Erdbeben:Syrien öffnet Grenzübergänge für Hilfskonvois

Lastwagen mit Hilfsgütern der Vereinten Nationen für Erdbebenopfer warten am türkisch-syrischen Grenzübergang  Bab al-Hawa auf die Weiterfahrt.

Lastwagen mit Hilfsgütern der Vereinten Nationen für Erdbebenopfer warten am türkisch-syrischen Grenzübergang Bab al-Hawa auf die Weiterfahrt.

(Foto: Ghaith Alsayed/AP)

UN-Transporte können die Erdbebenopfer im Nordwesten Syriens nun über zwei weitere Grenzübergänge zur Türkei erreichen. Bislang hatte Machthaber Assad dies verhindert, da das Gebiet von Rebellen kontrolliert wird.

Von Christian Zaschke, New York

Am sehr späten Montag geschah das Erstaunliche: Syriens Machthaber Baschar al-Assad lenkte ein. Tagelang hatten Vertreter der Vereinten Nationen (UN), darunter UN-Generalsekretär António Guterres, darum gebeten, doch bitte weitere Übergänge an der Grenze zwischen der Türkei und dem Nordwesten Syriens zu öffnen, so dass mehr Hilfskonvois auf dieser Route ins Land fahren können.

Das Problem: Der Nordwesten Syriens ist nicht nur stark von den jüngsten Erdbeben betroffen, er ist auch im syrischen Bürgerkrieg umkämpft und wird größtenteils von Rebellen kontrolliert. Dennoch willigte Assad nun ein. Für UN-Transporte wird es jetzt leichter, Hilfsbedürftige dort von der Türkei aus zu erreichen. UN-Generalsekretär Guterres begrüßte den Schritt ebenso umgehend wie offiziell.

Seit 2014 unterstützen die UN die Menschen im Nordwesten Syriens wegen des Bürgerkriegs über die Route aus der Türkei. Für die Transporte stand bisher lediglich der Grenzübergang Bab al-Hawa zu Verfügung. Dass die Transporte sämtlich über diesen einen Übergang liefen, lag daran, dass es China und Russland im UN-Sicherheitsrat ablehnten, eine Resolution zu verabschieden, die die Nutzung weiterer Übergänge erlaubte.

Assads Regierung sah in Lieferungen aus der Türkei bisher eine Verletzung der Landesgrenze

Assads Regierung teilte nun mit, dass Hilfsgüter ab sofort über zwei weitere Übergänge an der Grenze zur Türkei ins Land kommen können: Bab al-Salameh (Bab al-Salam) und Al-Rai (Al Raée). Diese Regelung gelte zunächst für drei Monate. Bassam al-Sabbagh, syrischer Botschafter bei den Vereinten Nationen in New York, sagte, dass alle Regionen Syriens Hilfe bräuchten, darunter auch jene im Nordwesten, die sich unter der Kontrolle von "Terrorgruppen" befänden.

Erst Anfang Januar dieses Jahres hatten sich die 15 Mitglieder des Sicherheitsrats darauf geeinigt, die Nutzung des bisher einzigen Übergangs in Bab al-Hawa für ein weiteres halbes Jahr bis zum kommenden Sommer zu erlauben. Die vorherige Resolution war ausgelaufen. Die jeweiligen Resolutionen gelten nicht länger, weil Russland auf einer streng befristeten Gültigkeit beharrt.

Die Hilfslieferungen aus der Türkei direkt ins Rebellengebiet seien nur "vorübergehend", heißt es von russischer Seite. Mittelfristig sollen sie laut Moskau von Lieferungen abgelöst werden, die aus dem Gebiet kommen, das von syrischen Regierungstruppen kontrolliert wird.

Bewohner der Stadt Harem in der Provinz Idlib suchen Zuflucht in einem Zeltlager, nachdem das Erdbeben ihre Häuser zerstört hat.

Bewohner der Stadt Harem in der Provinz Idlib suchen Zuflucht in einem Zeltlager, nachdem das Erdbeben ihre Häuser zerstört hat.

(Foto: Ghaith Alsayed/AP)

Assads Regierung betrachtete die Lieferungen aus der Türkei bisher als Verletzung der Landesgrenze und mithin der staatlichen Souveränität. UN-Botschafter Sabbagh sagte noch im Januar, westliche Länder politisierten im Sicherheitsrat humanitäre Hilfen.

Russland unterstützt Assad im Bürgerkrieg. Dennoch hatte Moskau im Januar überraschend für eine Verlängerung der Lieferungen aus der Türkei gestimmt. UN-Botschafter Wassili Nebensja sagte damals, die Zustimmung sei ihm schwergefallen, weil es sich beim Nordwesten Syriens um eine "von Terroristen überschwemmte Enklave" handele. Die Zustimmung Moskaus in diesem Einzelfall, sagte er, ändere jedoch nichts daran, dass man die Lieferungen aus der Türkei weiterhin als vorübergehend ansehe.

"Im Moment zählt jede einzelne Stunde"

Einige Mitglieder des Sicherheitsrats vertraten zuletzt die Ansicht, dass sich durch das Erdbeben eine grundlegend neue Situation ergeben habe. Die amerikanische UN-Botschafterin Linda Thomas-Greenfield hatte der Nachrichtenagentur Reuters an diesem Wochenende auf Anfrage gesagt, dass der Sicherheitsrat schnellstens eine neue Resolution verabschieden solle, die die Öffnung mindestens eines weiteren Grenzübergangs erlaube. "Im Moment zählt jede einzelne Stunde", sagte sie.

Der britische Diplomat Martin Griffiths, bei den UN zuständig für die Koordination der Nothilfe, hält sich derzeit im türkisch-syrischen Grenzgebiet auf. Ihm ist es nun offenbar gelungen, Assad davon zu überzeugen, weitere Grenzübergänge aus der Türkei zu öffnen. Mehreren Medienberichten zufolge sind Griffiths und Assad am Montag in Damaskus zusammengetroffen.

Zuvor hatte die Lage am Hauptquartier der UN in New York unübersichtlich gewirkt. Um eine Resolution zu verabschieden, hätte zunächst ein Text vorliegen müssen. Bis Montag gab es UN-Diplomaten zufolge jedoch nicht einmal einen Entwurf. Das hätte bedeutet, dass womöglich noch reichlich Zeit ins Land gegangen wäre, da in New York über Resolutionsentwürfe oft bis zum letzten Komma gerungen wird.

Laut UN-Angaben brauchen mehr als 800 000 Menschen in der syrisch-türkischen Grenzregion warmes Essen und etliche weitere Hilfen. Zudem teilten die Vereinten Nationen mit, dass ein Hilfskonvoi, der am Wochenende im von der syrischen Regierung kontrollierten Gebiet gestartet war, Probleme habe, die Krisenregion im Nordwesten zu erreichen. Das liege daran, dass paramilitärische Truppen die Durchfahrt verhinderten.

Die US-Regierung äußerte sich am Montag in einem ersten Statement verhalten positiv. "Wir hoffen wirklich, dass Assad es ernst meint", sagte Ned Price, Sprecher des Außenministeriums, "das wäre gut für das syrische Volk."

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