Diplomatie:Türkei sieht sich als Sieger

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Beobachter vermuteten, dass der innenpolitisch angeschlagene Erdoğan mit seiner harten Reaktion auch die eigene Position im Land stärken wollte. (Foto: dpa)

Ankara interpretiert eine Erklärung von zehn Partnerländern als Zurückrudern im Streit um die Ausweisung der Botschafter. Dabei bekräftigt der Westen nur diplomatische Gepflogenheiten.

Von Tomas Avenarius, Istanbul

Die diplomatische Krise zwischen der Türkei und ihren Partnerstaaten entspannt sich. Nachdem der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan erklärt hatte, er betrachte den amerikanischen, den deutschen und acht andere Botschafter wegen Einmischung in innere Angelegenheiten seines Landes als "unerwünschte Personen", twitterte die US-Botschaft in Ankara am Montag eine Erklärung. Diese wird von türkischer Seite als diplomatisch verklausulierte Entschuldigung für das Vorgehen des US-Botschafters dargestellt.

In dem US-Tweet, dem sich alle anderen neun Staaten anschlossen, heißt es: "Was Fragen zur Erklärung vom 18. Oktober angeht, verweisen die USA auf das Festhalten an Artikel 41 des Wiener Übereinkommens." Obwohl dies eigentlich als Beharren auf der Fehlerlosigkeit des Verhaltens der zehn Botschafter verstanden werden könnte, wertete die staatliche türkische Nachrichtenagentur Anadolu es als klares Schuldzugeständnis. Anadolu twitterte: "Die US-Botschaft in Ankara hat nachgegeben."

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Das Wiener Abkommen regelt Rechte und Pflichten von Diplomaten; sie dürfen sich nicht in die inneren Angelegenheiten des Gastlandes einmischen. Sollte die türkische Deutung sich im Land durchsetzen, wäre dies ein klarer Erfolg für den angeschlagenen Staatschef. Erdoğan könnte behaupten, die USA - und damit die anderen neun Staaten - hätten sich de facto entschuldigt, auch wenn dies dem Inhalt des Tweets so nicht entspricht.

Der Präsident selbst sagte im Fernsehen, die zehn Staaten hätten nach ihrem Fehlverhalten eine "Kehrtwende" gemacht. Ihm sei es darum gegangen, die "Ehre und Souveränität unseres Landes zu schützen".

Dem diplomatischen Eklat vorausgegangen war eine eher ungewöhnliche Aktion der zehn Botschafter. Sie hatten vor einer Woche in einer gemeinsamen Erklärung ein faires Gerichtsverfahren und die "dringliche Freilassung" des Kulturförderers Osman Kavala gefordert. Der 64-Jährige sitzt seit vier Jahren ohne Urteil in Haft, obwohl der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte schon 2019 seine Freilassung angeordnet hatte. Die Türkei hatte sich jede Einmischung verbeten. Erdoğan hatte sich äußerst scharf geäußert: "Steht es euch zu, der Türkei eine Lektion zu erteilen? Wer seid ihr?" Deutschland oder die USA ließen "Ganoven, Mörder und Terroristen" auch nicht frei.

Beobachter vermuteten, dass der beim Wähler an Rückhalt verlierende Erdoğan mit seinem harten Auftreten seine Position im Land stärken will. Er steht wegen der schlechten Wirtschaftslage unter Druck. Nun kann er den Ausgang des Diplomaten-Streit als Beweis seiner Durchsetzungskraft darstellen.

Hätte die Krise sich nicht entschärfen lassen, hätte den Botschaftern die Ausweisung gedroht. Wenn Diplomaten als "unerwünschte Personen" klassifiziert werden, zieht dies die Ausweisung oder den Abzug durch die eigene Regierung nach sich. Dies würde die Beziehungen des Nato-Staats Türkei zur EU sowie zu den USA extrem belasten. Beim anstehenden G-20-Gipfel in Rom hofft Erdoğan auf ein bilaterales Treffen mit US-Präsident Joe Biden. Der schneidet ihn bisher.

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