Türkischer Präsident in Berlin:Drahtseilakt mit dem Autokraten

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Nichts an Erdoğans Besuch ist einfach: Nicht der Gast, nicht die Stimmung in Deutschland. Und dann wird mitten in der Pressekonferenz auch noch ein Journalist abgeführt, weil er vermeintlich provoziert hat.

Von Stefan Braun, Berlin

Am Ende kommt im Kanzleramt der obligatorische Handschlag, der vor den Fahnen. Das Bild gibt es zum Abschied immer. Er gehört zum guten Ton. Aber selten sagt dieser Moment viel darüber aus, wie es vorher mit der Kanzlerin und ihrem Besucher gewesen ist. Anders an diesem Freitag. Als Angela Merkel und Recep Tayyip Erdoğan sich die Hand reichen, kann man sehr genau erkennen, wer da in welcher Stimmung zum anderen Adieu sagt.

Der türkische Präsident lächelt breit und sehr entschieden, als er die Hand der Kanzlerin annimmt. Angela Merkel dagegen gefriert das, was man selbst bei bestem Willen nicht mehr als Lächeln bezeichnen könnte. Erdoğan kann eigentlich zufrieden sein, jedenfalls fürs Erste. Für Merkel dagegen ist die Sache nicht gut und nicht schlecht gelaufen, sondern äußerst kompliziert geblieben.

Das hat nicht nur, aber auch damit zu tun, dass im Kanzleramt und vor den Augen des türkischen Präsidenten ausgerechnet das passiert, was man sonst stets vor allem in der Erdoğan-Türkei vermutet. Mitten in der Pressekonferenz wird ein Journalist abgeführt, weil er vermeintlich provoziert und gestört hat.

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Der Besuch des türkischen Präsidenten beginnt in unterkühlter Atmosphäre. Beim Bankett fällt Erdoğan kurz aus seiner diplomatischen Rolle.

Tatsächlich hat sich der Fotograf eines türkischsprachigen Online-Mediums aus Hamburg mitten im Auftritt ein T-Shirt übergezogen. Auf diesem steht mit großen Buchstaben "Freiheit für Journalisten", und zwar auf Türkisch. Laut ist er nicht; gerufen hat er nichts. Aber weil die vielen Fotografen plötzlich alle den eigenen Kollegen fotografieren, fühlen sich erst Erdoğans Sicherheitskräfte und dann deren deutsche Kollegen so verunsichert, dass sie ihn raus führen. Ein bisschen rumpelig-ruppig sieht das aus. Und prompt ist das Thema Pressefreiheit nicht mehr nur eine Sache von Frage und Antwort, sondern wird mit aktuellen Bildern unterfüttert.

Merkel wirkt zugewandt - aber dann kommt sie auf die Probleme zu sprechen

Davor und danach geht es hin und her zwischen der Hoffnung auf bessere Zeiten - und klaren Sätzen, die zeigen, wie groß die Differenzen bleiben. Merkel begrüßt ihren Gast mit der Botschaft, es gebe zwischen Deutschland und der Türkei vieles, "was uns eint". Dazu gehöre die Mitgliedschaft in der Nato, der gemeinsame Kampf gegen den Terror und die Kooperation in der Flüchtlingskrise.

Außerdem, auch das will Merkel auf keinen Fall vergessen, gäbe es in Deutschland mittlerweile gut drei Millionen Menschen mit türkischen Wurzeln. Mit Blick auf diese habe sie dem Präsidenten versichert, "dass wir uns um sie kümmern und dass wir hinter ihnen stehen, wenn Angriffe auf Moscheen geschehen". Und weil es in diesem Deutschland noch Schlimmeres gab, fügt sie hinzu: Auch sie wisse, dass die Wunden des NSU-Terrors noch lange nicht verheilt seien.

Zugewandt klingt das alles und könnte wie eine Brücke in eine bessere Zukunft wirken - wäre da nicht noch der logische zweite Teil der Begegnung. Der, in dem Merkel über die großen Probleme redet. Die Probleme, die in Deutschland seit langem zu großem Ärger, Zorn, Entsetzen und ganz aktuell zu harscher Kritik am großen Empfang für Erdoğan geführt haben.

Von "tiefgreifenden Differenzen" spricht Merkel. Differenzen, "die es gab und die es noch immer gibt". Gemeint sind die inhaftierten deutschen Journalisten, gemeint ist die Beschneidung von Meinungs- und Pressefreiheit in der Türkei, gemeint ist Erdoğans harscher Umgang mit demokratischen Werten. Auch wenn sie jetzt keine Details preisgeben werde, so könne sie doch allen versichern, dass man über alle Fälle von inhaftierten Journalisten sehr konkret gesprochen habe. Wichtig sei bei all dem: "Wer nicht miteinander spricht, wird auch keine gemeinsamen Lösungen finden."

Es ist nur ein Satz, er wirkt wie ein vermeintlich kleines Schlusswort. Dabei ist es die Überschrift und Begründung dafür, dass Erdoğan überhaupt hierher eingeladen wurde.

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Der türkische Präsident verfolgt Merkels Worte ohne eine einzige Regung. Keine Falte verändert sich im ernsten Gesicht; keine Wimper zuckt. Nur eines macht der Gast aus Ankara: Er studiert jeden einzelnen Journalisten in der Pressekonferenz, als wolle er dessen Gesicht scannen und auf der persönlichen Festplatte abspeichern.

Und als Erdoğan schließlich selbst an der Reihe ist, kommt kein Argument, das man nicht schon kennen würde. Er spricht viel vom Sinn einer engen Kooperation, er plädiert für einen engeren Austausch; er lobt es, dass Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier bald mit "einer sehr großen Delegation" in die Türkei kommen werde.

Daneben erzählt er noch einmal, wie schlimm der Putsch war und wie gefährlich die Gülen-Bewegung. Deshalb hoffe er darauf, dass die Bundesregierung diese Bewegung bald genauso als Terrororganisation einstufen werde wie die kurdische PKK. Und als er in der kleinen Fragerunde der Pressekonferenz auf die inhaftierten Journalisten und Wissenschaftler angesprochen wird, antwortet er mit dem Verweis auf die Unabhängigkeit der türkischen Staatsanwälte und Richter. Er müsse in Deutschland auch manches Urteil ertragen, das ihm nicht gefalle. "Deshalb hat auch niemand das Recht, die türkische Justiz zu kritisieren."

Erdoğan bestätigt auch das türkische Auslieferungsersuchen gegen den Journalisten Can Dündar, über das NDR, WDR und Süddeutsche Zeitung berichtet hatten. Dündar ist einer der bekanntesten Journalisten der Türkei und lebt seit Sommer 2016 in Deutschland im Exil.

Erdoğan ist in Nöten

Es ist wie es immer ist. Erdoğan transportiert nur eine Botschaft: dass man die türkische Demokratie doch nicht anders beurteilen dürfe als die deutsche. Daran kann auch Merkel nichts ändern, die an dieser Stelle dann doch noch einmal eingreift. Und zwar mit der Botschaft, dass es in bestimmten Fragen eben schon "ganz eindeutige Differenzen" gebe.

Es bleibt ein mühsamer Versuch, klare Worte zu finden, ohne das kleine offene Fenster gleich wieder zu versperren, das die Bundesregierung im Verhältnis zu Ankara aktuell ausgemacht hat. Erdoğan ist in Nöten. Und das soll genutzt werden, um ihn auf einen Pfad der Tugend zu führen. Oder etwas weniger pathetisch ausgedrückt: Es soll aus der Sicht der deutschen Regierung helfen, ihn Schritt für Schritt ein wenig vernünftiger werden zu lassen.

Dabei ist klar, dass der Mann es sich zur größten Marke gemacht hat, laut und selbstbewusst und wie ein großer Weltenlenker aufzutreten. Dass ihm diese Welt zu entgleiten droht, indem die Wirtschaft in der Türkei rasant abgestürzt ist, will er nicht offen eingestehen. Erdoğan ist keiner, der um Hilfe ruft; es würde sein Bild von sich selbst untergraben.

Das genau macht es für Berlin so kompliziert und so anstrengend. Dort, wo auch Merkel und Steinmeier innerlich voller Zorn sind, müssen sie sich doch mit dem brutalen Autokraten aufs Drahtseil begeben. Immer in der Gefahr, dass mehr Medien als nur die Bild-Zeitung das als Kotau geißeln; immer in der Sorge, dass Erdoğan (und noch mehr seine fanatischen Anhänger) freundliche Gesten absichtlich missverstehen könnte.

Wie mühsam das ist und welche Botschaften es zwingend nötig macht, kann man schon morgens beim Empfang durch den Bundespräsidenten studieren. Selten hat Frank-Walter Steinmeier so sehr an seinen früheren Chef Gerhard Schröder erinnert. Den zornigen Schröder, der sein Kinn derart verärgert nach vorne schieben konnte, dass man eine baldige Explosion fürchten musste.

Dieser äußere Eindruck passt gut zu der Tatsache, dass Steinmeier unmittelbar vor dem Besuch erklärt, von einer Normalisierung könne noch lange keine Rede sein. Allenfalls ein kleiner neuer Anfang - das sei das Beste, was man erwarten könne. Denn, und das will Steinmeier vorneweg unbedingt loswerden: "Wir können und werden den Druck auf Medien, Justiz und Gewerkschaften nicht akzeptieren."

Dazu passt bildmalerisch, wie Steinmeier dem türkischen Präsidenten kurz nach der Begrüßung kühl bis kalt den Weg weist, damit der beim militärischen Empfang keine falsche Richtung einschlägt. Die Botschaft ist klar: Wir empfangen ihn, wie es sich gehört. Aber ein Bild, auf dem wir lächeln, wird es nicht geben.

"Er muss mich aushalten", sagt Özdemir

Das dürfte sich auch Cem Özdemir von den Grünen vorgenommen haben. Seit Tagen ist klar, dass er anders als viele seiner Kollegen am abendlichen Staatsbankett teilnehmen wird. Die Liste der Absagen ist lang, von FDP-Chef Christian Lindner über die Linkspartei bis hin zur aktuellen Parteiführung der Grünen.

Özdemir dagegen hat sich für eine andere Haltung entschieden. Seine Sicht auf die Dinge sei es, Erdoğan gerade bei einer solchen Gelegenheit zu zeigen, dass er seinen Kritikern nicht aus dem Weg gehen könne. "Er muss mich aushalten", sagt Özdemir. Und meint das stolz und mit einem starken demokratischen Selbstverständnis.

Angela Merkel übrigens wird diese Szene nicht beobachten können. Und man kann schon verstehen, wie wenig Lust sie darauf gehabt haben dürfte, dem komplizierten Gast nach dem Mittagessen am Freitag und dem geplanten Frühstück am Samstagmorgen auch noch unter den Kronleuchtern des Schloss Bellevue zu begegnen.

Allerdings muss man dabei wissen, dass die Kanzlerin überhaupt nur sehr selten dort auftaucht. Das letzte Mal hatte sie sich für die Queen darauf eingelassen. Und viel spricht dafür, dass das damals interessant war und ihr sogar Spaß gemacht hat. An diesem Abend mit Erdoğan, so viel lässt sich sagen, werden die Chancen auf ein Vergnügen eher gegen Null tendieren.

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