Erdbeben auf Haiti:Gegner paktieren in der Krise

Annäherung im Angesicht der Katastrophe: Um Verletzte aus Haiti auszufliegen, gewährt Kuba den USA weitere Überflugrechte. Doch das wahre Problem ist der Flughafen in Port-au-Prince.

Um den Tausenden Verletzten in Haiti besser und schneller helfen zu können, bewegen sich nun sogar Nationen aufeinander zu, die sich ansonsten spinnefeind sind: So hat Kuba den USA erlaubt, für Hilfsaktionen in der Erdbebenregion Haitis den kubanischen Luftraum zu nutzen.

Erdbeben-Opfer Haiti, Reuters

Viele Erdbebenopfer werden aus Haiti ausgeflogen, um ihnen eine bessere medizinische Versorgung zukommen zu lassen: Hier eine verletzte junge Frau bei ihrer Ankunft auf der französischen Karibikinsel Guadeloupe.

(Foto: Foto: Reuters)

Um Verletzte auszufliegen, dürften US-Flugzeuge auf dem Weg vom Stützpunkt Guantanamo auf Kuba nach Miami kubanischen Luftraum kreuzen, sagte ein US-Regierungsvertreter am Freitag. Dadurch würden etwa 90 Minuten gewonnen. Die kubanischen Behörden hätten hierfür eine Sondergenehmigung erteilt.

Eine Ausnahme wird zur Regel

Laut New York Times existiert zwischen den beiden Staaten bereits eine Vereinbarung, die eine Verletzung der jeweiligen Lufträume bei einzelnen medizinischen Notflügen ermöglicht. Diese Einzelfallregelung sei nun vorübergehend zu einer permanenten Ausnahmeregelung ausgeweitet worde.

Kuba und die USA unterhalten offiziell seit 1961 keine diplomatischen Beziehungen zueinander. Seit 1962 besteht ein US-Embargo gegen den von der Kommunistischen Partei regierten Karibikstaat. Zuletzt sorgte Anfang Januar die Entscheidung der US-Regierung für Ärger, Kuba auf eine Liste der Terrorunterstützerstaaten zu setzen.

Fraglich ist allerdings, wie sehr die unverhoffte Annäherung den Haitianern helfen kann. Denn nach der Katastrophe im ärmsten Land Amerikas erreicht die internationale Hilfe die Opfer nur langsam. Ein weit größeres Problem als Überflugrechte stellt der Flughafen von Port-au-Prince dar - mit seinen begrenzten Entlade- und Lagermöglichkeiten bildet er ein Nadelöhr, zudem könnte bald das Kerosin am Flughafen ausgehen. Schon jetzt gibt es massive Verteilungsprobleme mit den Hilfsgütern. Das Bodenpersonal kam mit dem Entladen nicht hinterher. Bis zu zwei Stunden mussten die Flugzeuge mit Hilfsgütern und Suchtrupps über dem Land kreisen, bevor sie landen konnten.

Ein US-Flugzeugträger sollte am Freitag den Inselstaat erreichen, um als Behelfsflugplatz für Hubschrauber zu fungieren. Insgesamt entsenden die USA 5700 Soldaten, 300 Ärzte sowie mehrere Schiffe. Helfer anderer Nationen schickten unter anderem Suchhunde, schweres Bergungsgerät, Zelte und Wasseraufbereitungsanlagen in die Region. Das Deutsche Rote Kreuz will am Samstag eine mobile Klinik mitsamt Ärzten und Krankenschwestern in die Region fliegen. Damit sollen bis zu 30.000 Menschen ambulant versorgt werden können.

Doch das hilft den Verschütteten wenig, für die nun jede Stunde zählt. Wegen des schleppenden Beginns der Hilfe wachsen Wut und Frust der Menschen in Haiti. Verzweifelte Haitianer errichteten in der Hauptstadt Port-au-Prince Straßensperren aus Leichen. Er selbst habe zwei Barrikaden mit Toten gesehen, sagte der Fotograf Shaul Schwarz vom Magazin Time der Nachrichtenagentur Reuters.

Das genaue Ausmaß der Katastrophe ist nach wie vor nicht überschaubar. Das Rote Kreuz geht von bis zu 50.000 Toten sowie drei Millionen Verletzten und Obdachlosen aus. Tausende Verletzte verbrachten die Nacht zum Freitag auf der Straße. "Wir warten seit drei Tagen und drei Nächten, aber nichts wurde für uns getan. Nicht einmal ein Wort der Ermutigung unseres Präsidenten", klagte ein Mann, der Mutter und Schwester mit gebrochenen Beinen versorgte. Das Beben der Stärke 7 hat die ohnehin schlechte Infrastruktur Haitis weitgehend zerstört.

In der Hauptstadt Port-au-Prince sind die hygienischen Zustände katastrophal. Die Haitianer bedeckten ihre Nasen mit Tüchern, um den Leichengeruch nicht direkt einatmen zu müssen. Viele Tote lagen auf der Straße. Einige wurden auf Kleinlaster gestapelt und zum Allgemeinen Krankenhaus gefahren. Vor dessen Leichenhalle lagen nach Schätzungen des Direktors mindestens 1500 Tote. Dem Roten Kreuz gingen unterdessen die Leichensäcke aus.

7000 Menschen wurden nach den Worten von Präsident Rene Preval bereits in einem Massengrab beerdigt. Während die Hilfe von außen nur schwer vorankommt, sind die Ärzte vor Ort schlecht ausgestattet. Sie können kaum helfen.

Sollten die Tausenden Verletzten, von denen viele große Mengen Blut verloren und gebrochene Knochen haben, nicht schnell notversorgt werden, würden viele weitere sterben, warnen Helfer. "Die nächsten 24 Stunden sind entscheidend", sagte ein Offizier des US-amerikanischen Küstenwache.

Aber Haiti kommt nicht zur Ruhe: Kleinere Nachbeben erschütterten unterdessen die Hauptstadt, woraufhin die Leute panisch aus den Gebäuden liefen. Mit bloßen Händen und nur mit Hämmern versuchten die Haitianer, Verschüttete noch lebend zu befreien. Teilweise herrscht Anarchie. Weil das Hauptgefängnis ebenfalls zerstört wurde, konnten viele Kriminelle fliehen.

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