Süddeutsche Zeitung

Erdoğan und Merkel:Böhmermanns Zweikampf

Liefert die Kanzlerin den Satiriker ans Messer? Unsinn. Die Übergabe an die Justiz ist kein Kotau vor Erdoğan, sondern der gute Gang der Dinge in einem Rechtsstaat. Der Fall kommt jetzt aus der Sphäre der Opportunität in die der Legalität.

Von Heribert Prantl

Es gab eine Zeit, da war die Ansicht verbreitet, dass der gerichtliche Ehrenschutz völlig unzureichend sei; bei groben Kränkungen komme ein Mann von Ehre ohne Duell nicht aus. "Wer immer das Unglück hat, von einem Rüpel beleidigt zu werden, gilt in der ganzen Welt für feig, wenn er den Schimpf nicht mit dem Tode des Beleidigers rächt", schrieb vor 250 Jahren der Alte Fritz. Damals versuchten die ersten Gesetze das Unwesen des Zweikampfs einzuschränken. Aber Körperverletzung und Tötung im Zweikampf wurden bis 1969 (!) erheblich milder bestraft als Tötung und Körperverletzung ansonsten. Die strafrechtliche Privilegierung des Zweikampfs war bis dahin, bis 1969, geltendes Recht.

Nun, 47 Jahre später, sollen andere Ehren-Sonderparagrafen abgeschafft werden, die bezeichnenderweise auch aus den Duell-Zeiten stammen: die über die Beleidigung ausländischer Staatsoberhäupter. Die Kanzlerin hat das angekündigt; ihre Erklärung vom Freitag war die erste fruchtbare Folge des Schmähgedichts von Jan Böhmermann. Der Fall hatte zwei Wochen lang Deutschland in ein juristisches Seminar verwandelt. Deutschland diskutierte mit Erregung, Inbrunst und Ekstase über die Fragen von Ehre und Beleidigung, über Meinungs- und Kunstfreiheit und deren Reichweite. Das Bohei vor dem Merkel-Auftritt war fast so groß, als würde sie Neuwahlen ankündigen. Aber sie kündigte nur an, dass die Justiz den Fall Böhmermann/Erdoğan prüfen soll. Das klingt spektakulär, das klingt so, als würde die Kanzlerin Böhmermann quasi ans Messer liefern. Aber das ist Unsinn. Die Übergabe der Causa an die Justiz ist kein Kotau vor Erdoğan (wie dies auch die SPD meint), sondern der Gang der Dinge in einem Rechtsstaat. Der Fall kommt jetzt aus der Sphäre der Opportunität in die Sphäre der Legalität. So ist es Recht.

Zugegeben: Die Ermächtigung der Bundesregierung "zur Strafverfolgung", wie das der einschlägige Paragraf formuliert, klingt missverständlich. Diese Ermächtigung aber bedeutet nicht, dass Böhmermann jetzt verfolgt und bestraft wird. Solche Weisungskompetenzen hat die Regierung natürlich nicht, weil es (anders als im Staate Erdoğan) in einem Rechtsstaat solche Weisungskompetenzen nicht gibt. Die "Ermächtigung" bedeutet lediglich, dass die Justiz jetzt das machen darf, was ihre Aufgabe ist: Die "Tat", also die Satire, daraufhin prüfen, ob sie strafbar ist. Nicht diese Prüfung ist ungewöhnlich, ungewöhnlich ist, dass die Regierung nach geltendem, nun abzuschaffendem Recht entscheidet, ob die Justiz entscheiden darf.

Wenn man schon beim Gesetze-Abschaffen ist: Man sollte überlegen, ob nicht auch andere einschlägige Sondervorschriften abzuschaffen sind: Die "Verunglimpfung" des Bundespräsidenten ist derzeit mit Haft bis zu fünf Jahren bedroht; ebenso die "Verleumdung gegen Personen des politischen Lebens". Auch hier reichen eigentlich die normalen Beleidigungsvorschriften aus.

Die Satire Böhmermanns war missglückt. Daraus folgt aber nicht, dass sie auch strafbar ist. Gewiss: Wäre das Schmähgedicht bei einer Pegida-Demonstration vorgetragen worden, wäre es als Volksverhetzung strafbar. Der Kontext hier war ein anderer. Böhmermann wollte Erdoğan mit dem Holzhammer eine Nachhilfestunde in Sachen Meinungsfreiheit geben. Darf man zu diesem Zweck Unverschämtheiten formulieren, die für sich genommen gröblich beleidigend sind? Das muss nun die Justiz klären. Unabhängig von dieser Klärung wird, hoffentlich, Erdoğans Ehre an anderen Taten gemessen als an einem Schmähgedicht.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.2951079
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 16.04.2016
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.