Erdoğan-Schmähung:SPD will Schah-Paragrafen streichen

Jan Böhmermann

Jan Böhmermann - wie weit darf Satire in Deutschland gehen?

(Foto: dpa)
  • Der SPD-Fraktionsvorsitzende Oppermann sagt: Diese "antiquierte Vorschrift" solle gestrichen werden.
  • Kanzlerin Merkel betont, die Meinungsfreiheit gelte in Deutschland - unabhängig von der Flüchtlingsfrage.
  • Im "Fall Böhmermann" habe sich die Kanzlerin schlecht verhalten, kritisiert "heute-show"-Moderator Oliver Welke.

Die SPD will in der Böhmermann-Affäre das Strafrecht ändern und so der Bundesregierung aus der Bredouille mit der Türkei helfen. SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann sagte in Berlin, die SPD sei bereit, Paragraf 103 im Strafgesetzbuch, der die Beleidigung ausländischer Staatsoberhäupter regelt, abzuschaffen. Darüber könne der Bundestag bereits in der nächsten Sitzungswoche Ende des Monats entscheiden.

Diese "antiquierte Vorschrift" sollte gestrichen werden, forderte Oppermann. Damit würde auch der Bundesregierung in der Folge die unzumutbare Entscheidung erspart, die Staatsanwaltschaft zur Strafverfolgung des Satirikers Jan Böhmermann zu ermächtigen oder nicht. Die Türkei verlangt, dass Böhmermann wegen eines "Schmähgedichts" über Staatschef Recep Tayyip Erdoğan belangt wird.

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hob angesichts der Affäre die Meinungs- und Kunstfreiheit in Deutschland hervor. "Diese Grundwerte gelten unbeschadet aller politischen Probleme, die wir miteinander besprechen", sagte Merkel mit Blick auf den mit der Türkei geschlossenen Flüchtlingspakt. Es gebe ein Interesse der EU und Deutschlands, in der Flüchtlingsfrage mit der Türkei zu einer politischen Lösung und einer Teilung der Lasten zu kommen. Dies alles sei aber "völlig unabhängig" davon, dass die Grundrechte zur Freiheit der Presse und der Meinung in Deutschland gelten, sagte die Kanzlerin.

"heute-show"-Moderator kritisiert Merkel

Zuvor hatte "heute-show"-Moderator Oliver Welke Merkel angegriffen. Zu einem "Fall Böhmermann" sei die Sache erst geworden, als die Kanzlerin sich dazu habe zitieren lassen, sagte Welke der Bild-Zeitung: "Ein großer Fehler, der ihr hoffentlich leidtut."

Merkel hatte über ihren Regierungssprecher Steffen Seibert mitteilen lassen, dass sie Böhmermanns Schmähgedicht "bewusst verletzend" finde. Böhmermann hatte beleidigende Formulierungen benutzt, um - wie er selbst erläuterte - die Unterschiede zwischen in Deutschland erlaubter Satire und verbotener Schmähkritik deutlich zu machen.

"In dem Fall hat sich ausschließlich die Kanzlerin schlecht verhalten", betonte Welke. "Man kann nicht zuerst nichts sagen zum Einbestellen des deutschen Botschafters in Ankara nach dem Fall 'extra 3'. Und sich dann quasi als oberste deutsche Fernsehkritikerin zu Böhmermann äußern - das geht gar nicht!" Erdoğans scharfer Protest gegen einen Satire-Beitrag des NDR-Fernsehmagazins "extra 3" war der Anlass für Böhmermanns Aktion.

Tübingens Oberbürgermeister macht sich über Erdoğan lustig

Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer (Grüne) hat sich satirisch zu Wort gemeldet. In einem offensichtlich nicht ernst gemeinten Beitrag auf seiner Facebook-Seite richtete sich Palmer direkt an den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan. Dabei verwendet er am Ende des Textes auch vulgäre Begriffe.

Palmer schreibt: "Als Bürger der Bundesrepublik Deutschland möchte ich mich bei Ihnen für die "schweren Verbrechen gegen die Menschlichkeit entschuldigen, die Herr Böhmermann ihnen gegenüber verübt hat." Außerdem fordert er eine knallharte Bestrafung: Neben der Entmannung Böhmermanns bringt Palmer auch noch ein Auslieferungsersuchen ins Spiel.

Hofreiter wirft Merkel Duckmäusertum vor

Die Grünen äußerten in der Causa deutliche Kritik an Kanzlerin Merkel. Fraktionschef Anton Hofreiter warf Merkel vor, sich im Umgang mit der Türkei "duckmäuserisch zu verhalten", auch in Bezug auf Fragen der Menschenrechte. Auch er warf der Kanzlerin vor, durch ihr Verhalten den Fall politisiert zu haben.

Grünen-Chef Cem Özdemir forderte die Bundesregierung zu einer Demonstration der Meinungsfreiheit auf. Die Bundesregierung habe sich im Fall Böhmermann "in eine peinliche Lage manövriert", sagte der Politiker der Rheinischen Post.

Varoufakis: Verlust an Seele und Humor

Auch der frühere griechische Finanzminister Yanis Varoufakis springt Böhmermann zur Seite. Zuerst habe Europa mit dem Flüchtlingsabkommen mit der Türkei seine Seele verloren, nun verliere es seinen Humor, schreibt er in einem Tweet. Und fordert: "Hände weg von Jan Böhmermann!"

Varoufakis hatte sich vor etwa einem Jahr auch von einer Aktion Böhmermanns begeistert gezeigt, in die er selbst involviert war. Der Satiriker hatte in seiner Sendung "Neo Magazin Royale" vorgegeben, einen Stinkefinger Varoufakis' in einem Video gefälscht zu haben - und damit die Debatte um die Geste weiter befeuert, die sich angeblich gegen Deutschland richten sollte. Für #Varoufake erhielt Böhmermann den Grimme-Preis.

Online-Unterstützung für Böhmermann

Unterstützung erfährt ZDF-Moderator Böhmermann auch in einer Online-Petition auf der Kampagnenplattform Change.org. Die Bloggerin Christine Doering hatte sie am Sonntagabend gestartet. "Die verletzten Gefühle eines Herrn Erdoğan dürfen keinen Einfluss auf die Pressefreiheit in Deutschland haben", schreibt sie. Am Dienstagvormittag unterstützten bereits mehr als 100 000 Menschen die Kampagne "Freiheit für Böhmermann".

Erdoğan stellt Strafantrag gegen Böhmermann

Die Staatsanwaltschaft Mainz hatte am Montagabend mitgeteilt, dass der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdoğan inzwischen auch selbst einen Strafantrag wegen Beleidigung gegen den Satiriker gestellt habe. Gegenstand des durch eine Anwaltskanzlei gestellten Antrags sei das "Schmähgedicht" gegen Erdoğan in der Sendung "ZDF Neo Royal" vom 31. März. Der Strafantrag werde in dem bereits anhängigen Verfahren geprüft, hieß es weiter.

Bislang war bekannt, dass die Türkei die Bundesregierung offiziell aufgefordert hat, sich für eine Strafverfolgung Böhmermanns einzusetzen. Die Bundesregierung prüft nun den förmlichen Wunsch der Türkei nach Strafverfolgung Böhmermanns. Dies werde ein paar Tage, aber nicht Wochen dauern, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag.

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