Süddeutsche Zeitung

Türkei:Präsident Erdoğan brüskiert den Westen

Parteiübergreifend kritisieren Politiker die Ankündigung des türkischen Staatschefs, zehn Botschafter des Landes zu verweisen. Norbert Röttgen spricht von einer "unglaublichen außenpolitischen Eskalation".

Von Roland Preuß

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan treibt die Entfremdung seines Landes vom Westen weiter voran. Am Wochenende kündigte er an, dass zehn westliche Diplomaten zur "unerwünschten Person" erklärt würden und rief damit bei Politikern in Deutschland scharfe Kritik hervor. Die angekündigte Ausweisung der Diplomaten sei eine "unglaubliche außenpolitische Eskalation", sagte der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen der Süddeutschen Zeitung. "Er führt sein Land damit weiter in die umfassende Abwendung von Europa und dem Westen." Der Grünen-Außenpolitiker Omid Nouripour sagte: "Das ist komplett indiskutabel und muss Konsequenzen haben."

Erdoğan hatte am Samstag in einer Rede gesagt: "Ich habe unserem Außenminister den Befehl gegeben. Ich sagte, kümmern Sie sich darum, diese zehn Botschafter so schnell wie möglich zur 'Persona non grata' zu erklären." Auf solch eine Einstufung als "unerwünschte Person" folgt in der internationalen Diplomatie üblicherweise die Ausweisung.

Die zehn Botschafter, unter ihnen der deutsche, der US-amerikanische, der französische, der niederländische und der kanadische, hatten sich in einer gemeinsamen Erklärung für den seit vier Jahren ohne Schuldspruch inhaftierten Kulturmäzen Osman Kavala stark gemacht und gefordert, dass er ein faires Verfahren bekomme. Kavala, 64, ist Geschäftsmann und Förderer von Bürgerrechtsbewegungen und zivilgesellschaftlichen Projekten.

Röttgen, der als möglicher Kandidat für den CDU-Vorsitz gilt, verteidigte den Schritt der Diplomaten. "Der Protest der Botschafter gegen die mehrjährige Inhaftierung einer Person ohne Gerichtsverfahren ist gerechtfertigt und geboten. Menschenrechte sind keine inneren Angelegenheiten der Staaten", sagte er. Das gelte gerade auch für Länder, die der Nato angehörten wie die Türkei. Jetzt komme es auf die uneingeschränkte Solidarität der anderen Mitgliedstaaten der EU an.

Die Türkei kämpft mit einer schweren Wirtschaftskrise

Nouripour sagte, man werde sich nicht davon abhalten lassen, für Rechtsstaatlichkeit und Demokratie einzutreten. "Wir werden auch in Zukunft einen sehr deutlichen Ton Erdoğan gegenüber anschlagen müssen", sagte der außenpolitische Sprecher der Grünen im Bundestag. Er deutete den Vorgang auch als Versuch Erdoğans, der künftigen Bundesregierung ein "Zeichen seiner angeblichen Stärke" zu geben.

Von Außenminister Heiko Maas (SPD) und seinem Ministerium gab es zunächst keine Stellungnahme. Aus dem Auswärtigen Amt hieß es lediglich, man habe die Äußerungen des türkischen Staatspräsidenten zur Kenntnis genommen und berate sich derzeit "intensiv mit den neun anderen betroffenen Ländern".

Präsident Erdoğan und seine Regierungspartei AKP standen einst für den rasanten wirtschaftlichen Aufstieg der Türkei, inzwischen aber kämpft das Land mit einer schweren Wirtschaftskrise. Erst am Freitag war die türkische Lira auf neue Rekordtiefstände gefallen, die Arbeitslosenquote liegt bei zwölf Prozent.

Der türkische Oppositionsführer Kemal Kılıçdaroğlu schrieb auf Twitter, Erdoğan wolle mit dem Schritt nicht etwa nationale Interessen vertreten, sondern von der desolaten wirtschaftlichen Situation ablenken.

Erdoğan hatte in den vergangenen Jahren immer wieder Streit mit westlichen Staaten provoziert, etwa durch die Inhaftierung von deutschen Erdoğan-Kritikern in der Türkei oder im Streit um Gasvorkommen im Mittelmeer.

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