon zu Hochzeiten der NPD so." Leutert engagiert sich schon seit seiner Jugend gegen Rechtsextremismus. "Einmal wollten wir an Schulen den Film 'Hitlerjunge Salomon' zeigen, das wurde nicht erlaubt. Die Begründung war: Politik hat an den Schulen nichts verloren." Sein Büro wurde schon vor Pegida von Nazis angegriffen. "Aber die CDU wurde erst aufmerksam, als es sie selbst einmal erwischt hat."

Aber wie holt man die Menschen denn nun zurück? "Es gab in meiner Partei zu Beginn von Pegida und des AfD-Aufstiegs die Diskussion: Sollen wir mit denen überhaupt reden?", sagt Grünen-Politikerin Annalena Baerbock. Als Politikerin aus Brandenburg könne sie diese Haltung überhaupt nicht in Erwägung ziehen. "Schweigen ist das Allerschlimmste", sagt sie. "Ich bin in Runden, wo ich weiß: Da gewinne ich als Grüne keinen Blumentopf." Sie diskutiert dann auch mit anwesenden AfD-Sympathisanten über Windkraft. Es gehe ihr dabei nicht darum, Verständnis zu zeigen. "Denn für die Unterstützung von Angriffen auf unsere freiheitliche Gesellschaft habe ich null Verständnis. Auch nicht aus Protest." Es gehe darum, den Ball zurückzuspielen. "Es fallen dann oft Verallgemeinerungen wie: Die Politiker lügen alle", sagt sie. Und fragt zurück: "Meinen Sie, ich lüge Sie gerade an?" Wenn die Leute dann eine echte Person vor sich sähen, sagten sie oft: "Sie meine ich doch gar nicht."

In den vergangenen Jahren sei das direkte Gespräch mit Bürgern aber weniger geworden, sagt Baerbock. "Es hat sich viel in das Internet verlagert, die Leute schreiben häufiger Mails als in die Bürgersprechstunde zu kommen." Es sei aber etwas ganz anderes, von Angesicht zu Angesicht miteinander zu sprechen als per Mail.

Sie lädt auch regelmäßig Gruppen aus ihrer Heimat in den Bundestag ein. Ebenso Katharina Landgraf: "Das waren in den zwölf Jahren, in denen ich schon Abgeordnete bin, Tausende Leute", sagt die CDU-Politikerin. Ihr passiere häufig, dass die Besucher ganz erstaunt seien. "So in die Richtung: Ach, Ihr arbeitet hier ja wirklich!" Nicht selten kämen hinterher noch Nachfragen per Mail oder Brief, "die Leute werden richtig munter", sagt Landgraf. "Hätten Sie mich nach der letzten Wahl gefragt, dann hätte ich Ihnen gesagt: Das ist ein voller Erfolg." Sie lacht ein wenig bitter. "Aber heute frage ich mich auch: Wie viele von denen haben denn wohl dieses Jahr AfD gewählt?"

Diskussionen über die deutsche Identität

Dieses Gefühl des Misstrauens, der Entfremdung - das hat nicht nur die Politikerin. Es ist auch in ihrem Wahlkreis Thema. "Die Leute wünschen sich, dass wir wieder zu einem besseren Miteinander finden." Wie sie das als Politikerin beeinflussen kann? "Ich muss das Selbstwertgefühl der Menschen stärken." Die Leute in ihrer Heimat hätten viele Brüche bewältigt - und jetzt das Gefühl: Da soll schon wieder was Neues kommen, obwohl wir das alte noch gar nicht verdaut haben.

"Wir sind zu wenig auf die kleinen Lebenskreise eingegangen, zum Beispiel die Dörfer", sagt sie. Oft sei in den Medien von den Leuchttürmen der deutschen Wirtschaft die Rede, von den großen Industrien, Start-ups, Zukunftstechnologien. "Da fühlt sich manch ein Handwerker, der ja auch einen wichtigen Beitrag leistet, zurückgesetzt." Sie wolle die Menschen selbst ermuntern, sich zu überlegen: Was sind eigentlich unsere Qualitäten? Warum lebt es sich gut auf dem Land? "Viele haben das Gefühl: Wir Dörfler sind gerade noch für Schützenfeste und Traditionsbewahrung gut, aber der Fortschritt passiert anderswo." Dass dem nicht so sei, dass es auch in der sogenannten Provinz innovative Ideen gebe, das müsse man deutlicher herausstellen.

Ein Problem im Osten sei mit Sicherheit die Infrastruktur, sagt Grünen-Politikerin Baerbock. "Wenn es in Dörfern keinen Arzt mehr in Reichweite gibt, keine Post, keinen Bus - dann ist das eine Entkopplung, unter der die Leute leiden." Für Michael Leutert ist immer noch Hartz IV ein wichtiges Thema - "diese ständige Gängelung, das Misstrauen, unter dem die Menschen leiden, kann sie nur in die Ablehnung zum System treiben". Sozialpolitik allein wird nach Meinung von Annalena Baerbock aber nicht reichen, die AfD-Wähler zurückzugewinnen. "Die AfD hat immerhin auch in Potsdam-Stadt 13 Prozent geholt", sagt sie. Nicht jeder AfD-Wähler ist wirtschaftlich abgehängt, das zeigen Studien. Auch viele Alexander Gaulands tummelten sich in der AfD, denen sei Sozialpolitik egal.

"Es geht hier auch um die Frage: Wer sind wir Deutschen, wer wollen wir sein?", sagt Michael Leutert. Für Ostdeutsche sei die Frage nach der Identität besonders dringlich, da sich viele von ihnen nach wie vor als Bürger zweiter Klasse fühlten, sich also selbst noch nicht als wirklich integriert ansehen. Aber sie beschäftige auch Menschen im Westen. "Ich finde es nicht schlecht, diese Debatte zu führen", sagt er. "Im Moment führt sie nur die AfD, von ganz rechts. Wir müssen sie aber als Linke ganz anders führen." Denn natürlich gebe es die Frage nach einer eigenen Identität, natürlich hätten die Deutschen eine eigene sie verbindende Geschichte, es gebe dadurch auch spezielle kulturelle Prägungen in Deutschland. "Über all das kann man ja sprechen."

Rassismus klar benennen

In diesem Dialog gibt es für ihn auch Grenzen: "Rassismus, Antisemitismus, Menschenfeindlichkeit in jeder Hinsicht muss man konsequent bekämpfen." Den Wunsch der CSU, die "rechte Flanke" zu schließen, findet auch Grünen-Politikerin Baerbock gefährlich. "Wenn man versucht, einen Gauland rechts zu überholen, dann macht man Rassismus hoffähig", sagt sie. Ihre Aufgabe als Grüne sei daher, nicht nur Verständnis für die Nöte der Wähler zu äußern, sondern auch deutlich zu machen: "Was die AfD sagt, ist rassistisch. Ohne Wenn und Aber."

Auch CDU-Politikerin Katharina Landgraf formuliert Grenzen im Entgegenkommen an die AfD-Wähler: "Für mich muss klar sein, dass es in der Politik das Wort Nächstenliebe gibt. Und Verantwortung. Nicht nur in Deutschland."

Annalena Baerbock ist es besonders wichtig, sich in Zukunft nicht nur auf die AfD-Sympathisanten zu konzentrieren. "Es gibt Orte in Brandenburg, wo ganz wenige Leute sich engagieren, die demokratische Fahne hochhalten. Die muss man stärken." Denn oft genug fühlten auch die sich alleingelassen von der Politik - zum Beispiel in der Flüchtlingshilfe, wo während der Hochphase der Migration Freiwillige staatliche Aufgaben übernahmen. Sie zu vergessen, wäre fatal. Denn damit würde man nur eine neue Gruppe Unzufriedener schaffen, die sich von den Etablierten abwende.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3689087
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
Süddeutsche.de/ghe/liv/cat
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.