Erdoğans Referendum:Wie es zugeht in den türkischen Wahllokalen in Deutschland

Turkish voters living in Germany cast their ballots on the constitutional referendum in Munich

Eine Wählerin gibt in München ihre Stimme ab.

(Foto: REUTERS)
  • Bis Sonntag durften in Deutschland lebende Türken ihre Stimme abgeben.
  • Die Wähler entscheiden mit, ob der türkische Präsident Erdoğan von 2019 an deutlich mehr Macht haben wird. Die Auslandstürken könnten den Ausschlag geben
  • Der Wahlvorgang ist durch den Hohen Wahlausschuss geregelt. Die Grundsätze der Wahl: frei, gleich, geheim und unmittelbar.

Von Hakan Tanriverdi

Der alte Postpalast, eine Säulenhalle im Münchner Westen. Eine Frau deutet Richtung Wahlkabine. Da ist eine Wählerin, die ihr Smartphone gezückt hat und sich nun bei der Stimmabgabe fotografieren will. Die Wahlhelfer gucken sich kurz an, dann steht einer auf und gibt der Frau zu verstehen, dass es laut türkischem Wahlrecht verboten ist, Fotos in der Kabine zu schießen. Die Frau nickt, packt ihr Handy ein, wirft den Stimmzettel durch den Schlitz in eine durchsichtige Box und verlässt das Wahllokal.

Noch bis Sonntag dürfen in Deutschland lebende Türken ihre Stimme abgeben, insgesamt 1,4 Millionen Wahlberechtigte. In 13 Städten wurden Wahllokale eingerichtet. Die Wähler entscheiden mit, ob der türkische Präsident von 2019 an deutlich mehr Macht haben wird.

Umfragen zufolge liegen in der Türkei Ja- und Neinsager fast gleichauf. Die türkische Regierung ist unruhig - im Staatsfernsehen wirbt nur die Regierungspartei AKP für die Initiative des Präsidenten Erdoğan. In den Nachrichten dort darf die AKP von den Vorteilen eines Ja-Votums schwärmen, die Opposition aber nicht ähnlich deutlich vor den Nachteilen warnen.

So viele Debatten, so viel Streit hat das Referendum in den vergangenen Wochen ausgelöst: Da sind deutsch-türkische Familien, die gespalten sind wie nie. Da sind Deutsche, die sich nicht vorstellen können, warum in der Demokratie lebende Türken hier für einen Präsidenten stimmen, der nach ihrem Empfinden eine Diktatur anstrebt.

Frei, gleich, geheim und unmittelbar

In kaum einer anderen Frage waren sich die Deutschen zuletzt so einig wie in der Ablehnung von Wahlkampfauftritten von AKP-Politikern hier. Und wenn sie Erdoğan und seiner Regierung eines nicht zutrauen, dann dies: dass sie eine faire Abstimmung und anschließend eine einwandfreie Auszählung der Stimmen anstreben. Also, wie geht es zu in den türkischen Wahllokalen in Deutschland?

Der Wahlvorgang als solcher ist durch den Hohen Wahlausschuss geregelt, den Yüksek Seçim Kurulu (YSK). Die Grundsätze der Wahl: frei, gleich, geheim und unmittelbar. Am Mittwochnachmittag dieser Woche lässt sich das exemplarisch beobachten, im Münchner Postpalast. Der Andrang ist stetig, doch zugleich so niedrig, dass sich keine Schlangen bilden.

Die Wähler müssen sich ausweisen. Mit Hilfe einer Software prüfen die Wahlhelfer, ob der Mensch, der vor ihnen steht, stimmberechtigt ist oder bereits gewählt hat. Anschließend bekommt er Stimmzettel, Kuvert und einen Stempel in die Hand gedrückt und wird in eine von acht Kabinen geschickt; diese sind Pulte mit einem Sichtschutz darauf, wie man sie auch aus den USA kennt.

Die Auslandstürken könnten den Ausschlag geben

Der Wahlzettel selbst ist zweigeteilt: Auf weißem Untergrund steht Evet, also Ja, auf braunem Untergrund steht Hayir, Nein. Nach der Stimmabgabe muss der Wähler unterschreiben; Analphabeten tun dies per Abdruck ihres linken Daumens. Einige der Wahlhelfer haben unter anderem die Aufgabe, direkt auf die Kabine zu blicken - und zu warnen, falls Wähler sich fotografieren wollen.

Am Eingang des Postpalastes sitzen Vertreter von drei Parteien: der islamisch-konservativen AKP Erdoğans, der rechtsextrem-nationalistischen MHP und der sozialdemokratisch-kemalistischen CHP. Sie vertritt hier als einzige das Nein-Lager, zumindest in München fehlt ein Vertreter der kurdischen Partei HDP. Auf Nachfrage erklärt ein Sprecher des Hohen Wahlausschusses: Dafür könne es viele Gründe geben. Vielleicht habe die HDP niemanden geschickt? Von 9 bis 21 Uhr dauert ein Wahltag, danach kommen die Stimmen aus der transparenten Box in einen Sack.

532227 Stimmen

haben die 1,4 Millionen in Deutschland registrierten türkischen Wähler bis zum Donnerstagabend beim Referendum über die türkische Verfassung abgegeben. Das deutet auf eine höhere Wahlbeteiligung hin als bei der türkischen Präsidentenwahl im Jahr 2014.

Und dann? Der YSK schildert das offizielle Prozedere in einem Video. Die Wahlleiter öffnen im Beisein sowohl der Parteienvertreter als auch der Wahlhelfer die Umschläge mit den Stimmzetteln. Sie lesen jedes Votum laut vor - es wird auf mehreren Listen festgehalten, die alle von den Anwesenden unterschrieben werden. Bis zu drei Zählungen sind vorgesehen. Das Ergebnis wird laut vorgetragen und anschließend in einer weiteren Liste notiert. Auch diese wird unterschrieben. Gültige und ungültige Stimmen werden anschließend separat voneinander in Kuverts gesteckt. Diese werden versiegelt und anschließend wieder in den Sack gepackt, der ebenfalls versiegelt wird.

Die abgegebenen Stimmen werden bis Sonntagabend in einem Raum aufbewahrt, der mit drei Schlössern verhängt ist; die Vertreter von AKP, MHP und CHP bekommen jeder einen Schlüssel. Danach werden all die Stimmzettel per Flugzeug in die Türkei gebracht, wiederum eskortiert von den Parteivertretern. Am 16. April, nachdem auch in der Türkei gewählt wurde, werden sie dort erneut ausgezählt. Die Auslandstürken machen etwa fünf Prozent aller Wahlbeteiligen aus. Wird es knapp, könnten sie den Ausschlag geben.

Aufregung lösen derzeit Briefe aus, die in Deutschland lebende Türken in den vergangenen Tagen erhielten - unterschrieben vom türkischen Premierminister Binali Yıldırım (AKP). Oben rechts ist das Logo der Partei. Im Text weist Yıldırım auf die laufende Abstimmung hin. An einer Stelle heißt es: "Wir haben die Chance auf eine freiheitlichere, pluralere, wohlhabendere und demokratischere Türkei."

Wie kamen die Adressen an die AKP?

Ein klarer Fall von Wahlwerbung also - das Problem dabei: Der Paragraf 136 des türkischen Strafgesetzbuches verbietet die Weitergabe personenbezogener Daten an Dritte, und Empfänger in Deutschland, die der AKP ganz bestimmt niemals ihre Adresse gegeben haben, nehmen in der aufgeladenen Stimmung der vergangenen Monate solche Post nicht als Werbung wahr, sondern als Wir-wissen-wo-du-wohnst-Hinweis.

Der Hamburger Anwalt Mülayim Hüseyin, einer der Empfänger, sagt: "Wir fühlen uns bedroht, weil wir konträr zur AKP und der AKP-Regierung eine demokratische, laizistische Gesinnung besitzen und dies in sozialen Netzwerken öffentlich vertreten." Er und seine Familie fürchteten, dass plötzlich "Handlanger" der Partei vor ihrer Tür stünden. Dem Anwalt ist unklar, wie seine Daten an die Partei gelangt sein könnten.

Wie kamen also die Adressen an die AKP? Die türkischen Generalkonsulate verfügen über sie, die SZ fragte bei den Einrichtungen in München, Berlin und Hamburg nach. Lediglich Berlin antwortete; ein Sprecher sagte: "Wir geben keine Daten weiter. Von keiner einzigen Person. An niemanden." Und die Behörde, die in Ankara für die Auslandswähler zuständig ist? Auch sie bestritt die Weitergabe von Adressen: "Wir haben davon aus der Presse erfahren." Beruhigen wird das keinen der Empfänger.

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