Wenn in letzter Zeit in der Presse vom Despoten-Klub die Rede war, der die Geschicke der Weltpolitik lenkt, dann waren der US-Präsident Donald Trump und sein türkischer Kollege Recep Tayyip Erdoğan in dieser Reihe meist Nachbarn: beide zwar demokratisch gewählt, keine "waschechten" Autokraten also, aber doch mit Anleihen aus dem Hause Putin, Kim Jong-un und Xi Jinping. Und tatsächlich bemerkt man frappierende Ähnlichkeiten beim Gebaren eines Donald Trump und eines Recep Tayyip Erdoğan.
Die türkische Journalisten-Plattform 140journos ging sogar so weit, eines ihrer Erklärvideos mit Recep "Trump" Erdoğan zu übertiteln. Wo Trump "America great again" machen will, schwört Erdoğan seine Anhänger auf "eine mächtige Türkei" ein. Ähnlichkeiten gibt es auch bei ihrem Bild von einer freien Presse - nur mit dem Unterschied, dass Trump Journalisten auf Twitter angreift, Erdoğan sie hingegen gleich alle ins Gefängnis wirft.
Wo es dem türkischen Präsidenten ins Konzept passt, vergleicht er die Türkei sogar gerne mit den USA. Das von ihm durchgesetzte Präsidialsystem gebe ihm doch auch nicht mehr Macht als der US-Präsident schon innehabe.
Nun also wird dieser US-Präsident seinen türkischen Kollegen in Washington empfangen. Es ist das erste Treffen der beiden Männer und es wird kein leichtes Treffen werden. Denn bei aller Ähnlichkeit gibt es zwei Themen, die die Eintracht der beiden Alphatiere erheblich stören: die Kurden und Gülen.
Die Kurden
Die Türkei und die USA stehen beim Kampf gegen den Islamischen Staat (IS) eigentlich auf derselben Seite. Beide Länder wollen die Terrormiliz vom Antlitz des Erdbodens tilgen. Beide Länder werden durch den Terror von IS-Anhängern oder -Inspirierten bedroht, die Türkei durch die Grenznähe zu Irak und Syrien besonders stark. Der IS hatte sich die Türkei in den vergangenen Jahren als Rückzugs- und Rekrutierungsort zunutze gemacht - und Kritiker werfen der türkischen Regierung vor, dem IS dabei zu lange zugeschaut zu haben.
Trotzdem ziehen Trump und Erdoğan beim Kampf gegen den IS nicht an einem Strang. Nach einem verheerenden Anschlag in der türkischen Grenzstadt Gaziantep mit mindestens 50 Toten rückte die türkische Armee in Syrien ein.
Und damit begannen die Probleme mit den USA. Denn die Türkei marschierte nicht nur wegen des IS in Syrien ein, sondern vor allem wegen der Kurden. Die Türkei will verhindern, dass sich in Nordsyrien ein zusammenhängendes kurdisches Autonomiegebiet bildet, wie es sich in den letzten Jahren schon im Irak geformt hat. Ankara fürchtet, dass sich dies auf Autonomie- und Unabhängigkeitsbestrebungen der türkischen Kurden auswirken könnte.
Während die USA bewaffnete kurdische Akteure wie die YPG (Volksverteidigungseinheiten) als Verbündete gegen den IS betrachtet, sieht die Türkei in ihnen einen verlängerten Arm der kurdischen Terrororganisation PKK. Seit dem aufgekündigten Waffenstillstand im Jahr 2015 geht das türkische Militär wieder massiv gegen die PKK im Südosten des Landes vor. Diese wiederum verübt immer wieder Anschläge auf Soldaten und Polizisten.
Die PKK gilt auch in den USA offiziell als Terrororganisation, die YPG hingegen nicht. Schon unter Ex-Präsident Barack Obama und erst recht unter dem wenig sensiblen Trump wurde dies zum Problem. Am effizientesten sind in diesem Kampf bisher die kurdischen Einheiten, deshalb wollen die USA sie weiterhin unterstützen und verkündeten erst kürzlich, dass man der YPG schweres Kriegsgerät liefern werde.
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Zum Ärger der türkischen Regierung. "Jede Waffe, die ihnen in die Hände fällt, ist eine Bedrohung für die Türkei", sagte der türkische Premier Binali Yildirim. Zwischen der YPG und der PKK gebe es "überhaupt keinen Unterschied", sagte er. "Sie heißen nur anders". Präsident Erdoğan bezeichnete den Schritt der Amerikaner als "Fehler".
Die Kritik der Türkei fällt zwar deutlich aus, doch vergleicht man diese Äußerungen mit denen, die Erdoğan und seine Minister in letzter Zeit in Richtung Europa abfeuern, dann ist der Tonfall fast schon diplomatisch. So gerne sich die türkische Regierung als gefeit vor allen äußeren Einflüssen gibt, so ist sie doch auch auf die Partnerschaft mit den USA angewiesen. Deren hochmoderne Armee bietet der Türkei letztlich auch Schutz in einer von Kriegen und Terrorgruppen gebeutelten Region.
Erdoğan hatte angekündigt, dass er bei seinem Besuch den US-Präsidenten davon abbringen wolle, die Kurden zu unterstützen. Es gibt bislang allerdings keine Anzeichen dafür, dass Trump sich von seinem derzeitigen Syrien-Kurs abbringen ließe - zumal der Sieg über den IS eines der zentralen Wahlkampfversprechen Trumps war. Den Partner Türkei nicht zu verärgern, ist für Trump hingegen nachrangig.
Dabei sollte er vielleicht im Hinterkopf behalten, dass die von den USA angeführte internationale Anti-IS-Koalition ihre Angriffe von der türkischen Luftwaffenbasis Incirlik aus koordiniert. Allerdings hat die Türkei Drohungen, Incirlik für die Koalition nicht mehr zur Verfügung zu stellen, bislang nicht wahr gemacht.
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Gülen
Der zweite Streitpunkt ist der islamische Prediger Fethullah Gülen. Gülen lebt seit 1999 im US-Bundesstaat Pennsylvania im Exil. Schon vor dem Putschversuch forderte die Türkei immer wieder seine Auslieferung. Danach stellte sie auch ein offizielles Gesuch. Die türkische Regierung macht ihn und seine Bewegung für den Umsturzversuch verantwortlich, erst vor wenigen Tagen verlangte Erdoğan erneut die Überstellung Gülens.
Joe Biden, der zur Zeit des Putschversuches Vize-Präsident war, hatte der Türkei Hilfe bei den formalen Vorarbeiten zu einer möglichen Auslieferung zugesichert. Gleichzeitig machte er aber auch klar, dass nur ein Gericht darüber entscheiden könne. An dieser Haltung hat sich auch mit dem Regierungswechsel in Washington nichts geändert.
Einen kurzen Hoffnungsschimmer für die Türkei gab es in der Person des Trump-Beraters Michael Flynn. Der hatte sich für eine Auslieferung Gülens eingesetzt. Doch dann wurde bekannt, dass Flynn während des Präsidentschaftswahlkampfes Kontakt zum russischen Botschafter und dies verheimlicht hatte. Flynn musste gehen. Und mit ihm verlor die Türkei auch einen Vertreter türkischer Interessen beim US-Präsidenten. Denn inzwischen kam heraus, dass Flynn im vergangenen Jahr als Lobbyist für einen türkischen Geschäftsmann mit Verbindungen zu Erdoğan arbeitete.
Erdoğan reist mit vielen Forderungen in die USA. Abgesehen von der günstigen geostrategischen Lage des Landes hat er aber wenige Trümpfe in der Hand, die er gegen Trump ausspielen könnte. Das Treffen der zwei Alphatiere wird zeigen, wer in der Rangordnung höher steht.