Entwicklungsländer und Atomtechnik:Darf's noch ein Reaktor sein?

Energiehungrige Entwicklungsländer fragen immer stärker Nukleartechnik nach, was viele Experten beunruhigt.

Jeanne Rubner

China, Marokko, Algerien - wohin immer Nicolas Sarkozy reist, hat er mit im Gepäck einen Vertrag über den Bau neuer Atomkraftwerke oder zumindest ein Kooperationsabkommen.

Unlängst verkaufte Frankreichs Präsident den Chinesen zwei Druckwasserreaktoren, diese Woche, bei seinem Besuch in Algier, sicherte er seinem Kollegen Abdelaziz Bouteflika zu, dass Frankreich Algerien helfen werde, Kernkraftwerke zu bauen.

Das gleiche tat er in Libyen, Marokko und Tunesien. Mehr noch: Frankreich sei bereit, hatte Sarkozy im September bei einer Rede vor den Vereinten Nationen gesagt, "jedem Land zu helfen", das die zivile Atomkraft nutzen wolle. Ganz uneigennützig ist das nicht, für Frankreich sind Atommeiler zu einem Wirtschaftsgut geworden.

Als einziges Land in Europa exportiert es Kernkraftwerke - und hofft auf ein lukratives Geschäft mit dem neuen Druckwasserreaktor EPR, den der Atom-Konzern Areva seinerzeit mit Siemens entwickelt hat.

Sarkozys Atompolitik stößt vielen in Europa sauer auf. "Sarkozy darf nicht einfach seine Kraftwerke anbieten", sagt der SPD-Europaabgeordnete Jo Leinen, schließlich seien das hochsensible Handelsgüter. Man dürfe sie keinesfalls Diktatoren wie Muammar al-Gaddafi verkaufen. Atomkraftwerke für Afrika - das sei wie wenn man die Verkehrsprobleme von Nairobi mit dem Transrapid lösen wollte, mokiert sich Jürgen Maier von Venro, dem Dachverband der Entwicklungshilfeorganisationen.

Deshalb kritisiert Venro, dass Brüssel beim EU-Afrika-Gipfel an diesem Wochenende in Lissabon das A-Wort in das Abschlussdokument bringen will, in Form eines "Dialogs über den friedlichen Nutzen der Atomkraft". Doch nützt es den Industrienationen, wenn sie dem Drängen der Entwicklungsländer nachgeben und ihnen Atomkraftwerke bauen? Welche Risiken bestehen, wenn hochkomplizierte Technik in Länder exportiert wird, in denen das Fachwissen gering ist oder die von Diktatoren regiert werden?

Der Trend zur Atomkraft ist, gerade in Afrika, unübersehbar: Bislang war Südafrika das einzige Land auf dem Kontinent mit einem Kernkraftwerk, nun wollen andere nachziehen: Nigeria, Senegal und Uganda haben Interesse an Reaktoren geäußert, Burundi, Kongo und Kap Verde sind kürzlich der Internationalen Atomenergieagentur (IAEA) beigetreten, Ghana ist dabei, eine nationale Atomaufsicht zu gründen.

Tunesien will bis 2020 ein Kraftwerk hochziehen, Ägypten hat ebenfalls angekündigt, einen Reaktor zu bauen. Nicht nur Afrika, auch der Nahe Osten sowie Asien interessieren sich für Atomstrom. Im Frühjahr unterzeichneten die Mitglieder des Golfkooperationsrates, darunter Saudi-Arabien, mit der IAEA ein Abkommen für die zivile Atomnutzung.

Mehr Macht durch Atomkraft

Die Gründe sind vielfältig. Für den Nahen Osten spielen die Ambitionen Irans eine Rolle, ein Atomprogramm steht für Machtzuwachs. Manche Staaten, die Öl und Gas besitzen, wollen ihre Rohstoffe inzwischen lieber gewinnbringend auf dem Weltmarkt verkaufen als sie selbst zu verfeuern - den eigenen Bedarf wollen sie mit Atomstrom decken.

Der ist gerade für die Mittelmeeranrainer interessant, um energieintensive Meerwasserentsalzungsanlagen zu betreiben. Afrika hungert nach Strom: Die Nachfrage steigt um jährlich knapp vier Prozent.

Verwehren können die reichen Länder den armen die Kernkraft nicht. Wer dem Atomwaffensperrvertrag beigetreten ist, darf zwar (abgesehen von den fünf offiziellen Atommächten) keine Kernwaffen bauen oder Nuklearmaterial verbreiten - im Gegenzug aber dürfen alle Unterzeichner die Technik zivil nutzen.

Mehr noch: Die Staaten verpflichten sich sogar, bei der friedlichen Nutzung zusammenzuarbeiten. Das ist Aufgabe der IAEA, die nicht nur nach geheimen Waffenlabors sucht, sondern Ländern auch hilft, die Kernkraft aufzubauen. Deshalb spricht formal auch nichts dagegen, wenn Sarkozy Gaddafi ein Kraftwerk verkauft. "Der Sperrvertrag unterscheidet nicht zwischen demokratischen und diktatorischen Staaten", sagt Oliver Thränert, Rüstungsexperte von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik.

Thränert hält einen anderen Punkt für wichtiger: "Atomtechnik sollte nur an jene Länder verkauft werden dürfen, die auch das Zusatzprotokoll zum Sperrvertrag unterzeichnet haben."

Darf's noch ein Reaktor sein?

Dieses Protokoll ist als Folge des Versteckspiels entstanden, das Iraks Machthaber Saddam Hussein in den achtziger Jahren mit den Inspektoren der IAEA trieb. Es schreibt vor, dass die Behörde das Recht hat, überall Proben zu nehmen. Viele Länder aber haben das Protokoll gar nicht unterzeichnet, Ägypten zum Beispiel weigert sich mit Verweis auf die heimliche Atommacht Israel.

Problematisch findet Thränert es auch, wenn Atomtechnik verkauft wird, bei der das "Proliferationsrisiko hoch ist", etwa bei der Anreicherung von Uran oder Wiederaufarbeitung von Brennstäben, bei der größere Mengen des Bombenstoffs Plutonium entstehen.

Idealerweise würde man in Zukunft deshalb auch das Geschäft mit den Brennstäben internationalisieren - das heißt, ein paar Staaten würden den anderen spaltbares Material liefern und dieses nach Gebrauch wieder zurücknehmen. Darum bemühen sich auch seit längerem Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier und IAEA-Chef Mohammed el-Baradei. Sollte die Weltgemeinschaft das schaffen, dann gäbe es auch nicht mehr den Ärger mit Ländern wie Iran, die darauf pochen, Uran selbst anzureichern - und sich damit den Weg zur Bombe eröffnen.

Fehlender Sachverstand

Spaltbares Material ist aber nicht nur Bombenstoff, es kann auch - wenn ein Reaktor nicht richtig bedient wird - große Schäden anrichten. Für Länder, die in die Atomkraft einsteigen wollen, hat die IAEA eine lange Aufgabenliste erstellt, die von der Forderung nach einem Gesetz über eine unabhängige Kontrollbehörde bis hin zur Ausbildung des Personals reicht.

Was passieren kann, wenn Entwicklung, Bau, Genehmigung und Betrieb in einer Hand sind, hat der Unfall von Tschernobyl gezeigt: Ein schlechtes Design, schlampige Aufsicht, ahnungslose Mitarbeiter - zusammen potenzierte dies sich zur Katastrophe.

Ob Entwicklungsländer aber in der Lage sind, die hochkomplizierte Technik zu meistern, bezweifeln Experten. Dort fehle es oft am technischen Sachverstand sagt Heinz-Peter Butz von der Gesellschaft für Reaktorsicherheit in Köln. Um den aufzubauen, brauche es ein bis zwei Generationen.

Butz würde daher nur Reaktoren exportieren, die inhärent sicher sind, bei denen der Kern also prinzipiell nicht schmelzen kann. Das gilt selbst für den EPR nicht. Er ist zwar der sicherste Druckwasserreaktor überhaupt, doch sein Betrieb verlange eine Menge Kenntnis, so Butz.

Letztlich aber könnten wirtschaftliche Gründe den Atomboom bremsen. Das Teure an der Kernenergie sind die Baukosten, ein Kraftwerk beläuft sich auf ein paar Milliarden Euro. Die muss ein Land erst einmal aufbringen. Ohne staatliche Unterstützung aber scheuen derzeit viele Energieversorger noch die hohen Investitionen.

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