Entwicklungsminister Niebel:Der Poltergeist

Entwicklungsminister Niebel versucht in Vietnam, sein Image als Rambo zu korrigieren - doch auch im Ausland packt ihn immer wieder die Rauflust.

Stefan Braun

Zur Belohnung gibt's ein Schlückchen Sekt. Und das ist irgendwie verständlich. Alles ist einfach zu schön hier. Das Projekt klingt gut, die Zusammenarbeit soll funktionieren, die Botschaft passt. Das muss gefeiert werden. Also steht Dirk Niebel, der deutsche Entwicklungsminister, am zweiten Tag seiner Vietnam-Reise mit einem Glas Sekt in einem großen, aufgeräumten Supermarkt der Großhandelskette Metro.

Neben ihm strahlt der deutsche Supermarktleiter, hinter ihm zerlegt eine zierliche Arbeiterin einen gigantischen Thunfisch, und ringsum präsentieren Bauern aus der Gegend, fein herausgeputzt, Milchäpfel, Dragon-Früchte und Avocados. Andauernd möchte man hier in etwas hineinbeißen. Und das mitten in Saigon, das heute Ho Chi Minh City heißt.

Helfen und Strahlen

Für Niebel ist der Supermarkt die Zukunft. Er ist das Musterbeispiel für das, was sich Niebel unter guter Entwicklungspolitik vorstellt. Ein deutsches Unternehmen will etwas aufbauen, bietet den lokalen Bauern eine Perspektive und bekommt dafür Unterstützung aus dem Entwicklungsministerium. PPP heißt das unter Experten, public private partnership. Gemeint sind Kooperationen zwischen öffentlicher Hand und privaten Firmen. Das bringt dem Unternehmen etwas, soll den Menschen helfen und fördert das Image Deutschlands. Wenn es klappt, kann der FDP-Mann zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen - wobei in diesem Fall die eine Fliege (der Nutzen für Metro) mindestens so groß sein dürfte wie die andere, die Hilfe für die Bauern.

Völlig neu ist das Modell nicht. Auch Niebels Vorgängerin Heidemarie Wieczorek-Zeul hatte derlei gefordert und manchmal sogar gefördert. Doch wo bei der SPD-Politikerin stets Distanz, manchmal sogar Abscheu zu spüren war, will Niebel breitbeinig einsteigen. Immer wieder erklärt er, dass deutsche Entwicklungspolitik auch deutschen Interessen dienen müsse. Wobei der FDP-Mann die Interessen deutscher Unternehmen natürlich besonders im Blick hat.

Eine bessere Zukunft

Im Supermarkt von Saigon kann er fürs Erste einen Erfolg verbuchen. Drei Jahre lang bildeten das Unternehmen und deutsche Entwicklungsexperten die Bauern aus, erklärten Hygiene, Ackernutzung und Vermarktung. Gekostet hat das 400.000 Euro, getragen zu gleichen Teilen vom Bund und von Metro. Das Ergebnis: Alle scheinen glücklich zu sein. Das gilt auch für die Bauern, jedenfalls für die, die da sind. Von Niebel beflissen befragt, erklären sie sehr ausführlich, dass sie mehr Geld verdienen als früher, dass sie mehr Mitarbeiter eingestellt haben und eine bessere Zukunft erwarten. Niebel braucht diese Zitate. Nur so können auch die mitgereisten Abgeordneten der anderen Parteien keine Einwände haben - obwohl Metro wahrscheinlich auch ohne die Hilfe sein Glück versucht hätte.

Für Niebel ist der Besuch an der Obsttheke ein schöner Moment in schwierigen Zeiten. Er zeigt, wie schön sein Job sein kann. Vietnam ist ein spannendes Land, hier gibt es viel zu helfen und bald auch sehr viel zu verdienen. Die Preußen Asiens, wie die Vietnamesen von ihren Nachbarn genannt werden, streben nach vorne und hinauf. Die Millionen Motorroller, mit denen sie durch ihr weites Land, ihre wachsenden Städte und über ihre vielen Brücken düsen, sind Sinnbild ihres Tempos und ihrer Entschlossenheit geworden. 2010 ist das Jahr des Tigers. Natürlich wollen sie schnell selbst zum Tigerstaat aufsteigen.

Trotzdem kann sich Niebel nur schwer auf das Land und seine Reise konzentrieren. Gut vier Monate ist er nun im Amt, und noch immer hängt ihm sein Start wie ein Klotz am Bein. Dass die FDP das Ministerium abschaffen wollte und er trotzdem zugriff, lähmte den Anfang. Dann kamen die Fotos von der Gebirgsjägerkappe, mit der er in Afrika auftrat. Schließlich hat man ihm vorgeworfen, er wolle eigentlich nur Freunde, Militärs, FDPler versorgen. Das ist zwar nur die halbe Wahrheit. Denn daneben hat Niebel fast das gesamte Vorzimmer seiner Vorgängerin übernommen und ihren persönlichen Referenten gar zum Büroleiter aufsteigen lassen. Trotzdem hat sich ein anderes Image festgesetzt, das Bild vom Militär-Fan und breitschultrigen Rambo, der so auch Politik macht.

Wer ist Niebel?

Schuld daran ist nicht nur, aber auch er selbst. Das zeigt sich auf dieser Reise. Denn irgendwie kann sich Niebel noch nicht entscheiden, wie und wer er sein möchte. Mal ist er leise, fragt nach, gibt sich hie und da ganz bescheiden. Und dann wieder spielt er mit kleinen und größeren Provokationen, als wolle er trotzig am Polter-Image festhalten. Beim abendlichen Empfang in der Botschaft beginnt er seine Rede mit dem Hinweis, es handele sich hier um eine deutsche Botschaft, deshalb werde er deutsch sprechen. Es gebe ja noch eine Übersetzung. Soll ihm das Profil geben? Will er es unbedingt seinem Parteichef Guido Westerwelle gleichtun, der sich mit Ähnlichem nach der Wahl Kritik einfing? Er bleibt eben der, der gerne aus der Hüfte einen Schuss abgibt. Dass seine Militärkappe auf dem Kopf eines Bundesentwicklungsministers wie eine kleine Provokation wirkt - er findet es klasse. "Ich liebe diese Kappe", sagt er auf Einwände, "deshalb trage ich sie weiter."

Und doch, vielleicht könnte die Reise ihn verändern. In diesen fünf Tagen muss er lernen, wie sehr sein Image vieles überlagern kann, also auch seine wichtigsten Ziele. Denn der Niebel von heute ist nicht mehr der von Ende Oktober. Mittlerweile hat er Appetit bekommen, will dem Amt seinen Stempel aufdrücken und bemüht sich, die Menschen das auch merken zu lassen. Also richtet er sich einen Planungsstab ein, will "auf Augenhöhe" sein mit den Kollegen. Und zudem hat er Spaß am Repräsentieren.

Das geht so weit, dass immer wieder der Eindruck entsteht, da präge nicht etwa ein Minister sein neues Amt, sondern die Fakten prägten den neuen Minister. In Hanoi unterschreibt er mit australischen Partnern eine so resolute wie unverbindliche Kooperationsvereinbarung - und gibt das als großen Erfolg aus. Als Oppositionspolitiker hätte er das Ministern nicht durchgehen lassen. Auf einer Umweltkonferenz verspricht er Leidenschaft und Kooperation im Kampf gegen den Klimawandel, wie es seine Vorgängerin nicht emotionaler hätte tun können. Je länger die Reise geht, desto mehr spürt man, wie sich da einer einrichtet in seinem zunächst unbeliebten Amt. Hie und da lässt er sogar durchblitzen, dass er sich insgeheim spitzbübisch freut über seine neuen Möglichkeiten. Das heißt vor allem: Über mehr als sechs Milliarden Euro, die jetzt er verwaltet - und nicht sein Außenminister und Parteichef.

Das falsche Bild

Nur konsequent ist deshalb auch sein größtes politisches Ziel, die Fusion der drei staatlichen Entwicklungsorganisationen. Doch obwohl ihm fast alle zustimmen, die Grünen eingeschlossen, muss er, als der Plan zu Beginn dieser Reise richtig bekanntwird, erkennen, dass sein Image des Polit-Rambos dafür eine gefährliche Begleitmusik liefert. Plötzlich muss er fast wehrlos aus der Ferne zusehen, welche Kraft die einmal geprägten Bilder von der Kappe und vom Image des Haudraufs entwickeln. Irgendwann zwischen Vietnam und Kambodscha, an einem Abend, in einem leisen Moment, fragt er plötzlich: "Wann hört das auf? Es behindert meine Arbeit." Er hat immerhin gemerkt, dass es ihn belastet.

Schön ist es da für ihn, dass es auch auf dieser Reise einen letzten Tag gibt. Einen, an dem der Entwicklungsminister ganz Entwicklungsminister sein darf. Niebel fährt im Norden Kambodschas übers Land, er besucht eine Bauerngemeinschaft, eine Schule, ein Frauenzentrum. Die Bauern beschwört er, ihre Chance mit dem eigenen Land zu nutzen. Und den Schülern erklärt er, dass die deutschen Steuerzahler gerne helfen, solange die Schüler ihr Leben auch wirklich in die Hand nehmen. Jedesmal gibt es dafür viel Lob und noch mehr Beifall.

Und das bleibt nicht ohne Wirkung. Es kommt, was in den elf Jahren davor auch stets dazu gehörte. Seine Vorgängerin war berühmt und berüchtigt dafür, kleine Kinder auf den Arm zu nehmen. So weit mag Niebel (noch?) nicht gehen. Aber er schüttelt sehr fleißig Schülerhände und lacht in die jungen Gesichter. Ein Hauch von Heidi weht plötzlich über den Schulhof. Bis Niebel seine Militärkappe aufzieht, den Rücken durchdrückt und aufbricht. Dann, spätestens dann, hat sich der Hauch schon wieder erledigt.

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