Süddeutsche Zeitung

Erdogan und die türkischen Frauen:"Weltgebärtag" in der Türkei

Der türkische Ministerpräsident Erdogan bittet seine Staatsbürgerinnen, die Nation zu retten. Seine Empfehlung für jede Frau: mindestens drei Kinder zu bekommen.

Kai Strittmatter

Als eine Gruppe prominenter Türkinnen im letzten Jahr dem anatolischen Machismo ein Gesicht geben wollte, da klebten sich die Frauen in einer provozierenden Aktion einen Schnurrbart an. Ministerpräsident Tayyip Erdogan trägt einen Schnurrbart.

Zum Weltfrauentag hielt Erdogan eine Rede in der Provinzstadt Usak. Da ging der Schnauzer mal wieder mit ihm durch. Er spreche als "bekümmerter Bruder", eröffnete er sich den "lieben Schwestern" im Auditorium: Um die Wirtschaft müsse man sich große Sorgen machen, ebenso um den Fortbestand der türkischen Nation.

Weshalb? "Die wollen die türkische Nation auslöschen. Nichts anderes wollen sie", klagte der Premier. Er vergaß dann zwar, dem Publikum mitzuteilen, wer hinter den heimtückischen Plänen stecke, hatte dafür aber die Gegenstrategie schon parat: "Damit unser Volk jung bleibt, solltet ihr mindestens drei Kinder machen." Er meinte pro Frau, nicht pro Volk.

Den ersten Reaktionen nach zu urteilen, fiel der Appell auf keinen sehr fruchtbaren Boden. Obwohl die linksliberale Zeitung Taraf den 8.März umgehend in "Weltgebärtag" umbenannte, zeigten zumindest die Frauen, die auf die Straße gingen, dem Premier die kalte Schulter.

"Mach sie dir selbst, deine eins, zwei, drei kleine Türken", war auf einem Banner in Istanbul zu lesen. Die Parlamentarierin Nesrin Bayrak von der oppositionellen CHP erinnerte daran, dass man doch eigentlich die letzten Jahre hart gearbeitet habe, um den so armen wie kinderreichen Familien im Südosten Familienplanung beizubringen.

Die Kolumnistin Meral Tamer nannte in der Zeitung Milliyet die Worte Erdogans "beängstigend". Erdogan solle bitteschön erstens erklären, wer denn nun die türkische Nation ausrotten wolle, und zweitens: "Sie schaffen es nicht einmal, für all unsere Universitätsabsolventen Jobs zu schaffen. Wie wollen Sie dann Arbeit für all die Kinder besorgen?"

Hobbyökonom Erdogan begründete seinen Aufruf mit dem Schreckensbild einer überalternden Gesellschaft und verwies auf Europa. "Der Westen weint", sagte er den Frauen von Usak: "Tappen sie nicht in diese Falle." Tatsächlich sinkt die Geburtenrate in der Türkei stetig - aber mit 16,4 Geburten pro 1000 Einwohnern hängt das Land die Europäer allemal ab: Deutschland kommt auf 8,2 und auch die gebärfreudigeren Franzosen schaffen gerade mal 12,91.

Die meisten Kommentatoren vermuteten deshalb mehr ideologische als ökonomische Motive. Hier spreche "islamistische Gesinnung", meinte Hülya Gülbahar, die Vorsitzende von KADER, jenem Frauenverein, der hinter der Schnurrbartkampagne steckte.

Es half Erdogans Sache nicht, dass er eines seiner Lieblingszitate des Propheten wiederholt hatte: "Das Paradies liegt unter den Füßen der Mütter". Dass Erdogans Gefolgsleute ihre Töchter mittlerweile zwar auf Universitäten schicken, sie nach der Hochzeit aber am liebsten zuhause stricken und kochen sehen, ist kein Geheimnis.

Hausfrauen voller Hoffnung

Die regierungsnahe Zeitung Yeni Safak machte am Montag ein Stück über "Hausfrauen voller Hoffnung" zur Titelgeschichte - eine Geschichte über "drei intelligente, gebildete und geschäftstüchtige Schwestern". Alle drei haben ihre Arbeit aufgegeben und stattdessen ihr "Glück an erste Stelle gesetzt", das da heißt: "Hausfrau und Mutter eigener Kinder zu sein".

Die drei tragen übrigens kein Kopftuch. "Es macht mich glücklich, schwach sein zu dürfen", sagt eine der Schwestern. "Ich lasse mir kein Freiheitsmodell aufzwingen", eine andere.

Kein Problem - wenn man denn die Wahl bekäme. Die türkische Gesellschaft aber macht es ihren Frauen noch immer schwer. Zwar vermeldet das Land zu Recht stolz, dass Frauen ein Drittel aller Architekten und Rechtsanwälte stellen, dass sie jeden vierten Professorenstuhl besetzen - verschweigt aber gerne, dass diese Berufsfelder Ausnahmen sind.

Der Anteil von Frauen an der Arbeitswelt ist insgesamt rückläufig: Von 34 Prozent im Jahr 1990 auf erschreckende 24,9 Prozent 2006. Im Parlament hat sich die Zahl der Frauen mit der Wahl 2007 zwar verdoppelt (auf magere 9,1 Prozent) - von 3225 Bürgermeisterämtern in der Türkei werden aber gerade 18 von Frauen besetzt.

Erdogan und seine Schnauzer-Philosophie machen es den Frauen nicht leichter. In einem Interview mit der SZ im vergangenen Jahr hatte Erdogan seine Abneigung jeglicher Quote gegenüber kundgetan. Sie sei "eine Beleidigung der Frauen". Das Problem in der Türkei sei vielmehr: "Die Köpfe ändern sich nicht so schnell."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.261927
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 11.03.2008/gdo
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.