Entwicklungspolitik:Von wegen null Hunger

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Mehr als 820 Millionen Menschen weltweit haben nicht genug zu essen, die Zahl ist zuletzt wieder gestiegen. Dabei gäbe es Lösungen für das Problem - wenn auch keine einfachen.

Von Michael Bauchmüller

Was Hunger wirklich bedeutet, wissen in Europa nur noch wenige. Nicht zu wissen, wann es wieder etwas zu essen gibt; die eigenen Kinder hungern, vielleicht verhungern zu sehen, und dabei nicht der Hauch einer Hoffnung: Das ist für mehr als 820 Millionen Menschen Alltag. Für mehr Menschen, als in ganz Europa leben.

Die Zahl ist ernüchternd, die Vereinten Nationen haben sie gerade vorgelegt. Jahrelang sank die Zahl der Hungernden in dem Maße, in dem vor allem in Asien Länder von Entwicklungs- zu Schwellenländern wurden; allen voran China. Den Hunger der Welt zu überwinden, schien eine Frage der Zeit zu sein. Nun aber wächst er wieder, 2018 im dritten Jahr in Folge. Eines der wichtigsten Ziele der Weltgemeinschaft, zero hunger bis 2030, rückt in die Ferne. Null Hunger, von wegen.

Unter den 17 Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen ist der Kampf gegen den Hunger das komplexeste. In keinem anderen spiegeln sich so viele globale und regionale Probleme. Die Bevölkerung in vielen Entwicklungsländern wächst weiter - und verlangt eine stetig wachsende Erzeugung von Nahrungsmitteln. Die aber wird zunehmend schwieriger, weil der Klimawandel viele Entwicklungsländer am härtesten trifft. Industriestaaten greifen für ihren Konsum häufig auch auf Flächen in armen Ländern zurück, etwa für die Produktion von Viehfutter. Das macht Böden und Nahrung noch knapper. Und schließlich verschärfen gewaltsame Konflikte das Problem, nicht selten gefochten zwischen Hungrigen. Der Kampf gegen den Hunger kennt keine einfachen Antworten.

Jener Teil der Welt, der sich mehr mit Übergewicht als mit Hunger beschäftigt, muss aber nicht hilflos zusehen; er darf es auch nicht. Entwicklungspolitik etwa muss sich mehr mit kleinbäuerlichen Strukturen befassen. Denn Kleinbauern sind häufig anpassungsfähiger als eine Agrarindustrie nach Vorbild des Nordens. Sie können sich besser auf Veränderungen des Klimas einstellen. Sie wirtschaften naturnäher und damit nachhaltiger. Die deutsche Entwicklungspolitik vollzieht diesen Schwenk gerade, wenn auch langsam.

Standards für importiertes Palmöl oder Sojafutter müssten sicherstellen, dass ihr Anbau nicht in den Herkunftsländern die Knappheit von Böden und Nahrung verschärft. Gezielter als bisher müsste sich die Entwicklungszusammenarbeit mit fragilen Staaten beschäftigen, ehe ein Land wie die Zentralafrikanische Republik durch Krieg endgültig in die Hungerkrise abrutscht. Handelsverträge müssten es Entwicklungsländern leichter machen, eigene Produkte mit Zöllen zu schützen - um so überhaupt erst wettbewerbsfähig zu werden. Denn importierte Nahrungsmittel von Nestlé und Co. lösen ihre Probleme nicht, sie verschärfen sie eher. Auch eine engagierte Klimapolitik ist letztendlich unverzichtbar für eine Welt ohne Hunger.

Nichts davon ist einfach; nichts garantiert, dass sich zero hunger bis 2030 erreichen lässt - schon gar nicht in Zeiten, in denen extremes Wetter häufiger und zerstörerischer wird. 820 Millionen Hungernde: Letztlich ist das eine Botschaft aus der vernetzten Welt, in der Wohlstand und Unterernährung dicht an dicht hausen und nicht selten in direktem Zusammenhang stehen. Für die Hungernden bedeutet das pure Not. Für alle anderen große Verantwortung.

© SZ vom 17.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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