Erfolg von Farage, Trump und Co.:Nehmt Populisten beim Wort - unablässig

Nigel Farage ist verantwortungslos? Kann sein. Doch was tun, wenn sich charismatische Politiker vor allem im Lager der Populisten tummeln? Zwingt sie, langweilig zu sein.

Kommentar von Detlef Esslinger

Mit Schonung, gar mit Verständnis, durfte Nigel Farage nicht rechnen, nachdem er als Vorsitzender der EU-feindlichen Ukip-Partei zurückgetreten war. Feige, verantwortungslos, unpatriotisch - das sind die Ausdrücke, mit denen der Mann seither belegt wird; selbst aus seiner eigenen Partei gibt es Kommentare, die nicht von übertriebener Sympathie zu ihm zeugen.

All diese Kommentare hören sich an, als staune man über den Schritt. Aber war der in Wahrheit nicht geradezu absehbar? War er nicht eine Folge von Selbsterkenntnis - wenn auch begleitet von der nächsten Dreistigkeit?

Das Problem mit Politikern wie Nigel Farage ist weniger, dass sie keine Patrioten wären und deshalb von Bord gingen; diesen Vorwurf hat EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker dem Briten am Dienstag gemacht. Vielmehr weist Farages Fall auf ein grundsätzliches Problem hin. Politik wird an Orten gemacht, die unterschiedlicher nicht sein könnten und auf denen jeweils sehr unterschiedliche Talente gefragt sind: auf der Bühne und im Sitzungssaal. Und derzeit haben die Bühnenmenschen übermäßig Konjunktur.

Auf der Bühne braucht es die Qualitäten des Entertainers, der zuspitzt, der mitreißt, der sich inszeniert. Es hilft einem auf der Bühne durchaus, wenn man narzisstisch veranlagt ist und einen Hang zum Drama hat. Im Sitzungssaal hingegen braucht es die Qualitäten des Facharbeiters, der sich durch Details fräst, der seine Worte wägt und der auch zuhören kann, der weiß, wann man sich zurückzunehmen hat. Es hilft dort ungemein, wenn man eher der strukturliebende und wachsame Typ ist.

Bühne und Sitzungssaal - beides ist wichtig

Es gibt nur wenige Menschen, die im Sitzungssaal ebenso brillieren wie auf der Bühne; Populisten wollen dies nicht einmal. Nichts illustriert die Persönlichkeit von Nigel Farage so trefflich wie der Umstand, dass er sich im Brexit-Wahlkampf zwar zum Advokaten der englischen Fischer aufschwang, dass er aber zuvor als Mitglied des Fischerei-Komitees im Europäischen Parlament nur an einer von 42 Sitzungen teilgenommen hatte.

Ernsthafte Politik erfordert jedoch gewisse Fertigkeiten an beiden Orten. Wer nur die Bühne beherrscht, ist mit großer Wahrscheinlichkeit jemand, der gar nicht weiß, was Ernsthaftigkeit überhaupt ist. Der Amerikaner Trump ist der derzeit wohl berühmteste Repräsentant dieses Typs.

In Deutschland wurde dieser Typ einem am Dienstag vor Augen geführt, als von den 23 Abgeordneten der AfD im baden-württembergischen Landtag gleich 13 ihre Fraktion verließen - gerade mal drei Monate, nachdem sie im Kielwasser ihrer Wortführer Gauland, Höcke, Petry dort hineingewählt worden waren. Erwartungen von Wählern zu wecken, das war die eine Disziplin; diese Erwartungen nun zu erfüllen, wäre eine ganz andere.

Menschen packen und seriös regieren - schwierig

Wer aber nur im Sitzungssaal stark ist, gerät früher oder später ebenfalls ans Ende seiner Möglichkeiten. Angela Merkel hat in den vergangenen Monaten zum einen an Akzeptanz verloren, weil ihre Flüchtlingspolitik so vielen Bundesbürgern zuwider ist; zum anderen aber auch, weil sie nun wirklich nicht die begabteste Erklärerin ihrer Politik ist. Bestenfalls liefert sie Erläuterungen, nie aber eine Erzählung.

Gerhard Schröder in der SPD und Roland Koch in der CDU waren in Deutschland die bislang Letzten, die beides konnten: die Menschen packen und sie seriös regieren.

Populisten beim Wort nehmen

Was aber tun, wenn sich die Charismatiker vor allem im Lager der Populisten tummeln, wie soeben in Großbritannien zu beobachten? Albern wäre es, darauf zu hoffen, dass die Seriösen endlich auch charismatisch werden; keine Persönlichkeit lässt sich umkrempeln.

Die Lehre aus den Erfolgen der Brexit-Kämpfer, der AfD in Deutschland, Trumps in den USA ist vielleicht die: sie mit ihren Bühnensprüchen nicht davonkommen zu lassen; sie vorher nach ihrem Plan zu fragen, anstatt ihnen hinterher vorzuwerfen, dass sie keinen haben.

Der italienische Publizist Beppe Severgnini riet neulich, aus den Erfahrungen seines Landes mit Silvio Berlusconi zu lernen, dem großen Blender. Man solle den Bühnenmenschen unablässig beim Wort nehmen, ihn auf die Umsetzung dessen ansprechen, wovon er schwadroniere, sagte Severgnini. "Zwingt ihn also dazu, langweilig zu sein."

Nigel Farage hat ja nicht angekündigt, sich ins Privatleben zurückzuziehen. Er hat angekündigt, nun anderen Ländern zu "helfen", ebenfalls aus der EU herauszukommen. So dreist sind Populisten: Sie haben ihre Sprüche, und sie glauben, damit können sie immerwährend auf Tournee gehen. Es ist ja das Einzige, was sie können. Mit Langweilern lässt sich zur Not auskommen, mit Schreihälsen nicht.

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