Eppler zu Stuttgart 21:"Das Volk muss entscheiden"

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"Gegner und Befürworter werden fanatischer": Angesichts des Streits um Stuttgart 21 fürchtet der frühere Bundesminister Erhard Eppler um die innere Sicherheit der Region - und fordert ein Plebiszit zu dem umstrittenen Bahnhof.

Sebastian Beck

SPD und Grüne fordern einen Volksentscheid über das umstrittene Bahnprojekt "Stuttgart 21". Der Vorschlag stammt unter anderem von Erhard Eppler. Der frühere Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit war in den siebziger Jahren Chef der SPD in Baden-Württemberg.

Erhard Eppler will die Hürde für Plebiszite senken. (Foto: dpa)

SZ: Kanzlerin Angela Merkel hat die Landtagswahl in Baden-Württemberg zur Volksabstimmung über "Stuttgart 21" erklärt. Warum fordern Sie trotzdem einen eigenen Volksentscheid?

Erhard Eppler: Wenn die Arbeiten bis zur Landtagswahl im März nächsten Jahres weitergehen, wird es faktisch kaum mehr möglich sein, eine Entscheidung über das Projekt zu treffen. Die Arbeiten sind dann bereits zu weit fortgeschritten.

SZ: Über das Projekt wurde 15 Jahre lang diskutiert. Warum reicht die Legitimation durch das Parlament nicht?

Eppler: Hier beißen sich Rechtsstaats- und das Demokratieprinzip. Das ist ein ganz gefährlicher Vorgang. Es stimmt, dass die Befürworter alle rechtsstaatlich vorgesehenen Entscheidungen hinter sich haben. Es stimmt aber genauso, dass zwei Drittel der Stuttgarter gegen das Projekt sind. Die Polizei ist nicht in der Lage, ein Jahrzehnt lang eine riesige Baustelle gegen Demonstranten oder Schlimmeres zu verteidigen. Kann man überhaupt so ein Großprojekt über ein Jahrzehnt gegen den Willen der Bevölkerung durchsetzen? Was bedeutet das für das politische Klima und den inneren Frieden? Was kann man einer für die Demokratie ausgebildeten Polizei zumuten?

SZ: Es zeichnet sich ein neuer Großkonflikt um das Endlager in Gorleben ab. Der Ausgang eines Volksentscheids wäre klar: Es könnte in keinem Bundesland ein Endlager geben, obwohl es nötig ist.

Eppler: Ein Endlager irgendwo in der Landschaft ist etwas völlig anderes, als wenn Sie eine alte Stadt wie Stuttgart praktisch neu gründen wollen. Hier geht es um riesige Baustellen in einer Stadt mit 600.000 Einwohnern. Was geschieht, wenn die Polizei sagt: Wir sind nicht dazu da, einen politischen Konflikt auf unseren Schultern auszutragen?

SZ: Die Befürworter berufen sich auf Recht und Gesetz.

Eppler: Ich weiß aus politischer Erfahrung, dass man sich gelegentlich auch gegen alle Widerstände bewegen muss: Augen zu und durch! Aber man kann nicht ein Jahrzehnt lang die Augen zumachen. Wer das versucht, wird stolpern. Bei jeder Panne in der Bauphase wird hier sofort wieder eine Grundsatzdebatte aufflammen. Wenn ich Oberbürgermeister von Stuttgart wäre, könnte ich keine Stunde mehr schlafen. Der erste Versuch eines Bürgerentscheids ist aus juristischen Gründen abwimmelt worden, jetzt ist die Atmosphäre so vergiftet, dass eine sachliche Diskussion nicht mehr gelingt. Es gibt klare Signale von den Gegnern, etwa von Walter Sittler, dass sie jedes Ergebnis akzeptieren. Daher muss die Bürgerschaft zu Wort kommen.

SZ: Ist der Weg zu einem Volksentscheid nicht arg kompliziert?

Eppler: Ich bin kein Jurist. Ich könnte mir aber durchaus auch eine Volksbefragung vorstellen. Deren Ergebnis würde letztlich wirken wie ein Volksentscheid.

SZ: Um einen Volksentscheid herbeizuführen, müsste sich die Regierung im Landtag eine Niederlage bereiten. Ist das verfassungsrechtlich nicht bedenklich?

Eppler: Das bestreite ich nicht. Aber wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Etwa die Volksbefragung. Der Konflikt zwischen der Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens und der demokratischen Ablehnung ist für viele Menschen etwas Neues und Aufregendes. Das wird in nächster Zeit wahrscheinlich häufiger vorkommen. Gerade jemand wie die Bundeskanzlerin müsste nun konstruktive Vorschläge zur Beilegung machen. Stattdessen heizt sie die Stimmung nochmals an. Gegner und Befürworter werden fanatischer. Das erträgt Stuttgart auf Dauer nicht.

SZ: Die SPD hat sich für das Projekt starkgemacht. Sieht es jetzt nicht so aus, als wolle sie sich davonstehlen?

Eppler: Es gibt hier einen klaren Unterschied zwischen der SPD im Land und dem, was ich hier zusammen mit anderen in die Diskussion gebracht habe. Wir wollen nicht in der Sache Stellung nehmen, weil wir uns nicht als Experten fühlen. Unsere Sorge ist der innere Friede in Baden-Württemberg. Die SPD hat sich in der Sache nicht bewegt. Sie ist nach wie vor für das Projekt. Sie sagt aber, dass sich das Volk dafür entscheiden muss.

SZ: Sollte man die Hürden für Plebiszite senken?

Eppler: Ja, ganz entschieden. Das gilt auch für die Bundesebene. Ohne Plebiszit lässt die immer größere Kluft zwischen Regierenden und Regierten unsere parlamentarische Demokratie langsam verdorren.

© SZ vom 17.09.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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