Erfolg der Rechtspopulisten:Jetzt ist es Zeit für Jamaika

Illustration Jamaikakoalition

Eine Koalition aus Union mit den Grünen und der FDP regiert momentan in Schleswig-Holstein, doch im Bund gab es so ein Bündnis noch nie (auf diesem Archivbild reichen sich hinter der Landesfahne von Jamaika drei Menschen die Hände).

(Foto: dpa)

Nach dem erschreckend starken Abschneiden der AfD muss die Mitte Stärke zeigen. Neues Denken ist nötig: Union, Grüne und FDP sollten couragiert sein und die nächste Regierung bilden.

Kommentar von Stefan Braun, Berlin

Es ist passiert. Es ist nicht mehr nur eine Befürchtung: Die AfD wird mit Rassisten, Geschichtsrevisionisten und aggressiven Provokateuren in den Bundestag einziehen. Die Bundesrepublik steht vor einem neuen Kapitel. Das angenehme Leben ohne Rechtsradikale im Parlament ist Geschichte. Deutschlands Demokratie muss im Bundestag, aber auch überall sonst im öffentlichen Raum neu verteidigt werden.

Mit diesem Wahltag wird die Republik von rechts herausgefordert. Die politischen Folgen sind noch nicht abzusehen. Eines aber ist sicher: Der demokratische Grundkonsens und der zivilisierte Umgang miteinander werden ihrer bislang schwersten Prüfung unterzogen. Eine Fraktion im Parlament wird sie nicht mehr mittragen, sondern bekämpfen.

Die AfD lebt nicht von Verbesserungsvorschlägen. Sie lebt von der Provokation, der Ablehnung, dem Neinsagen. Sie wird deshalb genau jenen Konsens angreifen, der den Umgang im Parlament bis heute geprägt hat: dass alle Menschen gleich sind; dass die Werte des Grundgesetzes über allem stehen; und dass es bei allen Meinungsverschiedenheiten das Ziel sein muss, gemeinsame Lösungen zu finden. Von jetzt an werden AfD-Vertreter im Bundestag aggressiv das Trennende suchen.

Es braucht neue Prioritäten und neues Denken

Die anderen Parteien zwingt das zu neuem Denken. Im besten Fall ist es ein Weckruf, der sie dazu bringt, keine künstlichen Scharmützel mehr zu inszenieren. Eine neue Priorisierung ist nötig. Der Raum und die Atmosphäre, in denen sie sich von nun an bewegen, werden andere werden. Konflikte in der Sache kann und muss es weiter geben; parteipolitische Reflexe der Abgrenzung aber sollten alle überprüfen. Nur wenn Union und SPD, wenn Grüne, FDP und Linke sich über die neue Herausforderung nicht zerstreiten, sondern den Konsens der Demokraten neu entwickeln, werden die Aggressionen der AfD ins Leere laufen.

Die Parteien müssen auch der Verlockung widerstehen, die Politiker und die Wähler der AfD gleichzusetzen. Das verlangt, die Kritik an der Flüchtlingspolitik nicht rundweg für Quatsch zu halten. Man kann den Hilfsreflex vom Sommer 2015 mit Verve verteidigen und gleichzeitig eingestehen, dass danach manches sehr schlecht lief. Bei der mangelhaften Registrierung, der überlangen Dauer der Asylverfahren oder der chaotischen Unterbringung in den Kommunen. Die neue Regierung muss der Integrationspolitik viel mehr Platz, Zeit und Mittel einräumen. Nur wenn Integration in einem umfassenden Sinne gelingt, wird es möglich sein, der AfD den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Dazu gehört auch die Botschaft, dass die demokratischen Werte, die Freiheitsrechte, die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau durch niemanden in Frage gestellt werden dürfen. Die zivilisatorischen Errungenschaften der Bundesrepublik sind keine Kann-Bestimmungen für Neuankömmlinge; sie verpflichten alle, sich daran zu halten. Nur wenn das klar ist und bei Ablehnung sanktioniert wird, weiß jeder und jede, dass der Konsens in diesem Land durch nichts und niemanden aufgeweicht wird.

Was das Ergebnis für Merkel und die SPD bedeutet

Für Angela Merkel ist das Ergebnis eine schwere Schlappe. Die Kanzlerin ist nicht abgewählt worden, aber sie musste Federn lassen. Sie wird wohl eine vierte Amtszeit bekommen, aber das Leben wird nicht einfacher werden. Und das fängt nicht bei den möglichen Koalitionspartnern an. Schon das Miteinander mit der CSU wird komplizierter werden. Viel hängt davon ab, ob Horst Seehofer willens ist, an ihrer Seite zu bleiben. Wird der CSU-Chef angesichts der AfD gemeinschaftlich denken oder ein Jahr vor der Landtagswahl in Bayern auf zusätzliche Abgrenzung zielen? Welchen Kurs Seehofer wählt, ist entscheidend für die Frage, ob die Union aus diesem Ergebnis kluge Schlüsse zieht oder zerstritten rauskommt.

Die SPD ist - je nach Sichtweise - mit zwei blauen Augen rausgekommen oder brutal gescheitert. Ihr Anspruch, den Kanzler zu stellen, ist nun zum dritten Mal in Folge ins Leere gelaufen. Natürlich wird es wieder Leute geben, die das Wort Verantwortung mit einer Fortsetzung der großen Koalition verbinden. Das aber könnte ein fataler Fehler sein, auch wenn man die Hoffnungen der SPD-Minister natürlich verstehen kann - es ist nun mal schöner, im Kabinett als auf der Oppositionsbank zu sitzen. Aber dieses Ergebnis zwingt auch die SPD zum Umdenken. In Zeiten, in denen die AfD im Parlament sitzt, ist es außerordentlich wichtig, dass die größte Kraft der Opposition eine durch und durch demokratische Partei sein wird.

Was dafür spricht, das Jamaika-Bündnis zu wagen

Womit man bei der Alternative zur großen Koalition wäre: den Liberalen und den Grünen. Keine Frage, die einen sind triumphal zurückgekehrt und die anderen haben kein schlechtes Ergebnis erzielt. Natürlich werden die Liberalen sich erst mal im Sieg baden und die Grünen tief durchatmen. Beides ist verständlich, es ist menschlich. Es darf nur nicht zu lange dauern. Und es darf den Blick auf das jetzt Wichtige nicht verstellen. Die Frage aller Fragen nämlich lautet: Schaffen sie es, in einem Bündnis der Vernunft künftig klug die Geschicke des Landes zu prägen?

Natürlich halten dies unendlich viele in beiden Parteien für unmöglich. Und es sind nicht nur der linke Flügel bei den Grünen und Kritiker von Merkels Euro-Rettungspolitik wie der FDP-Mann Frank Schäffler, die so denken. Es ist auf den ersten Blick ja auch schwer, die Steuersenkungspläne der FDP und die Vermögenssteuerziele der Grünen zusammenzubringen. Oder die Bürgerversicherung der einen zu den Gesundheitsplänen der Liberalen. Aber reicht es aus, lieber bei der reinen Lehre zu bleiben und dem Land weitere vier Jahre große Koalition zu bescheren? Für die Seele ist das nicht schlecht; als Liberaler oder Grüner kann man ganz bei sich bleiben. Aber Demokratie, noch dazu eine, die vor der Herausforderung namens AfD steht, verlangt von Politikern mehr als dem Bequemen, dem Einfachen, dem Leichteren zu erliegen.

Die Mitte muss jetzt zeigen, was sie im Konstruktiven draufhat. Diese zwei Parteien haben den stärksten Aufbruchswillen und den ausgeprägtesten Mut, an wichtigen Stellen Fortschritte zu erzielen. Auch wenn sie im ersten Moment beide den Gedanken kaum aushalten: Sie können einen Koalitionsvertrag gemeinsam zu einem liberalen, bürgerrechtsgeprägten und ökologischen Aufbruch machen. Ja, sie können eine Offensive für die Schulen starten; sie können der Digitalisierung viel mehr Bedeutung geben.

Das Thema Klimawandel darf nicht länger ignoriert werden

Vor allem aber haben sie ausgerechnet beim Thema Asyl, Einwanderung und Integration Ideen und Leidenschaften, die zusammenpassen. Als Blaupause könnte das FDP-Konzept dienen, in dem es - kaum wahrgenommen - ausgesprochen kluge Ideen gibt. Erstens die Idee, zwischen Asyl, Bürgerkriegsflüchtlingen und kluger Einwanderungspolitik präzise zu unterscheiden. Und zweitens den beinahe revolutionären Vorschlag, für gut integrierte und gesetzestreue Flüchtlinge den sogenannten Spurwechsel möglich zu machen. Also vom Status des Flüchtlings zum Status des Einwanderers zu wechseln. Wenn man besonders gut ist.

Gleichzeitig würden die Grünen mit ihrer Kernkompetenz das Thema einbringen, das Liberale und Konservative weitgehend ausblenden - und die große Koalition gar fast vollständig ignoriert hat: den Klimawandel, die Massentierhaltung, die Förderung alternativer Antriebstechniken in der so wichtigen Autoindustrie. Egal, wer künftig die Regierung stellt: Diese Themen sind zwingend für die kommenden vier Jahre.

Die Dieselaffäre ist keine Petitesse; sie ist der Beleg für den größten Betrug und die größten Fehler der deutschen Autobranche in ihrer Geschichte. Auch die Wetterkapriolen und der Eierskandal sind nicht vom Himmel gefallen, sondern von Menschen verursacht. Keine Frage, die Grünen haben bei dieser Wahl sehr mau abgeschnitten. Ihre Themen aber berühren und bekümmern viele Menschen. Sich ihnen anzunehmen ist also kein Geschenk an eine Partei. Es ist zwingend für jede neue Regierung, die verantwortungsvoll handelt.

Ja: Jamaika klingt nach furchtbar viel Mühe. Aber nein: Jamaika ist nicht unmöglich. Es kann klappen, wenn man den Blick nicht darauf richtet, was alles im Weg stehen könnte, sondern die Kraft findet, sich dem zuzuwenden, was für beide ein kluger Aufbruch sein könnte. Das zwingt nicht nur die Parteiführungen, nach dem harten Wahlkampf rhetorisch abzurüsten. Es zwingt vor allem die Linken bei den Grünen und die Neoliberalen bei der FDP, sich nicht mehr dem Ersehnten und dem Wünschenswerten zuzuwenden.

Jamaika, das wäre nichts für Weicheier, die sich in ihrer Welt eingerichtet haben. Es ist was für Politiker, die den Mut haben, dem Land gemeinsam eine mutige, kluge, starke Mitte zu geben.

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