Erdbeben in Nepal:Imagepflege zwischen Trümmern

Nepal earthquake

Chinesische Hilfskräfte kauern in Kathmandu über einem Einsatzplan.

(Foto: dpa)
  • Nach dem schweren Erdbeben in Nepal helfen den Menschen Rettungstrupps aus vielen verschiedenen Ländern.
  • China und Indien schickten als Erste Rettungsteams in das Nachbarland, Indien gilt als führende Kraft im Noteinsatz.
  • Auch die dritte Atommacht der Region, Pakistan, hat Hilfskräfte geschickt.
  • Nepal ist einflusspolitisch interessant für die Nachbarstaaten, weil es über große Wasserreserven verfügt.
  • 2014 überholte China erstmal Indien als größter Investor in Nepal.

Von Kai Strittmatter, Peking, und Arne Perras, Singapur

Strategische Höhen, sie waren schon immer wichtig. Wer ganz oben sitzt, hat nicht nur einen besseren Überblick. Er besitzt auch Kontrolle über das, was sich weiter unten abspielt. Das Dach der Welt ist eine strategische Höhe von ganz besonderer Bedeutung. Dort oben in den Bergen des Himalaja wetteifern gleich drei asiatische Atommächte um Macht und Einfluss: China, Indien und Pakistan.

Mittendrin in der strategisch so bedeutsamen Zone, eingequetscht zwischen den Riesen Indien und China, liegt das kleine Land Nepal. Vor einer Woche erschütterte ein Beben der Stärke 7,8 die Region, Nepal liegt in Trümmern. Nun brauchen Millionen Menschen dort Hilfe. Aus nah und fern strömen die Rettungstrupps ins Katastrophengebiet. Und ganz vorneweg strecken die Inder und Chinesen ihre rettenden Arme aus.

Es dauerte keine sechs Stunden, bis Peking das erste Notfallteam zusammengestellt hatte, das schon am folgenden Tag im kleinen Nachbarland landete. Im Staatsfernsehen konnten die Chinesen ausführlich ihre Spürhunde und auch die Soldaten der Volksbefreiungsarmee bewundern, die in den Trümmern nach Überlebenden suchten. Vier chinesische Armeeflugzeuge voller Hilfsmaterial, Zelte, Generatoren, Decken, eine Soforthilfe in Höhe von 3,4 Millionen US-Dollar, und das Versprechen, beim Wiederaufbau vorne dabei zu sein. "Die zweitstärkste Volkswirtschaft der Welt", meldet die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua stolz, "zeigt sich als fähige und verantwortliche Macht".

An aerial view of houses damaged by Saturday's earthquake is seen in Nuwakot

Erst langsam wird das Ausmaß der Katastrophe klar: Zerstörte Häuser an den Hängen des Dorfes Nuwakot.

(Foto: Danish Siddiqui/Reuters)

China verspricht sich langfristig mehr Einfluss im Himalaja - vor allem sicherheitspolitisch

Die Inder sind stolz darauf, dass sie noch etwas schneller waren: Schon am Samstag und als erster Nachbar flogen sie mit vier Militärmaschinen im Katastrophengebiet ein und brachten nur wenige Stunden nach dem Beben die ersten 300 Rettungskräfte mit. Bis Sonntag entluden sie 187 Tonnen Hilfsgüter. Es folgten viele weitere Lieferungen mit Zelten, Nahrung und Medizin. Helikopter der indischen Luftwaffe fliegen in entlegene Täler, um Verletzte zu bergen und Hilfe zu leisten. Über Land und mit Lastwagen haben sich Tausende Freiwillige Richtung Nepal aufgemacht.

Indien galt von Anfang an als führende Kraft in diesem Noteinsatz, was nicht verwunderlich erscheint, angesichts der traditionellen Nähe Nepals zum großen Nachbarn im Süden. Premier Narendra Modi griff die Rolle des Paten in einer Radioansprache auf, als er mit einigem Pathos erklärte: "Indien wird alles tun, um die Tränen eines jeden Nepalesen zu trocknen, ihnen die Hand zu halten, bei ihnen zu sein." Wenn China, wie Xinhua schreibt, nun "eine größere Rolle" spielt als bei vergleichbaren Naturkatastrophen der Vergangenheit, wenn es von einer "gemeinsamen, geteilten Tragödie" spricht (auf chinesischer Seite der Grenze sind Hunderte von Tibetern ums Leben gekommen), dann spiegelt sich darin auch das, was Beobachter "Katastrophendiplomatie" nennen. Das einst zurückhaltende China ist in den vergangenen zehn Jahren außenpolitisch stärker in der Region aktiv.

Pakistan will den Großen nicht das Feld überlassen

Das Interesse an dem lange ignorierten kleinen Nachbarn erwachte mit der wachsenden Wirtschaftsmacht und auch geopolitischen Interessen. Die Politiker in Peking wissen, dass schnelle Hilfe in Nepal und das Versprechen größeren Engagements in der Zukunft kurzfristig dem Image ihres Landes dienen und ihm mittelfristig sicherheitspolitisch nützen können. Analysten beobachten nun also einen zunehmenden Wettlauf um Einfluss in Nepal, mit im Rennen sind dabei nicht nur Indien und China, sondern auch die dritte Atommacht der Region, Pakistan.

Den Riesen das Feld als Wohltäter zu überlassen, das kommt für die Regierung in Islamabad nicht infrage. Es ist eine Frage des Stolzes. Und wo Indien Flagge zeigt, da will Pakistan ohnehin nicht fehlen. Zugleich sind vor allem chinesische Diplomaten bemüht, die Konkurrenz der Mächte herunterzuspielen. Im Gespräch mit der indischen Zeitung Hindustan Times bezeichnete der chinesische Botschafter in Nepal alle drei Länder - Indien, China und Pakistan - als Brüder. "Es gibt keinen Platz für Differenzen." Der Diplomat versuchte damit auch Gerüchte zu zerstreuen, nach denen China angeblich Nepal gebeten habe, indische Rettungsteams aus Gebieten nahe ihrer Grenze fernzuhalten. Solche Meldungen sorgten in Delhi für Unruhe, der Argwohn gegenüber China ist groß, der Streit um den Verlauf bestimmter Grenzabschnitte im Himalaja ist noch immer nicht beigelegt. 1962 führten die beiden Länder deswegen Krieg, er ist noch nicht vergessen.

Nepal wiederum, das zwischen den beiden Riesen liegt, mag klein erscheinen. Aber es verfügt über große Wasserreserven und nährt viele Flüsse der Region. Sowohl Peking als auch Delhi treiben Pläne voran, den Gebirgsstaat Nepal durch neue Eisenbahnverbindungen und Straßen besser anzubinden und somit den Handel auszubauen. Das eröffnet dem kleinen Land viele Chancen, aber auch einige Risiken. Denn es kann auch schnell in die Rivalitäten zwischen Indien und China hineingezogen werden.

China baut Straßen, Nudelfabriken in Nepal - und bald auch Dämme

In den Beziehungen Pekings zu Nepal spielt zunehmend eine Rolle, dass die chinesische Mittelschicht im vergangenen Jahrzehnt das Reisen entdeckt hat. Als die Erde in Nepal bebte, waren dort 4000 chinesische Touristen unterwegs. Außerdem ist in Peking das Jahr 2008 nicht vergessen: Damals erschütterten große anti-chinesische Proteste der 20 000 in Nepal lebenden Tibeter das Land. Die Führung in Peking möchte gerne mehr Einfluss auf die Regierung in Kathmandu gewinnen, um mit deren Hilfe die Aktivitäten der Exiltibeter in Zaum zu halten.

Aus chinesischer Sicht ist das Engagement in Nepal bislang ein voller Erfolg. 2014 überholte China erstmals Indien als größter Investor im Land. Pekings Ingenieure bauen nicht nur Straßen und Nudelfabriken, sie planen große Dämme für die bislang weitgehend unerschlossenen Flusstäler Nepals, im April erst bekam Chinas "Drei-Schluchten"-Konzern den Auftrag für ein Projekt mit einem Gesamtvolumen von 1,6 Milliarden US-Dollar. Nepals Elite liebt chinesische Konsumgüter wie Handys und Kühlschränke. Dennoch ist Pekings Engagement nicht riesig. "Wenn man bedenkt, dass Nepal an einer von Chinas heikelsten Grenzen liegt", schrieb der nepalesische Politikwissenschaftler Ashok Gurung im Portal Chinafile, "überrascht es mich, dass Chinas Engagement dort eigentlich ziemlich klein ist verglichen mit Ländern ähnlicher Größe in Afrika."

Das kann sich nun ändern, da ein Wiederaufbau gewaltigen Ausmaßes ansteht: Mit seinem Heer von Ingenieuren und Bauarbeitern und fast unermesslichen Devisenreserven startet China von der besten Position aus.

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