Süddeutsche Zeitung

Entwurf zu Parteiprogramm:Wie die AfD die aktuelle Bundesrepublik abschaffen will

Fünf Aspekte aus dem AfD-Programm zeigen, was die Partei anstrebt: Deutschland als einen Staat der Mitte beseitigen.

Analyse von Oliver Das Gupta

Die "Alternative für Deutschland" (AfD) ist entstanden aus Protest gegen die Euro-Politik der von Angela Merkel geführten Bundesregierungen. "Alternativlos" seien die Rettungsmaßnahmen, sagte die Kanzlerin. Einige der bis dahin bei CDU und CSU politisch Beheimateten sahen das nicht so. Der Wirtschaftsprofessor Bernd Lucke und Gleichgesinnte gründeten deshalb 2013 die AfD als Partei des finanzpolitischen und ökonomischen Protestes.

2015 haben Lucke und seine Leute die AfD verlassen, nachdem er vom erstarkten rechtskonservativen, völkischen Flügel als Vorsitzender geschasst worden war. In diese Zeit fiel der Höhepunkt der Krise um die griechischen Staatsfinanzen, unmittelbar darauf erreichte die Wanderungsbewegung von Flüchtlingen in Richtung Mitteleuropa ein bis dahin unbekanntes Ausmaß - "ein Geschenk" für die AfD, wie es der Vize-Vorsitzende Alexander Gauland nannte.

Seitdem attackiert die Partei frontal die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung, sie sucht die Nähe zur islamfeindlichen Pegida-Bewegung und zu anderen xenophoben Kräften im europäischen Ausland. Die Partei ist auch zur Anlaufstation für EU-Feinde und Islamhasser geworden, für Verschwörungstheoretiker und offen Rechtsradikale - und sie reüssiert. AfD-Vertreter sitzen inzwischen in der Hälfte der deutschen Landtage, die Umfragen sagen einen sicheren Einzug in den Bundestag voraus.

AfD - die Alternative zur Bundesrepublik

Nun will die AfD ihre Grundsätze auch mit einem Programm festschreiben. Seit ein paar Tagen ist der offizielle Entwurf auf der Website einsehbar, der auf einem Parteitag in Stuttgart Ende April abgesegnet werden soll. Das 78 Seiten starke Programm enthält Passagen, die wirtschaftsliberal sind; in anderen Teilen, wie der Familienpolitik, vermittelt das Papier den Eindruck, als ob die Verfasser eine Rolle rückwärts in das West-Deutschland vor 1968 wollen.

Das Parteiprogramm enthält aber auch Forderungen und Vorstellungen, deren Umsetzung den Charakter Deutschlands grundsätzlich verändern würden. Manches, das zum gewachsenen Selbstverständnis des 1949 im Westen gegründeten Staates gehört, zählt demnach für die AfD nicht mehr oder nur noch wenig. Die heutige Bundesrepublik ist ein Land der politischen Mitte, ein Land, das die AfD ablehnt. Mit dem Programmentwurf zeigt die AfD, was sie sein will: Eine Alternative zu dem Deutschland, das bislang existiert.

1. Ende der europäischen Integration

Die AfD bezeichnet die Europäische Union als "undemokratisches Konstrukt". Sie verlangt, die EU abzuwickeln, so dass am Ende nur noch eine Freihandelszone übrig bleibt. Wörtlich heißt es: Man trete dafür ein, "die EU zurückzuführen zu einer Wirtschafts- und Interessensgemeinschaft souveräner, lose verbundener Einzelstaaten".

Dieser Schritt wäre die Abkehr von einem elementaren Bestandteil bundesdeutscher Politik. Die vom ersten Bundeskanzler Konrad Adenauer eingeleitete und von seinen Amtsnachfolgern fortgeführte europäische Integration gehört bislang zur Staatsräson. Die ebenfalls von Adenauer erfolgreich implementierte Aussöhnung mit dem "Erbfeind" Frankreich, an deren Stelle die deutsch-französische Freundschaft entstand, die zum Motor der europäischen Einigung wurde: Sie wird im AfD-Programm nicht erwähnt.

2. Ende der Westbindung

Auch vom Verhältnis zu den USA ist in dem Programmentwurf nicht die Rede - abgesehen von einer Passage in der bemängelt wird, dass "Deutschland zunehmend auf den Schutz und die Unterstützung von Bündnispartnern, besonders der USA, angewiesen" sei.

Stattdessen wird die Rolle Russlands hervorgehoben. Das Verhältnis zu Moskau habe "maßgebliche Bedeutung", heißt es, "Sicherheit in und für Europa kann ohne Russlands Einbindung nicht gelingen".

Auch die von Adenauer eingeleitete Westbindung will die AfD abschmelzen. In der Nato will die Partei Deutschland zwar belassen, allerdings fordert sie eine "Reform" des Verteidigungsbündnisses. Zudem solle "jedes Engagement in der Nato im Einklang mit den deutschen Interessen" stehen.

Außerdem fordert die AfD die "Neuverhandlung des Status alliierter Truppen in Deutschland". Dieser müsse an "die wiedergewonnene deutsche Souveränität angepasst werden", was sich vor allem gegen die amerikanischen Streitkräfte richten dürfte. Die Formulierung lässt tief blicken: Die westlichen "Alliierten" der einstigen Anti-Hitler-Koalition sind inzwischen längst Nato-Partner. Wer den Terminus "alliierte Truppen" benutzt, impliziert, dass die Bundesrepublik ein besetztes Land ist.

3. Militarisierung und Macht

In ihrem Programmentwurf widmet sich die AfD ausführlich der Bundeswehr. Im Mittelpunkt steht eine umfassende Re-Militarisierung im nationalen Sinne. Eine europäische Armee lehnt die Partei dagegen ab, was wohl auch die bestehenden deutsch-französischen und deutsch-niederländischen Verbände mit einschließt.

Stattdessen setzt die AfD auf den Ausbau des deutschen Militärs. Dazu soll die ausgesetzte Wehrpflicht wieder aktiviert werden. Die AfD schreibt, das Recht auf Kriegsdienstverweigerung als "Ausnahmefall" anzuerkennen, betont zugleich, dass sie den Dienst an der Waffe für deutsche Männer "als Regelfall" ansieht.

Die Partei wünscht sich ein "breites Potential an Reservedienstleistenden", außerdem soll dank der Wehrpflicht die Bevölkerung sich mit "ihren Soldaten" identifizieren. Die Ausbildung der Soldaten soll "kriegs- und einsatzorientiert" sein, was darauf hindeutet, dass sich die Dauer des Wehrdienstes in die Länge ziehen dürfte.

Mit der Wehrpflicht soll nach AfD-Vorstellungen die Aufrüstung der Truppe einhergehen: Deutschland benötige "Streitkräfte, deren Führung, Stärke und Ausrüstung an den Herausforderungen künftiger Konflikte orientiert ist und höchsten internationalen Standards entspricht", heißt es. "Unverzichtbare nationale wehrtechnische Kernfähigkeiten" sollen gefördert werden, außerdem müsse Deutschland in Schlüsselbereichen von Technik und Technologie "national unabhängig bleiben".

Die AfD macht keinen Hehl daraus, dass es ihr um mehr als nur um die Landesverteidigung und Bündnisverpflichtungen geht: Die Partei glaubt, dass eine größere, schlagkräftigere Armee Deutschland zu mehr Gewicht in der Welt verhilft. Ein starkes Militär sei "Voraussetzung dafür", dass man Deutschland als "gleichberechtigten Partner" wahrnehme, heißt es. Im AfD-Programm ist auch die Rede davon, "mehr Gestaltungsmacht und Einfluss zu entfalten".

Die Geheimdienste will die AfD reformieren - und mit mehr Geld ausstatten. Eine "Finanzierung nach Kassenlage" lehnt die Partei ab. Die Dienste seien "ein wichtiges Mittel, Gefahren im In- und Ausland zu erkennen und abzuwehren".

4. Neudefinition von Pressefreiheit

Immer wieder geißelt die AfD in ihrem Programm die Presse. Mal wird ihr unterstellt, "Einelternfamilien als (...) erstrebenswerten Lebensentwurf zu propagieren". An anderer Stelle heißt es, "Kampagnen der Einwanderungslobby und Medien zielen auf immer neue Bleiberechte" für abgelehnte Asylbewerber.

In einem eigenen Unterpunkt versucht sich die AfD daran, Pressefreiheit neu zu definieren. Anstatt sich uneingeschränkt zum in Grundgesetz Artikel 5 formulierten Grundrecht zu bekennen, schreibt die Partei:

"Meinung und Information müssen klar erkennbar voneinander getrennt sein. Tatsachen sollen als solche benannt und nicht aus politischen Gründen verschleiert werden. Die AfD fordert: Schluss mit: 'Politischer Korrektheit'."

Was diese Gedanken ausformuliert bedeuten und ob die AfD bei einer Regierungsübernahme Verstöße gegen diese Vorgaben ahnden will, steht nicht im Parteiprogramm. Dass namhafte Vertreter Probleme mit Journalisten haben, zeigt sich aber beispielhaft in diesen Tagen.

5. Revolution 3.0

Man wolle das "europäische Einigungswerk" in der Tradition von Konrad Adenauer, Helmut Schmidt, Hans-Dietrich Genscher und Helmut Kohl bewahren, hatte Lucke bei der Gründung der AfD gesagt. Dass Lucke sich ausgerechnet auf Kohl berief, aber den von Kohl implementierten Euro abschaffen wollte, ist paradox, soll aber hier nicht weiter behandelt werden. Lucke wollte in vielen Dingen die "alte" Bundesrepublik vor 1998. Was die AfD unter Lucke nicht wollte, war eine Revolution.

Das hat sich unter Luckes Nachfolgerin Frauke Petry drastisch verändert und manifestiert sich im künftigen Parteiprogramm. Die AfD bezeichnet sich als bürgerliche Protestpartei "in der Tradition der beiden Revolutionen von 1848 und 1989". Die Revolution von 1918, die die Monarchie beendete, die Republik schuf und etwa dazu führte, dass das Frauenwahlrecht eingeführt wurde, nennt die AfD nicht. Stattdessen drängt sie auf eine eigene Umwälzung: Die AfD will die Revolution 3.0 in Deutschland.

Dafür signalisiert sie in aller Offenheit, dass sie die aktuellen politischen Eliten für unfähig und korrupt hält. In der AfD-Anhängerschaft bei Facebook und auf manchen Kundgebungen ist immer wieder von "Volksverrätern" und Verschwörungen die Rede. Nicht in der Wortwahl, wohl aber inhaltlich schlagen sich diese Tendenzen im Programmentwurf nieder.

Da ist von "Bruch von Recht und Gesetz" die Rede, von der "Zerstörung des Rechtsstaats", von "Meinungsdiktat". Die AfD insinuiert, dass die gegenwärtige Bundesrepublik in Wirklichkeit eine Art von Unrechtsstaat sei. "Die politische Klasse" habe das Wahlrecht "immer perfekter ausgenutzt", um den Einfluss des Volkes zu minimieren", behauptet die AfD.

Der Verschwörungsgedanke wird noch deutlicher im Punkt "Demokratie und Grundwerte". Dort heißt es:

"Heimlicher Souverän ist eine kleine, machtvolle politische Führungsgruppe innerhalb der Parteien (...) Es handelt sich um ein politisches Kartell, das die Schalthebel der staatlichen Macht, soweit diese nicht an die EU übertragen worden ist, die gesamte politische Bildung und große Teile der Versorgung der Bevölkerung mit politischen Informationen in Händen hat. Nur das Staatsvolk der Bundesrepublik Deutschland kann diesen illegitimen Zustand beenden."

Für die Beendigung "des illegitimen Zustands" sollen Volksabstimmungen nach Schweizer Vorbild sorgen. Dabei geht es der AfD aber nicht nur um Bundesgesetze. Auch über die Verfassung sollen die Bürger abstimmen - ein Kniff, mit dem auch die wichtigsten Normen des Grundgesetzes ausgehebelt werden können. Denn damit einher geht die Forderung, dass das Volk "ohne Einschränkung über jegliche Themen" direkt abstimmen soll. Eine Schranke sieht die Partei nur im Völkerrecht. Ausnahmen, wie etwa die des Verbots der Todesstrafe oder die in den ersten Grundgesetzartikeln festgeschriebenen Grundrechte, nennt die AfD nicht.

Das Grundgesetz ist unter dem Eindruck der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs, der Nazi-Diktatur und des Völkermords an den europäischen Juden entstanden. Die Aufarbeitung und Auseinandersetzung der jüngeren deutschen Geschichte kam zwar erst verspätet in Gang, trug aber inzwischen dazu bei, dass bislang politische Kräfte rechts von der Union kaum Erfolg in Deutschland hatten.

Die Verantwortung für die NS-Verbrechen zählt zur bundesrepublikanischen Staatsräson. Die intensive Auseinandersetzung mit den Verbrechen der Nazi-Zeit will die AfD beenden. Unter dem Punkt "Kultur und Kunst von staatlicher Einflussnahme befreien" findet sich im Programmentwurf der Satz:

"Die aktuelle Verengung der deutschen Erinnerungskultur auf die Zeit des Nationalsozialismus ist zugunsten einer erweiterten Geschichtsbetrachtung aufzubrechen, die auch die positiven, identitätsstiftenden Aspekte deutscher Geschichte mit umfasst."

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